Stabile Front, Donezk im Visier Chefgeneral prahlt mit dem hyperschnellen "Dolch"
22.12.2022, 17:43 Uhr
Generalstabschef Waleri Gerassimow erwartet die baldige "Befreiung" des Gebiets Donezk.
(Foto: picture alliance/dpa/Pool Sputnik Kremlin/AP)
Seit einigen Wochen können weder die Ukraine noch Russland größere Fortschritte an der Front vermelden. Aus russischer Sicht anscheinend bereits ein Erfolg: Generalstabschef Gerassimow spricht von einer stabilisierten Frontlinie - und einem Ass im Ärmel der russischen Armee.
Trotz mehrerer Niederlagen im Angriffskrieg gegen die Ukraine sieht die Militärführung in Moskau nach der jüngsten Mobilmachung die eigenen Stellungen in den besetzten Gebieten als gefestigt an. "Unter Berücksichtigung der durchgeführten Maßnahmen zur Stärkung der Kampfkraft der Truppen hat sich die Lage entlang der Frontlinie stabilisiert", sagte Generalstabschef Waleri Gerassimow vor ausländischen Militärattachés.
Demnach hat die Front derzeit eine Länge von 815 Kilometern. Insgesamt hätten russische Truppen "mehr als 1300 kritische Ziele" in der Ukraine getroffen, erläuterte der Chefplaner des russischen Angriffs. Dies habe das "Kampfpotenzial der ukrainischen Streitkräfte erheblich reduziert". Die Angaben lassen sich nicht unabhängig bestätigen.
Der Fokus des russischen Militärs liegt laut Gerassimow derzeit auf der "Befreiung" des Gebiets Donezk. Tatsächlich werden die härtesten Kämpfe derzeit um mehrere Vororte der Industriestadt Donezk und die kleine Industriestadt Bachmut im Norden des Gebiets ausgetragen. Dort erleiden die Ukrainer nach Angaben des 67-Jährigen hohe Verluste.
Die westlichen Waffenlieferungen bezifferte der Generalstabschef auf einen Wert von 100 Milliarden Dollar. Trotzdem sei die ukrainische Luftabwehr hilflos gegen die russischen Hyperschallraketen vom Typ "Kinschal" ("Dolch"), behauptet Gerassimow. Er wies darauf hin, dass die russische Hyperschallrakete in der Ukraine zum ersten Mal unter Kampfbedingungen eingesetzt wird.
Propaganda mit dem Dolch
Der Kreml wirbt gerne mit der Durchschlagsfähigkeit seiner Hyperschallrakete, die erstmals 2018 getestet wurde. Sie wird von Kampfflugzeugen des Typs MiG-31 in großer Höhe abgeschossen und kann nach russischen Angaben Ziele in bis zu 2000 Kilometern Entfernung treffen. Der "Dolch" soll die Schallgeschwindigkeit um ein Mehrfaches übertreffen und mit mehr als 6000 Kilometern pro Stunde angreifen können. Nach Einschätzung der NATO sind solche Raketen mit herkömmlicher Flug- oder Raketenabwehr kaum abzufangen.
Wie viele "Kinschal" Russland bei dem Angriff auf die Ukraine bereits eingesetzt hat oder, ob überhaupt noch welche für einen Einsatz zur Verfügung stünden, ist unklar. Bereits im März wurde ein Video, das einen erfolgreichen Luftschlag der Hyperschallrakete auf ein ukrainisches Munitionsdepot zeigen sollte, als Fälschung entlarvt. Die ukrainische Führung geht derzeit davon aus, dass die russischen Raketenbestände nur noch für wenige Angriffe ausreichen. Nach Meinung des britischen Geheimdienstes feuert Russland bereits alternde Marschflugkörper ab, aus denen die Sprengköpfe entfernt wurden.
Schoigu besucht die Front - oder?
Während Gerassimow in Moskau vor den ausländischen Militärattachés Präsenz zeigte, war Verteidigungsminister Sergei Schoigu nach offiziellen Angaben an der Front. Erst vor wenigen Tagen hatte die Behörde schon einmal eine Inspektionsreise des Ministers an die Front gemeldet, nachdem er zuvor monatelang nicht im Kampfgebiet war. Anschließend stellten unabhängige Medien allerdings fest, dass Schoigu bei dieser Reise lediglich Verteidigungsanlagen auf der seit 2014 von Russland annektierten Krim überflogen hatte, die 80 bis 100 Kilometer von der Front entfernt ist.
Russlands politische und militärische Führung ist bei den Nationalisten in Moskau, auf die sich der Kreml stützt, zuletzt auch dafür in die Kritik geraten, dass sie zu passiv sei. So ist auffällig, dass Kremlchef Wladimir Putin im Gegensatz zum ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj bislang keine Soldaten an der Front besucht hat. Spötter haben ihm den Namen "Bunker-Opa" verpasst.
Quelle: ntv.de, chr/dpa