Implosion der Kriegswirtschaft Heusgen prophezeit Putin "verheerende" Wirtschaftsprobleme
07.07.2024, 15:22 Uhr Artikel anhören
"Putin glaubt nur, dass er einen längeren Atem hat als wir", sagt Christoph Heusgen.
(Foto: picture alliance / Anadolu)
Mit dem Angriff auf die Ukraine stellt Russland auf eine Kriegswirtschaft um. Hunderte Unternehmen produzieren Waffen und andere Militärgüter. Auf Dauer werde dies allerdings zu großen wirtschaftlichen Problemen führen, sagt der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz. Ist das der Weg zum Frieden?
Der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, geht davon aus, dass die Umstellung der russischen Wirtschaft auf eine Kriegswirtschaft zu "volkswirtschaftlich verheerenden" Problemen führen wird, die der Ukraine eine Chance auf Frieden verschaffen könnten. Das antwortet Heusgen in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) auf die Frage, ob er noch einen anderen Weg als militärische Stärke für Frieden sieht. "Putin wird auf Dauer große wirtschaftliche Schwierigkeiten bekommen", ist der frühere Sicherheitsberater von Kanzlerin Angela Merkel überzeugt. "Russland wird das nicht aushalten."
Russland hat seine Industrie mit dem Angriff auf die Ukraine auf eine Kriegswirtschaft umgestellt und begonnen, viele Milliarden Rubel in die Produktion von Rüstungsgütern zu investieren. Allein für den Haushaltsposten Verteidigung gibt der Kreml dieses Jahr umgerechnet etwa 110 Milliarden Euro aus. Hinzu kommen weitere 34 Milliarden Euro für die Bereiche nationale Sicherheit und Sicherheitsorgane.
Insgesamt fließen 38,6 Prozent aller Ausgaben des russischen Staates oder acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts in das Militär. Erstmals investiert Russland mehr Geld in seine Sicherheitsorgane als in Sozialausgaben. Dank dieser Kriegswirtschaft erlebt die russische Wirtschaft einen Boom: Für dieses Jahr wird ein Wachstum von 2,8 Prozent erwartet.
"Russische Wirtschaft braucht ständigen Krieg"
"Heute ist der militärisch-industrielle Komplex die Lokomotive der Wirtschaft", erklärte daher der erste Vizeregierungschef Denis Manturow im Juni auf dem 27. St. Petersburger Internationalen Wirtschaftsforum (SPIEF). Putin habe eine ganze Liste von Anweisungen für die Entwicklung des Rüstungssektors unterschrieben, um noch mehr Waffen und Munition zu produzieren, führte der Politiker aus. Das Land stelle sich auf eine jahrzehntelange Kriegswirtschaft ein.
Das allerdings kann selbst nach Meinung russischer Ökonomen zu großen Problemen führen. "Russlands Wette auf seine Militärindustrie ist riskant, weil sie nicht nachhaltig ist", erklärte beispielsweise Alexandra Prokopenko, eine frühere Beraterin der russischen Zentralbank, jüngst im Gespräch mit ntv.de. "Mittelfristig sind Probleme zu befürchten, weil der militärisch-industrielle Komplex immer mehr Investitionen erfordert. Wenn dieser Komplex der Motor der Wirtschaft sein soll, braucht er eine konstante Nachfrage. Die Quelle der Nachfrage für die Produkte des militärisch-industriellen Komplexes ist die Armee selbst. Also braucht Russland für seine Wirtschaft den ständigen Krieg."
"So wird der Krieg verlängert"
Der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz fordert daher mehr Druck der USA, der EU und der NATO auf Staaten wie China, Indien oder die Türkei, die weiterhin mit Russland Geschäfte machten. "So wird der Krieg verlängert", kritisiert Heusgen im Interview mit dem RND.
"Jeden Tag sterben russische Soldaten", führt Heusgen aus. Das würden über kurz oder lang auch die Menschen in Moskau und St. Petersburg mitbekommen. "Putin glaubt nur, dass er einen längeren Atem hat als wir. Wir müssen beweisen, dass er falsch liegt", sagt er. "Und das haben wir als Bündnis doch geschafft im Kalten Krieg. Wieso glauben wir, dass wir das jetzt nicht schaffen können?"
Quelle: ntv.de, chr