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Die SPD führt jetzt die Truppe Das kommt auf die neue Verteidigungsministerin zu

Lambrecht bei ihrer Amtsübernahme am Sitz des Verteidigungsministeriums.

Lambrecht bei ihrer Amtsübernahme am Sitz des Verteidigungsministeriums.

(Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild)

Bei ihrer Vorstellung sagt Christiane Lambrecht, ihre Nominierung werde für viele eine Überraschung sein. Nun leitet die SPD-Politikerin das anspruchsvolle, eher konservative Verteidigungsressort. Das könnte zu Spannungen in ihrer Partei führen. Doch die Besetzung ist auch eine Chance.

Es ist selten, dass der Bendlerblock so viel Aufmerksamkeit erfährt wie vor wenigen Tagen, beim Großen Zapfenstreich für die Kanzlerin. Trommeln und Trompeten vor diesem wuchtigen Gebäude in Berlin, Millionen Fernsehzuschauer verfolgten den Abschied von Angela Merkel. Wer es nicht besser wusste, konnte den Eindruck gewinnen, dies sei das Zentrum der deutschen Politik. Doch mittlerweile dürfte es wieder ruhiger sein am Sitz des Verteidigungsministeriums.

Weitaus ruhiger, sicherlich. Aber für Christine Lambrecht, die neue Ressortchefin, sollten die kommenden Jahre alles andere als langweilig werden. Das liegt an leidigen Problemen wie der Ausstattung und Aufstellung der Truppe sowie dem Ansehen der Bundeswehr. Das könnte aber auch an Lambrechts eigener Partei liegen, der SPD. Waren es doch die Sozialdemokraten im Bundestag, die zwei zentrale sicherheitspolitische Vorhaben der Ampelregierung vor Monaten noch ganz anders bewerteten als heute.

Bewaffnete Drohnen und US-Atombomben

Da sind erstens die bewaffneten Drohnen. Unter Fraktionschef Rolf Mützenich, der in der Vergangenheit immer wieder Akzente in der Verteidigungspolitik setzte, blockierte die SPD eine Anschaffung. Eine Anschaffung, wie sie von der Union und Vertretern der Wehr gefordert wurde und wie sie nun im Koalitionsvertrag steht. In der Fraktion selbst sorgte die Debatte im Dezember 2020 für Verwerfungen: Der über Parteigrenzen hinweg angesehene SPD-Sicherheitsexperte Fritz Felgentreu, ein Befürworter der Waffensysteme, legte sein Amt als verteidigungspolitischer Sprecher nieder. Mit dem Ende der Legislaturperiode verließ er das Parlament, und es bleibt die Frage, ob die Fraktion einen realpolitischeren Kurs in der Sicherheitspolitik ohne Murren mittragen wird. Der SPD-Parteitag vom vergangenen Wochenende jedenfalls lässt Gegenteiliges vermuten: Aufgerufen wurde dort ein Antrag aus Bayern mit dem Titel "Keine bewaffneten Drohnen für die Bundeswehr!". Nun will der Parteivorstand über die Sache beraten.

Ähnlich verhält es sich zweitens mit der nuklearen Teilhabe. Auch hier war es vor allem Mützenich, der öffentlich auf einen Abzug der US-Atomwaffen aus Rheinland-Pfalz pochte. Noch im Oktober kritisierte er die damalige Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, weil die CDU-Politikerin sich zur Beteiligung an der atomaren Abschreckung der NATO bekannt hatte. Kramp-Karrenbauer drehe an der "Eskalationsschraube" mit Russland, sagte der Fraktionschef.

Vor dem Hintergrund der Spannungen an der russisch-ukrainischen Grenze wird das Thema eher nicht an Relevanz verlieren. Es bleibt ein sensibles für die SPD: Während sich Teile der Partei gegen die nukleare Teilhabe sträuben, will die neue Regierung offenbar an ihr festhalten. Im Koalitionsvertrag heißt es: "Wir werden zu Beginn der 20. Legislaturperiode ein Nachfolgesystem für das Kampfflugzeug Tornado beschaffen. Den Beschaffungs- und Zertifizierungsprozess mit Blick auf die nukleare Teilhabe Deutschlands werden wir sachlich und gewissenhaft begleiten." Im Gespräch ist der Kauf von US-Militärfliegern des Typs F/A-18 "Super Hornet", die im Fall der Fälle US-Atombomben abwerfen könnten.

