Aktion kleinerer Bundestag CSU und Linke laufen Sturm gegen die Ampel-Pläne
15.03.2023, 17:51 Uhr
Ein paar Stühle müssen raus: So groß wie jetzt soll der Bundestag nicht bleiben.
(Foto: dpa)
Die Ampelkoalition will den Bundestag verkleinern und dafür das Wahlrecht verändern - und CSU und Linke sehen sich in ihrer Existenz bedroht. Im Zentrum des Streits steht vor allem die geplante Abschaffung der sogenannten Grundmandatsklausel.
Warum soll das Wahlrecht überhaupt reformiert werden?
Über den XXL-Bundestag wird seit Jahren debattiert, passiert ist bislang nichts, was das permanente Wachstum des Parlaments stoppen könnte. Der Grund, warum immer mehr Abgeordnete im Reichstagsgebäude sitzen, sind die im deutschen Wahlrecht vorgesehenen Überhang- und Ausgleichsmandate.
Dazu muss man zunächst den Unterschied zwischen Erst- und Zweitstimme erklären: Mit der Erststimme wird eine Person gewählt, mit der Zweitstimme eine Partei beziehungsweise die sogenannte Landesliste einer Partei. Die Zweitstimme legt fest, wie viele Sitze einer Partei im Bundestag zustehen. Ein Überhangmandat entsteht, wenn eine Partei über die Erststimmen mehr Wahlkreiskandidaten ins Parlament bekommt, als ihr laut Zweitstimmenergebnis pro Bundesland zustehen.
Nach aktueller Regelung ziehen alle Wahlkreisgewinner in den Bundestag ein - gewonnen wird ein Wahlkreis mit einfacher Mehrheit. Damit die Zusammensetzung des Parlaments trotzdem das Ergebnis nach Zweitstimmen abbildet, gibt es für die Überhangmandate der einen Partei Ausgleichsmandate für die anderen.
Was soll sich ändern?
Momentan hat der Bundestag 736 Mitglieder, davon 138 Überhang- und Ausgleichsmandate - so viel wie noch nie. Eigentlich sieht das Bundeswahlgesetz eine Größe von 598 Abgeordneten vor, doch diese Zahl wurde schon seit 1990 nicht mehr eingehalten.
Die Ampelkoalition will die Überhangmandate und damit auch die Ausgleichsmandate abschaffen. Die Sitze im Bundestag sollen komplett anhand der Mehrheitsverhältnisse bei den Zweitstimmen vergeben werden. Das Parlament soll immer 630 Mitglieder haben.
Und die Direktmandate?
Die Zahl von 630 Abgeordneten soll eingehalten werden, indem jede Partei nur so viele Sitze bekommt, wie ihr nach dem Zweitstimmenergebnis pro Bundesland zustehen. Hat sie mit der Erststimme eigentlich Anspruch auf mehr Sitze, ziehen die Direktkandidaten mit den schlechtesten Wahlkreisergebnissen nicht in den Bundestag ein.
Dazu wird in jedem Bundesland für die Wahlkreisgewinnerinnen und -gewinner jeder Partei ein Ranking erstellt: Wer die meisten Stimmen bekommt, steht ganz oben. Nach diesem Ranking werden die Bundestagsmandate verteilt oder eben nicht verteilt. Eine Ausnahme soll es nur für parteiunabhängige Direktkandidaten geben: Wenn sie die meisten Erststimmen im Wahlkreis auf sich vereinen, kommen sie auf jeden Fall in den Bundestag.
Nach Berechnungen der "Zeit" hätte die Union im aktuellen Bundestag 21 Abgeordnete weniger, wenn die geplante Reform schon vor zwei Jahren gegolten hätte. Aber auch die anderen Fraktionen müssten auf Mandate verzichten. Ein Sonderfall ist die Linke. Sie würde der Abschaffung der sogenannten Grundmandatsklausel zum Opfer fallen. Dazu weiter unten mehr.
In einem ersten Entwurf sollte der Bundestag nach den Vorstellungen der Ampel immer 598 Mitglieder haben, wie das Bundeswahlgesetz dies jetzt vorsieht. Die Anhebung auf 630 Abgeordnete begründet die Koalition damit, dass sich so die Wahrscheinlichkeit erhöhe, "dass Wahlkreisbewerber, auf die die meisten Erststimmen entfallen, einen Sitz erhalten".
