Wahlkampf aus dem Niveaukeller Die CDU will keinen Dreier mit Dreyer
10.02.2021, 16:45 Uhr
Ist zum Ziel peinlicher Angriffe aus der CDU geworden: Malu Dreyer.
(Foto: imago images/Rainer Unkel)
In vier Wochen wählt Rheinland-Pfalz einen neuen Landtag - und die CDU will nach 30 Jahren raus aus der Opposition. Doch in Zeiten von Corona ist an Vor-Ort-Wahlkampf nicht zu denken. Um dennoch aufzufallen, geht die Landespartei ganz runter unter die Gürtellinie.
Einen humorvollen Wahlkampf zu machen - das ist ein bisschen wie der Versuch, Wasser und Öl zu mischen. Es widerspricht Naturgesetzen. Vera Lengsfeld ist einst daran gescheitert, als sie sich auf einem Wahlplakat zum Dekolletévergleich mit Kanzlerin Merkel hinreißen ließ ("Wir haben mehr zu bieten"). Und der Slogan von Thüringens FDP-Kurzzeit-Ministerpräsident Thomas Kemmerich - "Endlich eine Glatze, die in Geschichte aufgepasst hat" - ist im Lichte der Ereignisse sehr schlecht gealtert. Negativ-Beispiele, die den CDU-Abgeordneten Dirk Herber aus Rheinland-Pfalz nicht davon abhalten, es trotzdem zu versuchen: Seit einigen Tagen tuckert er mit einem Plakat durch seinen Wahlkreis, das SPD-Landeschefin Malu Dreyer unter der Bettdecke mit ihrem FDP-Vize Volker Wissing und Grünen-Familienministerin Anne Spiegel zeigt. Darüber die Frage: "Keinen Bock mehr auf Dreyer? Beide Stimmen CDU." Wahlkampf aus der Wortspielhölle.
In den sozialen Medien ging das Plakat viral. Kritik gab es etwa daran, dass nicht inhaltlich gegen die SPD-Politikerin argumentiert werde, sondern die Adressaten viel eher dazu eingeladen würden, "sich gedanklich mit einem Malu-Dreyer-Dreier auseinanderzusetzen", wie Influencerin Louisa Dellert bei Instagram schrieb. Die FDP Rheinland-Pfalz unterstellte der CDU auf Twitter sogar einen "frauenfeindlichen Wahlkampf von vorgestern". Herber selbst will mit seiner Initiative aber nichts Böses im Sinn gehabt haben. "Ich hatte dieses Plakat entwerfen lassen, um gerade während der Faschingszeit humoristisch auf die Dreier (Dreyer)-Ampelkoalition hinzuweisen", sagte der Abgeordnete dem Mainzer "Merkurist". Mit Plakat und Traktor auf einem Rosenmontagsumzug "hätte jeder das Augenzwinkern verstanden", glaubt er. Die einen halten es für Karneval, die anderen für eines Politikers unwürdig. Über Humor lässt sich eben schlecht streiten.
In einem ungewöhnlichen Wahlkampf ist Herbers Missgriff aber nun schon die zweite streitbare Episode. Denn Ärger gab es zuvor auch wegen eines anderen Wahlplakats mit Dreyer - dieses Mal verbreitet von der Jungen Union Ahrweiler. Die Ministerpräsidentin ist darauf im Porträt abgebildet; darunter ist zu lesen: "Dreyer rudert endlich zurück - Schulöffnungen verschoben." Das Gesicht von Dreyer wurde digital nachbearbeitet, wie ein Direktvergleich mit dem Originalfoto zeigt. Ihre Augen wurden vergrößert, die Hautfarbe ausgegraut und die Mundwinkel nach unten verzerrt. Kritiker zogen sofort Parallelen zur Darstellung des politischen Gegners, wie sie für das NS-Propagandablatt "Stürmer" typisch waren. Empörte Nutzer warfen dem Landesverband in den sozialen Medien Antisemitismus vor - und der rechtfertigte sich auch. Man teile die inhaltliche Kritik, aber nicht die Art und Weise, hieß es. Trotzdem sei der Antisemitismus-Vorwurf "absurd".
Krankheit als Wahlkampfthema
Erst später entschuldigte sich der pfälzische CDU-Generalsekretär Gerd Schreiner doch noch. "Die Herabwürdigung unserer Mitbewerber als Person durch Wort oder Bild lehnen wir ab", schrieb er im Namen der Landespartei. Doch das Internet vergisst nun mal nichts - auch nicht, dass sowohl der Landesverband als auch Spitzenkandidat Christian Baldauf im Sommer 2020 das Gerücht gestreut hatten, Dreyer könnte wegen ihrer Multiple-Sklerose-Erkrankung womöglich keine komplette Legislaturperiode durchhalten. In einem Tweet hieß es dazu unter dem Hashtag #Hintertürchen, ihre Antwort auf eine entsprechende Frage im SWR-Interview biete "Interpretationsspielraum". Dreyer hatte gesagt: "Ich trete an, um Ministerpräsidentin zu bleiben, auch die ganze Legislaturperiode, wenn das immer alles so gut geht mit mir, aber meine Gesundheit hat mir bislang gar keinen Strich durch die Rechnung gemacht, und ich habe auch noch ganz, ganz viel vor."
Im politischen Wettstreit die Erkrankung des Gegners zum Thema zu machen, dazu fiel dem SPD-Parteivorstand nicht mehr viel ein - außer: "Schämen Sie sich eigentlich nicht?" Allerdings ist die Tatsache, dass sich die Fehlgriffe der CDU in diesem Landtagswahlkampf häufen, wohl auch den Umständen geschuldet. Denn weil ein Vor-Ort-Wahlkampf inmitten der Pandemie nicht möglich ist, versucht die größte Oppositionspartei, ihre Inhalte über digitale Kanäle an den Wähler zu bringen. Das birgt ganz neue Risiken. Denn Gesagtes ist schnell wieder vergessen, während Geschriebenes im Ernstfall noch Jahre durchs Netz wabert - und sei es nur ein verunglückter Witz. Geschadet hat es der CDU bislang nicht. In aktuellen Umfragen liegt sie mit 33 Prozent vor der SPD (30 Prozent), die allerdings zuletzt wieder hinzugewonnen hat.
Gerade Malu Dreyer genießt bei den Wählern in Rheinland-Pfalz anhaltendes Vertrauen. Laut einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen wollen 59 Prozent der Befragten die SPD-Politikerin als Ministerpräsidentin behalten. Nur 23 Prozent sähen lieber ihren CDU-Herausforderer Baldauf an der Spitze der Landesregierung. Umso unverständlicher erscheint eine Wahlkampfstrategie, die die Sympathieträgerin unter der Gürtellinie angreift. Schon Julia Klöckner fiel es 2016 schwer, sich gegen Dreyer zu behaupten. Mit Baldauf haben die Konservativen nun ein weit weniger bekanntes Gesicht an ihrer Spitze. Ihn bekannter zu machen, dürfte mehr Erfolg versprechen als der Versuch, Dreyer unbeliebter zu machen. Und auch dabei kann das Internet helfen: Zum Hit auf Twitter wurde zuletzt ein Meme von PR-Experte Axel Wallrabenstein, in dem er dem Wahlplakat von Baldauf einen Slogan andichtete: "Ich hoffe, die Kneipen machen Baldauf".
Quelle: ntv.de