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Greift Moskau heute Moldau? "Der Kreml kauft Leute, die hier Chaos stiften"

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Polizisten im Streit mit Anhängern der pro-russischen Oppositionspartei "Sieg" während einer Demonstration in Moldaus Hauptstadt

Polizisten im Streit mit Anhängern der pro-russischen Oppositionspartei "Sieg" während einer Demonstration in Moldaus Hauptstadt

(Foto: IMAGO/SNA)

Moldau wählt eine neue Regierung und der Kreml will entscheiden, wie es ausgeht. Er schürt Angst in der Hauptstadt, flutet Tiktok mit Desinformation und kauft Stimmen für pro-russische Kräfte. Wie groß die Gefahr ist, erklärt Osteuropa-Expertin Brigitta Triebel, die in Chisinau das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung leitet.

ntv.de: Frau Triebel, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat in seiner Rede in New York vehement davor gewarnt, dass Europa Moldau an Russland verlieren könnte. Was würde das bedeuten?

Brigitta Triebel: Die Republik Moldau war jetzt fast drei Jahrzehnte lang pro-europäisch eingestellt und damit stabil. Falls nun eine Regierung an die Macht kommt, die mit Moskau zusammenarbeitet, dann ist das - erstens - bedrohlich für die Ukraine. Die Russen könnten dann auch von Moldau aus angreifen - hybrid oder sogar militärisch. Der Flughafen Chisinau wird da immer genannt, denn von dort könnte man recht schnell nach Kiew vorstoßen. Zugleich würde das russische Einflussgebiet näher an die EU-Außengrenze rücken. Für Rumänien wäre das ein großes Problem. Das Land ist Moldau durch Sprache und Kultur eng verbunden. Wenn Moldau plötzlich pro-russisch wird, würde das auch in Rumänien für Spannungen sorgen. Zudem hat Maia Sandu in der EU so viel Vertrauen aufbauen können in den vergangenen Jahren. Moldau ist ein vielversprechender Beitrittskandidat. Die EU braucht solche Erfolgsgeschichten.

Wie groß ist die Gefahr, dass Kreml-Freunde an die Macht kommen?

Die Partei von Präsidentin Maia Sandu, die ihr Land in die EU bringen will, liegt in aktuellen Umfragen bei 30 Prozent. Allerdings leben zehn bis 15 Prozent der Wahlberechtigten Moldauer im Ausland. Deren Votum ist dort nicht eingeflossen, und das wird ganz entscheidend sein für den Ausgang der Wahl.

Über 30 Prozent würde Kanzler Friedrich Merz sich derzeit sehr freuen.

Der Wert ist gut, doch Sandus Problem ist: Ihrer Partei fehlt ein vertrauenswürdiger Partner für eine Regierungskoalition. Die drei großen Oppositionsparteien pflegen alle Verbindungen in den Kreml. Sie wollen weder den Rechtsstaat entwickeln, noch die Korruption bekämpfen und Moldau auch nicht in die EU integrieren. Das würde ihre eigene Macht beschneiden. Für diese Vorhaben kann Sandu mit niemandem zusammenarbeiten, sie steht damit ganz allein da. Bislang hat ihre "Partei für Aktion und Solidarität" mit absoluter Mehrheit allein regieren können. Das wird sie bei den jetzigen Wahlen aber nicht mehr schaffen.

Wie kommt das?

Sandus Partei musste mit Beginn ihrer Regierungszeit gleich zwei Krisen bewältigen: die Corona-Pandemie und dann den Ukrainekrieg. Bis zur russischen Invasion in der Ukraine hat Moldau sein Gas billig aus Russland bezogen. 2022 hat der Kreml die Gaslieferungen nach Moldau dann komplett gestoppt. Von einem Tag auf den anderen musste das Land Gas am internationalen Markt kaufen.

Brigitta Triebel ist Leiterin des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung der Republik Moldau. Zuvor leitete sie das Büro Ukraine, seit dem russischen Angriff 2022 von Deutschland aus.

Brigitta Triebel ist Leiterin des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung der Republik Moldau. Zuvor leitete sie das Büro Ukraine, seit dem russischen Angriff 2022 von Deutschland aus.

Wo insgesamt ja eine enorme Nachfrage herrschte.

Sandu hat das gut gemanagt und das Land drei Winter in Folge vor einer Krise bewahrt. Trotzdem hat der abrupte russische Lieferstop die Energiepreise drastisch nach oben getrieben. Zwar deckelt die Regierung ab einer bestimmten Höhe, aber wenn Sie 700 Euro im Monat verdienen und 400 Euro für Strom zahlen müssen, ist das sehr belastend. Viele Menschen hier haben darum Fragen wie den EU-Beitritt derzeit nicht so im Blick, sondern einfach ihr eigenes Überleben.

Was versprechen denn die Russland-Freunde im Wahlkampf - mit Blick auf Energiepreise zum Beispiel?

Das Problem der Moskau-treuen politischen Kräfte: Sie können gar kein gutes eigenes Angebot machen. Zum Beispiel, dass mit Ihnen wieder russisches Gas fließen würde. Denn die Pipeline führt durch die Ukraine. Auch ansonsten würde sich Russland nicht für die Wirtschaft engagieren oder im Straßenbau. Die einzige Erzählung der Opposition ist: Die EU ist schlecht für Moldau und früher in der Sowjetunion war alles besser.

Und das zieht?

