"Hang zum Autoritarismus" Britisches Unterhaus stimmt für Polizeigesetz
16.03.2021, 22:13 Uhr
Journalisten fotografieren in den Gefängnistransporter, in dem der angeklagte Polizist im Mordfall Sarah Everard sitzt.
(Foto: picture alliance/dpa/AP)
Der Mord an einer jungen Frau wühlt Großbritannien auf. Der mutmaßliche Täter ist Polizist. Ausgerechnet jetzt drückt die Regierung ein umstrittenes Polizeigesetz durchs Unterhaus. Es beschneidet die Rechte von Demonstranten und stärkt die Sicherheitskräfte.
Trotz Protesten und heftiger Kritik aus der Opposition hat das britische Unterhaus in London am Abend in zweiter Lesung mehrheitlich für das neue Polizeigesetz (Police, Crime, Sentencing and Courts Bill) der Regierung gestimmt. Der Gesetzentwurf hat damit seine erste Hürde im Parlament genommen. Er sieht unter anderem vor, dass auch friedliche Demonstrationen künftig von der Polizei stärker als bisher eingeschränkt werden dürfen, wenn sie wegen Lärms oder aus anderen Gründen beispielsweise "die Öffentlichkeit einschüchtern" oder "schweres Missbehagen" auslösen.
Oppositionsabgeordnete hatten das Gesetz als Ausdruck eines "Hangs zum Autoritarismus" der Regierung kritisiert. Hunderte Menschen hatten am Montagabend dagegen vor dem Parlamentsgebäude in London demonstriert.
Das Gesetzesvorhaben kommt zu einem Zeitpunkt, an dem die Polizei wegen ihres harten Einsatzes bei einer Mahnwache am Wochenende schwer in der Kritik steht. Beamte hatten am Samstagabend bei einer nicht genehmigten Versammlung zum Gedenken an die auf ihrem Nachhauseweg entführte und getötete Sarah Everard in London unter Berufung auf die Corona-Maßnahmen hart eingegriffen und mehrere Menschen festgenommen. Doch die Bilder von mit Gewalt abgeführten und zu Boden gerungenen Frauen führten zu heftiger Kritik an der Polizei.
Polizist wegen Mordfall in U-Haft
Sarah Everard war am Abend des 3. März in Südlondon spurlos verschwunden, als sie von einer Freundin nach Hause ging. Vermutet wird, dass ein tatverdächtiger Polizist auf dem Rückweg von seiner Schicht sie von der Straße entführte und tötete. Mittlerweile wurde ihre Leiche in einem Waldstück in der südostenglischen Grafschaft Kent gefunden. Der mutmaßliche, 48 Jahre alte Täter sitzt in Untersuchungshaft und erschien am Vormittag per Videolink vor Gericht. Der Prozess soll Ende Oktober beginnen, zuvor ist im Juli eine Anhörung angesetzt.
Innenministerin Priti Patel hatte das neue Polizeigesetz gegen die Vorwürfe verteidigt. "Wir haben in den vergangenen Jahren erhebliche Veränderungen in Protest-Taktiken gesehen, wobei Demonstranten Schlupflöcher im Gesetz ausgenutzt haben, die zu einem unverhältnismäßigen Maß an Behinderungen geführt haben", so die konservative Politikerin. Sie bezog sich damit unter anderem auf Proteste der Umweltbewegung Extinction Rebellion.
Für Kritik sorgte auch der Plan, die Höchststrafe für das Beschädigen von Denkmälern auf bis zu zehn Jahre zu erhöhen. Im vergangenen Sommer hatten Demonstranten der Black-Lives-Matter-Bewegung beispielsweise die Statue eines Sklavenhändlers und lokalen Wohltäters in Bristol gestürzt.
Quelle: ntv.de, mau/dpa