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Nach dem Wagner-Aufstand Der Gewinner des Tages heißt Alexander Lukaschenko

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Stelldichein der Diktatoren: Lukaschenko und Putin bei einem Treffen in Sotschi am 9. Juni.

Stelldichein der Diktatoren: Lukaschenko und Putin bei einem Treffen in Sotschi am 9. Juni.

(Foto: AP)

Nach dem Aufstand der Wagner-Söldner sind vielen Fragen offen - klar ist aber: Der belarussische Diktator kann sich wieder einmal als Friedensstifter inszenieren. Auch wenn es Hinweise gibt, dass er bei den Verhandlungen nur eine Nebenrolle gespielt hat.

Die bombastischen Ereignisse des gestrigen Tages lassen viele Beobachter mit offenen Mündern zurück. Der bewaffnete Aufstand der Wagnertruppe gegen Moskau, den manche schon für den Beginn eines Bürgerkriegs hielten, war so abrupt wieder vorbei, wie er begonnen hatte. Und das nicht durch die in Aussicht gestellte Niederschlagung, sondern durch eine vom belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko vermittelte Absprache.

Noch sind viele Details unklar, was sich da gestern vor den Augen der Welt tatsächlich abgespielt hat. Wie konnte es so weit kommen, dass Prigoschins Söldnertruppe offenbar ohne größere Widerstände bis wenige hundert Kilometer vor Moskau vorrückten - übrigens symbolträchtig an einem 24. Juni: dem Tag, an dem auch Napoleon einst seinen Russlandfeldzug begann? Hatte "Putins Koch" wirklich erwartet, dass die reguläre Armee, in deren Reihen seine Kritik an den Defiziten der Kriegsführung mutmaßlich geteilt wird, sich ihm spontan in Scharen anschließen würde? War es tatsächlich ein Anruf aus Minsk, der ihn so schnell von seinen Plänen ab- und wieder zur Vernunft brachte? Und ist es echt einfach vorbei, als wäre nichts gewesen?

Ist Belarus nur ein Zwischenstopp?

Letzteres kann wohl ausgeschlossen werden. Zwar stellte der Wagner-Aufstand nach den immer offener zutage getretenen Machtkämpfen innerhalb der russischen Sicherheitsstrukturen in aller Klarheit die "Vertrauensfrage" - und beantwortet sie für den Moment. Die Wagner-Söldner müssen sich dem Verteidigungsministerium unterordnen, die Armee und andere Kräfte, wie der tschetschenische Regionaldiktator Ramsan Kadyrow, betonten ihre Loyalität. Doch dass ein Mann, der Moskau mit Waffengewalt vorführt und dem Land mitten im Krieg, wie Putin selbst sagte, das "Messer in den Rücken sticht" nun friedlich in den Ruhestand versetzt wird, ist kaum vorstellbar.

Bemerkenswert ist hingegen, dass ausgerechnet Lukaschenko "ein Massaker verhindert" und die Lösung verhandelt haben soll: Die rebellischen Söldner bleiben straffrei und ihr Chef "geht nach Belarus". Was genau dies bedeutet, ist zwar ebenfalls unklar. Wird er dort bleiben oder ist dies ein Zwischenstopp? Ist Teil des Deals, dass er sich ins Private zurückzieht oder ist es gar Lukaschenkos Kalkül, ihn zum Aufbau einer eigenen Privatarmee in Belarus zu nutzen, die sein Regime sichert? Stimmen der unabhängigen belarussischen Presse lehnen die Entscheidung, ihn "aufzunehmen", jedenfalls vehement ab.

Das Medium Zerkalo etwa kommentiert, dass Belarus, durch die Aufnahme dieses "Monsters" noch tiefer in den Krieg hineingezogen, zum Ziel von Vergeltungsangriffen der Ukraine werden könnte. Noch am Vormittag hatten die demokratischen Kräfte um Swetlana Tichanowskaja die belarussischen Sicherheitskräfte aufgerufen, sich nicht an innerrussischen Machtkämpfen zu beteiligen, sondern bereit zu sein, die Heimat von der Diktatur und aus dem Orbit des Kremls zu befreien. Am Abend desselben Tages wirkt ausgerechnet Lukaschenko als der einzige Gewinner.

Lukaschenko inszeniert sich wieder als Friedensstifter

Zwar gibt es Hinweise, dass er selbst bei den Verhandlungen zwischen Moskau und Prigoschin nur eine Nebenrolle gespielt hat. Doch nach außen kann und wird er den Erfolg für sich reklamieren. Ihm dürfte dieses Ergebnis besonders zupasskommen, da er damit zumindest propagandistisch an seine frühere Politik anknüpfen kann.

Schon nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim hatte sich Minsk als "ehrlicher Vermittler" positioniert, der Gegner zusammenbringt und Lösungen der regionalen Sicherheit erarbeitet. Auch nach dem 24. Februar 2024 bot sich das Regime als Ort der Verhandlungen an, erste Gespräche fanden tatsächlich in Belarus statt. Nun kann Lukaschenko sich erneut als Friedensstifter inszenieren, der diesmal sogar den "großen Bruder" vor dem Verderben bewahrt hat. Dies stärkt für den Moment seine Position - auch gegenüber Moskau. Mittelfristig ist dies jedoch bestenfalls ein Pyrrhussieg. Sein Regime hängt massiv von der Unterstützung des Kremls ab und der wiederum ist durch die Revolte sichtbar geschwächt.

In jedem Fall führt der gestrige Tag wieder einmal vor Augen, dass angesichts eines laufenden Krieges weiterhin immer wieder plötzliche, auch für undenkbar gehaltene Entwicklungen möglich sind, von friedlichen Wundern bis zu blutigen Katastrophen. Für die westliche Politik bedeutet dies einmal mehr, sich auf eine breite Palette von Szenarien vorzubereiten, um mögliche Chancen nutzen zu können und das Rad der Geschichte, wenn es sich in Bewegung setzt, nach Möglichkeit in Richtung des Guten zu drehen.

Jakob Wöllenstein leitet das Auslandsbüro Belarus der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz im litauischen Vilnius.

Quelle: ntv.de

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