Was zieht, ist Geld. Der Kreml nutzt hier Methoden der hybriden Kriegsführung und bezahlt Menschen ganz direkt dafür, eine Partei im Sinne Russlands zu wählen. Der Kreml kauft in Moldau Stimmen. Er will Moldau zurück in seine Einflusssphäre holen und im besten Fall dann von Chisinau aus Europa noch stärker bedrohen. Die Opposition hier ist nicht direkt von Moskau gesteuert. Aber es gibt Hinweise, dass viele Funktionsträger in den Parteien Geld von dort erhalten. Und dafür wird natürlich eine Gegenleistung erwartet.

Versucht der Kreml noch auf anderen Wegen, sich in Moldau einzumischen?

Russland arbeitet mit korrupten Akteuren in Staat und Gesellschaft zusammen. Nicht nur Parteiführer stehen auf der Gehaltsliste, sondern auch Leute, die in Ministerien und staatlichen Institutionen arbeiten, in Kirchen, in Schulen, überall in der Gesellschaft. Der Kreml kennt all diese Strukturen noch sehr gut aus der gemeinsamen Vergangenheit. Jetzt vor den Wahlen arbeiten die Russen gezielt mit Desinformation - auf Tiktok, Facebook, Instagram, alle Kanäle werden bespielt, um die EU anzugreifen. Man behauptet, die EU wolle Moldau nur ausnehmen, besetzen, seine Identität zerstören. Scheinbarer Erfolg solcher Meldungen wird künstlich erzeugt.

In welcher Form?

Videos von Parteien, die unter einem Prozent Zustimmung haben, werden plötzlich millionenfach geklickt. Das wird gesteuert. Wir sehen auch Cyberangriffe auf kritische Infrastruktur. Heute während der Wahlen müssen wir auch damit rechnen, dass die Logistik angegriffen wird und vielleicht die Wahl der Moldauer vom Ausland aus nicht mehr möglich sein wird.

Der Kreml arbeitet also mit Stimmenkauf, mit Desinformation, mit weiteren hybriden Methoden?

Als drittes Instrument nutzen die Russen auch die Spannungen und Konflikte, die hier im Land bestehen. Die Region Gagausien ist sehr EU-kritisch eingestellt und mit der Regierung in Chisinau im Konflikt. Die Gagausier sehnen sich zurück in eine Partnerschaft mit Russland. Das wird von den Russen direkt bespielt. Vor kurzem ging die Behauptung viral, Rumänien werde, unterstützt von EU und Nato, in Moldau einmarschieren, falls die Wahlen nicht pro-europäisch ausgehen.

Klingt absurd.

Für uns ja, aber weniger für die Bevölkerung in Gagausien, die mit Rumänien noch den Faschismus des Zweiten Weltkriegs verbinden. Die bekommen dann wirklich Angst, wieder vertrieben oder umgebracht zu werden. Denen sagt man: "Ihr müsst am 28. pro-russisch wählen, sonst droht die Diktatur. Zugleich signalisiert man damit den pro-europäisch Gesinnten: "Passt auf. Wenn ihr euch am Sonntag pro-EU entscheidet, könnten wir in Moskau das als Kriegserklärung verstehen."

Weil der Kreml Moldau ebenso als zugehörig zum Imperium empfindet, wie die Ukraine?

Genau. Gezielt schafft man auch Unruhe auf der Straße. Der Kreml kauf Leute, die Chaos stiften, um den Menschen Angst zu machen. In den vergangenen Tagen wurden unter anderem 74 junge Moldauer festgenommen, die in Serbien dafür trainiert worden waren, hier in Chisinau auf der Straße zu eskalieren. Mit inszenierten Protesten zum Beispiel. Solche Leute werden dafür bezahlt, in die Hauptstadt zu kommen, Demonstrationen durchzuführen und dabei in Konflikt mit der Polizei zu geraten. Die Moldauer sollen die Gewalt sehen und denken: Die Präsidentin hat die Kontrolle verloren. Das Land rutscht ab ins Chaos.

Heute wird gewählt. Welche Partei hat der Kreml im Blick? Für wen kauft er die Stimmen?

Der Wählerblock der Sozialisten und Kommunisten ist für Moskau günstig und wird in ländlichen Gebieten im Norden und Süden sicher viele Stimmen bekommen. Dann hat der Bürgermeister von Chisinau eine Partei gegründet, die für Neutralität wirbt aber auch auf russischem Ticket fährt. Schließlich die Partei von Renato Usati, ein Oligarch, der sein Geld in Russland gemacht hat. Für den Kreml sind alle drei Parteien interessant, aber am Ende wird er Stimmen kaufen für die Partei mit den größten Chancen, einen erneuten Erfolg der Regierungspartei zu verhindern.

So pragmatisch? Der Kreml entscheidet das anhand der Umfragewerte?

Ja, und das war er auch schon im vergangenen Jahr bei der Präsidentenwahl. Da ging es Russland darum, die Wiederwahl von Maia Sandu zu verhindern. Am Ende gingen die gekauften Stimmen an den direkten Gegenkandidaten von Sandu. Obwohl der sicher nicht der Nummer-1-Kandidat für Russland war. Er hatte einfach die besten Chancen. Bei der jetzigen Wahl ist es Moskaus wichtigstes Ziel, zu verhindern, dass Sandus "Partei für Aktion und Solidarität" nochmals allein regieren kann. Man will eine Zusammensetzung des Parlaments erreichen, die Regierungsarbeit unmöglich macht. Sodass Koalitionen möglichst schnell zerfallen, dass vielleicht gar kein Premier ernannt werden kann, dass einer Regierung immer wieder das Misstrauen ausgesprochen wird. Womöglich schnelle Neuwahlen. All das wäre in Moskaus Sinne - Instabilität, keine Reformen, keine weitere Annäherung an die EU.

Mit Brigitta Triebel sprach Frauke Niemeyer

Quelle: ntv.de

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