"Das wird ein permanenter Kampf"

Doch das Regierungsprogramm birgt ebenso die Chance für die SPD, sich in der Verteidigungspolitik neu zu profilieren. So steht dort neben dem erwartbaren Bekenntnis zur NATO etwa die Absicht, dass Auslandseinsätze regelmäßig geprüft werden sollen. Das würde etwa für die laufenden Missionen in Mali gelten. Weiterhin soll Berlin Beobachter, wenn auch nicht Mitglied des Atomwaffenverbotsvertrags werden: Ein Abkommen, das Anfang dieses Jahres in Kraft trat, mit dem Ziel einer atomwaffenfreien Welt. Da Deutschland - wie die Nuklearmächte - das Papier ablehnte, ist der Einstieg in den Beobachterstatus bemerkenswert. Offen bleibt indes, wie sich das mit der nuklearen Teilhabe verträgt.

Es sind Fragen wie diese, die Lambrecht beantworten muss. "Die Ministerin wird schon bald erste Gespräche führen und international erklären müssen, was Berlin in den kommenden Jahren vorhat", sagt Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Das wird wohl auch das Zwei-Prozent-Ziel der NATO betreffen, das im Koalitionsvertrag nicht auftaucht. Generell, so Mölling, müsse Lambrecht die Finanzierung ihrer Politik vor Bündnispartnern erläutern, etwa mit Blick auf die Ausstattung der Truppe. "Die Ministerin muss ab Tag eins Geld besorgen für all ihre Ambitionen", meint der Außen- und Sicherheitsexperte. "Das wird ein permanenter Kampf."

SPD-Linke zieht in konservatives Haus

An der bundespolitischen Erfahrung Lambrechts sollte es nicht scheitern. Die 56-Jährige sitzt seit 1998 im Parlament, in der vorigen Regierung war sie zunächst Staatssekretärin im Finanzministerium, dann Justizministerin und schließlich obendrein kommissarische Leiterin des Familienressorts. Eigentlich hatte sie bereits ihren Abschied aus der Berliner Politik angekündigt. Dass sie in ihrer Karriere keinen nennenswerten Kontakt mit der Verteidigungspolitik hatte, kann Lambrecht durch gute Führung wettmachen. Mit Siemtje Möller und Thomas Hitschler als Parlamentarische Staatssekretäre nimmt sie zwei Fachleute mit in den Bendlerblock.

Dort wird Lambrecht, die dem linken SPD-Flügel angehört, auf ein eher konservatives Haus treffen. "Das betrifft Struktur und Mentalität", sagt Mölling. Entscheidend sei, ob die Ministerin mit dem alten Personal weitermache oder auf einen Neuanfang setze. Wie die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" berichtet, herrscht dem Vernehmen nach bereits Unmut, weil langjährige Mitarbeiter gehen mussten.

Hinzu kommen die Nachwuchsprobleme der Truppe. Sie konkurriere mit der freien Wirtschaft um Spezialisten, so Mölling, es müsse deshalb künftig mehr Geld in den Personalhaushalt der Wehr fließen. "Deutschland hat 20 Jahre lang nicht ausreichend investiert." Die bisherige Finanzplanung des Bundes sieht ein insgesamt schrumpfendes Verteidigungsbudget vor: von aktuell 46,9 auf 46,7 Milliarden Euro im Jahr 2025. Ohne einen steigenden Etat würde laut Mölling jedoch auch die Modernisierung auf der Strecke bleiben.

Modernere Ausrüstung und ein moderneres Beschaffungswesen sind Ziele, an denen Lambrecht gemessen werden wird. Hier sei die Ministerin jedoch mitunter vom Parlament abhängig, meint Mölling, weil gesetzliche Rahmenbedingungen, etwa für das Ausschreibungsrecht, verändert werden müssten.

Akzeptanz für die Wehr - und die SPD

Anders ist das beim Ansehen der Truppe, wo es für Besserung vor allem kommunikative Überzeugungsarbeit braucht. Denn während die Existenz der Streitkräfte zwar im Grundgesetz verankert ist, wird die Debatte über sie seit Jahren von mitunter existenziellen Fragen bestimmt: Wofür braucht es die Bundeswehr? Und davon abgesehen: Wie zeitgemäß sind Fackelmärsche?

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Beides wird bleiben und ist notwendig - die Diskussion über die Rolle und das Auftreten der rund 180.000 Soldatinnen und Soldaten genauso wie die Aufmerksamkeit für verfassungsfeindliche Tendenzen. Und gerade weil Lambrechts eigene Partei zuletzt merklich mit dem Militär fremdelte, kommen auf die neue "Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt" spannende Jahre zu.

Jahre, in denen Lambrecht nicht nur mehr Akzeptanz für die Truppe, sondern auch für die SPD als sicherheitspolitische Kraft zurückgewinnen kann. Dass neben dem Verteidigungsressort ebenso das Innenministerium von einer Sozialdemokratin geleitet wird, dürfte für die Partei dabei nicht von Nachteil sein.

Quelle: ntv.de

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