Politik

Spahn will per Verordnung regeln Bundestag ringt um Vertrauen ins Impfen

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Spahn will die Impfreihenfolge per Verordnung festlegen.

(Foto: picture alliance/dpa)

Der Impfstoff kommt, aber nicht schnell genug für alle besonders Gefährdeten. Der Bundestag debattiert deshalb, wer über die Empfänger-Reihenfolge entscheiden darf. Die AfD wird von einem Arzt belehrt und Sachsen-Ministerpräsident Kretschmer bemüht sich um gute Stimmung.

Es kommt bei Bundestagsdebatten nicht oft vor, dass der interessanteste Redner am Ende auftritt. In der Aktuellen Stunde zur Umsetzung der Nationalen Impfstrategie Covid-19 ist das mit Sicherheit der Fall, denn das Schlusswort kommt dem CDU-Gesundheitspolitiker Rudolf Henke zu. Der Aachener ist seit 25 Jahren Vorstandsmitglied der Bundesärztekammer und war bis zum vergangenen Jahr mehr als 20 Jahre als Oberarzt tätig. Nachdem die Redner der AfD-Fraktion ihre diffusen Zweifel am Biontech-Mittel und anderen mRNA-Impfstoffen äußern, nimmt sich Henke Zeit zur Aufklärung.

Das Verfahren greife "in die Gene ein", sagt AfD-Mann Steffen Kottré in seiner Rede. "Die messenger-RNA dieser RNA-Impfstoffe wird nach kurzer Zeit von Zellen abgebaut", erläutert Henke. "Sie wird nicht in DNA umgebaut, sie hat auch keinen Einfluss auf die menschliche DNA, weder in Körperzellen, noch in Keimbahnzellen."

Bei der Impfstoff-Zulassung, die sonst mehrere Jahre dauert, seien "notwendige Standards" nicht eingehalten worden, behauptet Kottré. Henke erklärt: "Wir haben doch nur deswegen diese verkürzte Dauer der klinischen Studien, weil es eine so große Zahle von Infizierten gibt." Das sei zum Beispiel bei den seltenen Zika- oder Hi-Viren ganz anders.

Auch Kottrés Warnung vor möglichen Impfschäden weist Henke zurück, weil RNA-Impfstoffe anders als klassische Vakzine ohne Impfstoffverstärker auskämen und mithin weniger gefährlich sein. "Und deswegen sollten Sie sie nicht madig reden", ruft Henke und wirft der AfD "eine Fehlführung der Bevölkerung" vor. Der Vortrag demonstriert, dass Abgeordnete ihre knappe Redezeit auch für gleichermaßen komplexe wie verständliche Erläuterungen anstelle ewig selber Phrasen nutzen können.

Soll der Bundestag mitreden?

Wobei diese Aktuelle Stunde mit zwei Bundesministern und einem Landesminister insgesamt zu einer der besseren Debatten im Bundestag gehört, auch weil es um so viel geht: Das Kernthema, die Festlegung einer Impfreihenfolge der Bevölkerung angesichts noch lange Zeit knapper Impfmittel, entscheidet schließlich über Leben und Tod. Wer durch Covid-19 besonders gefährdet ist, aber nicht zur ersten Gruppe zu Impfender gehört, könnte auf den (hoffentlich) letzten Metern der Pandemie sterben.

Angesichts dieser Tragweite fordern die Fraktionen von FDP, Grünen und Linke, dass der Bundestag diese Priorisierung qua Gesetz mit festlegt. Stand jetzt wird Bundesgesundheitsminister Jens Spahn diese historische Festlegung per Verordnung treffen. Er will sich dabei strikt nach den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (StIKo) und anderer wissenschaftlicher Gremien richten. "Über wesentliche Fragen von Grundrechtsrang muss im Parlament entscheiden werden", beharrt aber der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Stephan Thomae. Seine Fraktion sieht sich in dieser Frage durch ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags bestätigt und will am Donnerstag einen Gesetzentwurf vorlegen.

