Politik

Interview zum Unionskompromiss "Das spielt der AfD in die Hände"

Schwieriges Verhältnis: Seehofer und Merkel.

Schwieriges Verhältnis: Seehofer und Merkel.

(Foto: dpa)

Die Einigung mit der Kanzlerin ist ein Erfolg für Innenminister Seehofer. Aber war es dafür nötig, eine Regierungskrise auszulösen? "Nein", sagt Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter. Das Verhältnis zwischen Merkel und Seehofer hält er für nachhaltig zerstört.

n-tv.de: Die Unionsparteien haben einen Kompromiss vereinbart. Ist das Ergebnis aus Sicht der CSU ein Erfolg?

Heinrich Oberreuter: Die CSU hat eine Lösung gekriegt, die die Einreise von mit problematischem Einreisestatus versehenen Personen ins Innere des Landes verhindert. Leute, die die Transitzonen betreten, sind quasi auf neutralem Boden und haben keinen Anspruch auf ein langes Asylverfahren. Sie können auch nicht einfach verschwinden, wenn der Bescheid negativ ausgeht. Außerdem soll durch Verwaltungsabkommen ermöglicht werden, andere Personengruppen an der Grenze zurückzuweisen. Das kann man als Erfolg der CSU bezeichnen. Dass das Ganze in Abkommen mit europäischen Staaten eingebettet ist, ist ein Erfolg für Angela Merkel.

Seehofer erklärte Sonntag intern seinen Rücktritt, zog dann zurück. Hat er die Kanzlerin damit nicht indirekt erpresst?

Der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter war Direktor der Akademie für Politische Bildung in Tutzing. Er ist CSU-Mitglied.

Der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter war Direktor der Akademie für Politische Bildung in Tutzing. Er ist CSU-Mitglied.

(Foto: picture alliance / dpa)

Ich weiß nicht, ob man das so interpretieren kann. In Berlin dürfte der eine oder andere darauf mit Achselzucken reagieren. Seehofer hat mit dem Rücktritt doch vor allem seinen eigenen Parteivorstand unter Druck gesetzt. Offensichtlich hat er dieses Instrument aus dem Köcher gezogen, weil ein Teil der Gremienmitglieder seine Linie nicht unterstützt hat. Auch innerhalb der CSU ist die Frage aufgetreten, ob ein Festhalten am Parteivorsitz Seehofers der Weisheit letzter Schluss ist.

Die zwischen Merkel und Seehofer vereinbarten Punkte sind lediglich Absichtserklärungen, die nicht "wirkungsgleich" mit sofortigen Zurückweisungen sind. Es gibt noch keine Absprachen mit Italien und Österreich, die Transitzentren müssen noch gebaut werden. Nach dem EU-Gipfel hat die CSU Merkel vorgeworfen, Absichtserklärungen als Erfolge zu verkaufen. Warum soll dies also nun ein Erfolg für Seehofer sein?

Sie legen den Finger in die Wunde. Wer die Dinge aufmerksam verfolgt hat, der weiß, dass eine Absichtserklärung nur durch eine andere ersetzt worden ist. Seehofers Erfolg besteht darin, dass das nun in Übereinstimmung mit der Kanzlerin geschehen wird. Sie hat vorher schon von einigen EU-Partnern die Bereitschaft erhalten für entsprechende Abkommen. Durch Seehofer - das ist eine List der Geschichte - muss nun zum Beispiel Österreich durch ein Abkommen dazu bewegt werden, Personen aus Italien entgegenzunehmen und zu beherbergen, die keine Einreiseberechtigung nach Deutschland haben. Da ist vieles offen. Aber CDU und CSU haben Übereinkunft in eine restriktive Richtung erzielt. Es drängt sich nur die Frage auf: War es dafür nötig, eine Regierungskrise auszulösen?

Und war es das?

Nein, das war es überhaupt nicht wert. Es bleibt ein tief beschädigtes Verhältnis einer politischen Aktionsgemeinschaft zurück. Die Unionsfraktion hat deutlich erklärt, dass sie aufgrund einer 70-jährigen gemeinsamen Erfahrung zusammenbleiben will und muss. Wenn die Fraktion sich nicht so auf die Hinterbeine gestellt hätte, dann wäre der abendliche Konsens schwer zu erzielen gewesen. Noch stärker beschädigt ist das Verhältnis zwischen Merkel und Seehofer. Wenige Stunden vor dem Gespräch hat Seehofer der "Süddeutschen Zeitung" mitgeteilt, was er von der Kanzlerin hält.

Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit ist jetzt definitiv nicht mehr möglich?

Ich kann mir in Zukunft keine vertrauensvolle Kooperation zwischen den beiden vorstellen. Die beiden haben schon in den vergangenen Jahren nicht vertrauensvoll zusammengearbeitet. Aber sie sind nicht als Persönlichkeiten oder als Parteisoldaten im Verfassungssystem unterwegs, sondern als Amtsträger. Ihr Auftrag ist es, das Gemeinwohl zu befördern. Das müssen Politiker wieder lernen. Helmut Schmidt hat auf einem Parteitag mal den Jusos zugerufen: Ich bin nicht Kanzler der Jungsozialisten oder der SPD, sondern Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. Seit Jahrzehnten lässt sich ein Sittenverfall beobachten und eine Parteipolitisierung öffentlicher Ämter, das zu einem Verdrängen der Gemeinwohlorientierung geführt hat. Dem muss deutlich entgegengetreten werden.

Das klingt nicht gerade euphorisch. Ist diese Einigung mal wieder nur ein Kompromiss zwischen CDU und CSU, der nicht allzu viel wert ist?

Es ist ein Kompromiss, der eine augenblickliche Situation befriedet und Chancen in sich birgt, das Problem zu lösen. Eine Garantie ist es jedoch nicht. Das Problem an sich, die unkontrollierte Einwanderung, ist bisher noch nicht vom Tisch. Es gibt nur eine Marschroute für die Unionsparteien. Aber wir wissen ja noch gar nicht, ob sich die SPD darauf einlässt. Die Gestaltung der Transitzentren wird umstritten sein. Die einen werden Stacheldrahtzaun drum herum haben wollen, andere werden dies für menschenrechtsfeindlich halten.

Mal angenommen, Sie würden die SPD beraten. Können die Sozialdemokraten sich nach diesem wochenlangen Streit überhaupt leisten, nicht zuzustimmen?

Die SPD ist in einer wahnsinnig schwierigen Situation. Durch den Streit der Unionsschwestern ist das nur vorübergehend in den Hintergrund gerückt. Die SPD hat aus zwei Gründen kein Interesse an einer Regierungskrise. Erstens: Die Öffentlichkeit und auch die Mehrheit der Anhänger der SPD wünschen sich ein geordneteres Verfahren im Umgang mit Migranten. Das muss die Führung der Partei beachten. Zweitens: Die SPD steht auf dem Wählermarkt gerade nicht besonders gut da. In Umfragen liegt sie bei unter 20 Prozent. In dieser Situation käme es einem Harakiri gleich, Neuwahlen zu riskieren. Insofern ist Andrea Nahles unter Zugzwang.

Auch die CSU hat in Umfragen zuletzt verloren. Im Streit um die Flüchtlingspolitik erhält Seehofer den größten Zuspruch von AfD-Anhängern. Kann eine solche Anbiederungsstrategie erfolgreich sein?

Ich weiß nicht, ob man da von einer Anbiederungsstrategie sprechen kann. Positionen werden nicht dadurch irrig, dass auch die AfD sie unterstützt. Auch als aufgeklärter Liberaler muss man Begriffe wie Patriotismus oder Grenzsicherheit in den Mund nehmen dürfen, ohne gleich in irgendeine Ecke bugsiert zu werden. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass Seehofer so viel Zuspruch von AfD-Anhängern erhält. Schwierig ist aus meiner Sicht die Art und Weise des Konfliktes; nicht der Inhalt, sondern die Form. Dieser Streit hat das Vertrauen in das politische System und die Glaubwürdigkeit des politischen Personals erheblich erschüttert. Das spielt der AfD in die Hände, denn sie instrumentalisiert das Protestpotenzial jener Menschen, die auf Distanz zur Demokratie gehen. Man hätte sich deshalb schon überlegen müssen, ob es sinnvoll ist, einen Konflikt so zuzuspitzen.

Mit Heinrich Oberreuter sprach Christian Rothenberg

Quelle: ntv.de

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