Politik

Ukrainekrise bei Lanz "Das war eine Geste und kein Geschenk"

Bildmaterial des russischen Verteidigungsministeriums soll den Rückzug russischer Panzer zeigen.

Bildmaterial des russischen Verteidigungsministeriums soll den Rückzug russischer Panzer zeigen.

(Foto: AP)

Russland kündigt die Verlegung eines Teils der Truppen an der ukrainischen Grenze an. Ist Putin wirklich an einer Entspannung interessiert oder trickst er? Der ukrainische Botschafter in Deutschland mag den Signalen aus dem Kreml nicht trauen. Aber immerhin gebe es noch eine Chance für die Diplomatie, betont er bei Markus Lanz.

Beim Antrittsbesuch von Bundeskanzler Olaf Scholz in Moskau sind die Differenzen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht zu übersehen. Immerhin bekräftigen beide Politiker danach, eine Lösung der aktuellen Krise zwischen Russland und der Ukraine durch Verhandlungen herbeiführen zu wollen. Wie es angesichts der angespannten Situation weitergeht, war am Dienstagabend auch Thema bei Markus Lanz und seinen Gästen im ZDF.

"Der Abzug muss genau beobachtet werden"

Die sind sich zunächst mal in einem Punkt einig: Was es mit dem angekündigten Abzug der russischen Truppen an der ukrainischen Grenze auf sich hat, kann noch nicht objektiv beurteilt werden. Das ist noch zu früh. Besonders der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk hat seine Zweifel. Möglicherweise werde Russland seine Truppen nur von einem Ende zum andern verlegen. Möglich sei auch, dass die Soldaten zwar abrückten, Kampfmittel aber einsatzbereit vor Ort ließen, um sie schnell wieder einsetzen zu können. "Der Abzug muss genau beobachtet werden", fordert er.

Ähnlich sieht es auch Daniela Schwarzer. Sie ist Politologin und arbeitet für die "Open Society Foundations", eine von dem Milliardär George Soros gegründete Gruppe von Stiftungen. Deren Ziel ist nach eigenen Angaben, den Gedanken einer "offenen Gesellschaft" vor allem in den Ländern Ost- und Mitteleuropas zu fördern. Dabei unterstützen sie unter anderem Projekte zum Aufbau und Erhalt einer freien Marktwirtschaft. Schwarzer ist genau wie der FDP-Außenpolitikexperte Alexander Graf Lambsdorff der Ansicht, man müsse genau beobachten, ob die russischen Truppen wirklich abgezogen oder nur verschoben würden. Die aktuellen Bilder böten auch weiterhin Anlass zur Besorgnis, erklärt Schwarzer. Die Truppen an der ukrainischen Grenze seien weiterhin einsatzbereit. Das habe sich durch die Bewegung einiger Panzer nicht verändert. Hoffnung macht ihr allerdings das gestrige Gespräch zwischen Putin und Scholz. Anders als bei ähnlichen Treffen mit anderen Politikern sei die anschließende Pressekonferenz "durchaus harmonisch" verlaufen.

Vorsichtig optimistisch ist auch Andrij Melnyk. Er formuliert das auf seine Weise: "Es ist ein Tag, den man lebendig hinter sich gebracht hat. Und für die Ukraine war es zumindest kein schlechter Tag." Schon seit Jahren lebten seine Landsleute in einer surrealen Welt. Auf der einen Seite herrsche eine Mischung aus Angst und Verunsicherung, auf der anderen gebe es aber auch Entschlossenheit und Kampfgeist. Die Menschen seien bereit, ihre Heimat zu verteidigen - mit allen Mitteln. "Sie lieben ihr Land so sehr, dass sie die Unabhängigkeit nicht mehr verlieren wollen."

"Botschaft in Kiew nicht gut angekommen"

Deswegen sei der Besuch von Olaf Scholz in Moskau so wichtig gewesen, so Lambsdorff. Und er lobt: Scholz habe von der "verdammten Pflicht aller" gesprochen, den Frieden in Osteuropa aufrechtzuerhalten. Besonders wichtig ist für ihn die Klarstellung, dass die Ukraine auf lange Sicht kein NATO-Mitglied werden könne.

Damit ist Melnyk überhaupt nicht einverstanden. Es könne nicht sein, dass jeder Staat Mitglied der NATO werden könne, nur der Ukraine werde die Tür schon vorher vor der Nase zugeschlagen. "Wir wollen in ein Bündnis, in dem wir uns sicher fühlen. Die andere Option wäre, sich selbst zu schützen." In der Hauptstadt Kiew sei die Ankündigung des deutschen Bundeskanzlers jedenfalls nicht gut angekommen.

"Für Putin ist die Ukraine ein Dorn im Auge", erklärt Melnyk. "Er möchte in die russische Geschichte eingehen als der zweite Peter der Große. Das sind seine Wahnvorstellungen." Auch wenn die anderen Gäste der Sendung mit dem Wort "Wahnvorstellungen" nicht recht einverstanden sind, im Grunde stimmen sie Melnyk zu. Während sich in Russland in den letzten Jahren ein autokratisches System etabliert habe, sei die Gesellschaft in der Ukraine frei. Deswegen glaubt Schwarzer auch, dass es eines militärischen Einmarschs in der Ukraine gar nicht bedürfe. "Möglicherweise reicht es Putin, dass dort ein Machthaber sitzt, der seinen Blick nach Osten hat."

"Wir sind der Schreiende in der Wüste"

Melnyk kritisiert, dass es seit anderthalb Jahren keine Gespräche zwischen dem ukrainischen Präsidenten Selenskyi und Putin mehr gegeben habe. Deswegen sei es die Pflicht Frankreichs und Deutschlands, in der Krise diplomatisch zu vermitteln. Es gebe jetzt gewisse Anzeichen von Entspannung, und einen Krieg werde es wohl nicht geben - morgen oder übermorgen. "Aber es gibt keine Garantie, dass Putin wirklich auf Entspannung setzt. Das war heute eine Geste, aber kein Geschenk."

Für den Fall, dass es doch zu einem Krieg komme, fordert Melnyk am Ende Deutschland erneut zu Waffenlieferungen auf. Dabei gehe es um Verteidigungswaffen, jedoch auch um Abschreckung. "Es geht darum, dass dieser Krieg ausbrechen kann, und dann bleibt auch Deutschland nicht verschont. Wir sind der Schreiende in der Wüste, um darauf hinzuweisen: Die Lage ist sehr ernst", so Melnyks Fazit.

Quelle: ntv.de

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