Spahn wartet noch ab

Die gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Karin Maag, warnt vor einer möglichen Verzögerung des Impfstarts, wenn Bundestag und Bundesrat noch eigens ein Gesetz debattieren und verabschieden müssen. "Die Bundesregierung will uns mit einer Corona-Impfverordnung wieder vor vollendete Tatsachen stellen", hält die stellvertretende Linke-Fraktionschefin Gesine Lötzsch dagegen. "Wir haben doch so oft bewiesen in diesem Parlament, wie schnell es möglich ist, Gesetze zu beschließen."

Jens Spahn kann die Kritik der Opposition erwartungsgemäß nicht nachvollziehen, weil der Bundestag schon mit der Verabschiedung des dritten Bevölkerungsschutzgesetzes die gesetzliche Grundlage für sein Vorgehen geschaffen habe. Dennoch habe er die Unterschrift unter die Verordnung auf Donnerstag, nach Ende der Diskussion im Bundestag, verschoben. Ein Übergehen des Parlaments erkennt Spahn nicht: "Immer, während wir die Debatte führen, beklagen Sie sich, dass wir die Debatte nicht führen." Sabine Dittmer von der SPD argumentiert, dass der Verordnungsweg dem Minister die "nötige Flexibilität" gebe, sollten sich die Rahmenbedingungen ändern - etwa durch mehr Impfmittel in kürzerer Zeit.

Vertrauen hat Priorität

Die Redner aller Fraktionen, mit Ausnahme der AfD, treibt vor allem die Sorge vor einer fehlenden Impfbereitschaft in der Bevölkerung um. So ist anders als in der öffentlichen Debatte der vergangenen Tage im Bundestag weitestgehend Konsens, dass Deutschland keine Notzulassung für das Biontech-Mittel erwirkt hat, sondern den längeren Weg einer ordentlichen Zulassung in der ganzen EU gegangen ist. "Sicherheit geht vor Schnelligkeit", sagt Dittmer.

Weil "aktuell weniger als 50 Prozent sich impfen lassen wollen, müssen wir die Bevölkerung von der Wichtigkeit der Impfung gemeinsam überzeugen", sagt Grünen-Politiker Janosch Dahmen, der als Nachrücker erst vor wenigen Wochen seinen Arztkittel gegen ein Bundestagsmandat eingetauscht hat. "Wir müssen auch über Nebenwirkungen sprechen, die zwar selten sind, die auch nicht schwer sind, die aber vorkommen", sagt Dahmen. Geimpfte müssten eng begleitet werden und wissen, an wen sie sich bei Auffälligkeiten wenden können.

Lob und Dank aus Dresden

Dass die StIKo zuerst die besonders Alten, Pflegeheimbewohner und Pfleger impfen will, wird kaum angefochten. "Das ist richtig so", sagt Heike Baehrens, die Pflegebeauftragte der SPD. Die SPD-Patientenbeauftragte Martina Stamm-Fibich warnt vor Kliniken jenseits der Belastungsgrenze und einer Altenpflege, "die an manchen Orten kurz vor dem Zusammenbruch steht". Stamm-Fibich räumt ein: "Uns ist sehr wohl bewusst, dass sich manche Hochrisikopatienten durch die Priorisierung in der Verordnung übergangen fühlen." Die FDP etwa fordert, dass schwerbehinderte Menschen bei der Priorisierung weiter nach oben rücken.

Neben Spahn sprechen aus der Exekutive auch Forschungsministerin Anja Karliczek und ihr Parteikollege Michael Kretschmer, der Ministerpräsident des derzeit besonders schwer von der Pandemie getroffenen Sachsen. Er verteidigte den neuerlichen bundesweiten Lockdown: "Das ist uns nicht leicht gefallen, aber wir haben gesehen mit dem Blick in die Krankenhäuser, wie dramatisch die Situation ist."

Sein Auftritt, in dem er die Leistungen der Parlamente und Kommunen würdigt, wirkt vor allem wie ein Friedensangebot an den Bundestag, der sich oft vom Gremium der Ministerpräsidentenkonferenz übergangen fühlt. Kretschmer sagt "Danke" für die vielen Finanzmittel, die der Bundestag bereitgestellt hat. Über die durchaus kontroverse Aktuelle Stunde sagt er: "Dass man in diesem Land so zusammensitzt, das unterscheidet uns von vielen anderen Länder (...) und das macht uns stark."

Quelle: ntv.de

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