Die Ampel-Fraktionen halten es für unwahrscheinlich, dass ein Wahlkreis am Ende gar keinen Bundestagsabgeordneten hat. Sie verweisen darauf, dass in der Regel mehrere Abgeordnete aus einem der insgesamt 299 Wahlkreise kommen.
Wie ist das mit der Grundmandatsklausel?
Neu in der jüngsten Version des Entwurfs ist die Abschaffung der Grundmandatsklausel. Dieser Plan der Ampel ist besonders umstritten. Vor allem Linke und CSU laufen Sturm gegen das Vorhaben - hätte es bei der Bundestagswahl 2021 keine Grundmandatsklausel gegeben, wäre die Linke nicht im Bundestag.
Normalerweise gilt die Fünfprozentklausel: Eine Partei, die bundesweit nicht auf 5 Prozent kommt, schafft es nicht in den Bundestag. Die Grundmandatsklausel öffnet hier eine Ausnahme. Eine Partei, die drei Direktmandate erringt, zieht so stark in den Bundestag ein, wie ihr Zweitstimmenergebnis das vorsieht. Nur wegen dieser Klausel hat es die Linke ins Parlament geschafft, denn sie kam 2021 auf 4,9 Prozent, holte aber drei Direktmandate. Auch diese drei Abgeordneten wären nicht im Bundestag vertreten, wenn der Plan der Ampel schon 2021 gegolten hätte. Die CSU erreichte damals bundesweit 5,2 Prozent, sodass durchaus vorstellbar ist, dass eine Abschaffung der Grundmandatsklausel für sie eine Hürde darstellen könnte.
Was sagt die CSU?
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt nannte das Vorhaben der Ampel "Betrug am Wähler" und "absolut verfassungswidrig". In der ARD sagte er, die geplante Streichung der Grundmandatsklausel und der Umstand, dass Gewinner von Wahlkreisen womöglich nicht ins Parlament einziehen, ignorierten eindeutig den Wählerwillen. CSU-Chef Markus Söder drohte damit, die Reform vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe anzufechten.
Was sagt die Linke?
Linksfraktionschef Dietmar Bartsch hält die geplante Wahlrechtsreform für einen "Anschlag auf die Demokratie". Der Wählerwille würde vor allem in Ostdeutschland und Bayern missachtet, meinte Bartsch. Das hätte vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand. "Ich sage ganz klar: Da werden wir auch das Bundesverfassungsgericht bemühen", kündigte Bartsch bei ntv an.
Wie rechtfertigt sich die Koalition?
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich warf der Union vor, eine Reform des Wahlrechts in den vergangenen Legislaturperioden blockiert zu haben. "Heute haben wir die Möglichkeit, den entscheidenden Schritt zu machen, ohne von den Interessen einer Partei aufgehalten zu werden, die nur in einem Bundesland zur Wahl steht", schreibt er in einem Brief an die sozialdemokratischen Abgeordneten im Bundestag mit Blick auf die CSU.
Die Streichung der Grundmandatsklausel begründete Mützenich mit möglichen Klagen dagegen. "Die öffentliche Anhörung hat gezeigt, dass die Grundmandatsklausel heute schon ein Element ist, das weder verfassungs- noch wahlrechtlich begründbar ist", schreibt er. "Sie stellt einen Systembruch dar, da sie den falschen Eindruck einer Personenwahl vermittelt, obwohl die Bundestagswahl eine Verhältniswahl ist. Im neuen Wahlsystem fällt dies noch schwerer ins Gewicht und kann als Einfallstor für eine erfolgreiche Klage gegen das Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht dienen."
Ein Szenario, dass die CSU in Bayern zahlreiche Direktmandate gewinnen und trotzdem nicht in den Bundestag einziehen könnten, ist aus Sicht der Ampel sehr unwahrscheinlich. FDP-Fraktionschef Christian Dürr sagte am Dienstag, alle bei der Bundestagswahl antretenden Parteien müssten über fünf Prozent haben. "Ich halte das für fair." Er verwies darauf, dass es auch im bayerischen Landtag keine Grundmandatsklausel gebe. Mützenich sagte bei einem gemeinsamen Auftritt mit Dürr und Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann, die CSU könne ja "in irgendeiner Form" mit ihrer Schwesterpartei CDU zusammengehen. Auch Haßelmann sagte, die CSU gehe vielleicht mit der CDU "irgendwelche Listenvereinbarungen ein, die man dann neu bewerten muss".
Quelle: ntv.de, hvo/AFP/dpa