Politik

Schwach durch die Corona-Krise Die Grünen stolpern auch über sich selbst

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Wirkte in der Corona-Krise mehr als einmal orientierungslos: Grünen-Chef Robert Habeck.

(Foto: imago images / photothek)

Die Grünen können in der Corona-Krise kaum punkten. Teilweise sind die Schwierigkeiten hausgemacht, teilweise liegt es am Personal. Manche Probleme treffen die Ökos aber auch unverschuldet.

Eine Debatte um ein Tempolimit anzustoßen, das wäre doch was, mag sich Robert Habeck gedacht haben. Diskussionen um eine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung werden hierzulande ähnlich emotional geführt wie in den USA um Waffenverbote. Viele Deutsche halten die "Freiheit" auf der Autobahn bekanntermaßen für eine Art sakrales Grundrecht. Also sagte der Grünen-Chef dem Online-Magazin "The Pioneer" am Dienstag, ein Tempolimit von 130 sei "wahrscheinlich die erste Maßnahme einer neuen Regierung, wenn die Grünen mit dabei sind". Und um zusätzlich zu provozieren, sagt er auf die Frage, ob die Beschränkung komme, "Ja" und lässt damit keinen Spielraum. Der Zeitpunkt - die nachrichtenarme Sommerpause - ist nicht schlecht gewählt. Da müsste doch ein wenig Aufmerksamkeit zu holen sein, oder?

Nein, überhaupt nicht. Union und FDP winken ab, das sei gerade einfach kein Thema. Weder in Leitartikeln noch Kommentarspalten der großen Medien spielt das Tempolimit eine wesentliche Rolle. Im sozialen Empörungsnetzwerk Twitter erregt man sich ein wenig. Die AfD springt in Ermangelung eigener Themen vergnügt auf und demonstriert ihre Empörung über die "Verbotspartei". Ausgerechnet ihrem Erzfeind spielen die Grünen den Ball zu, der anschließend in der rechten Blase hin- und hergekickt wird. Habecks Versuch, mal wieder eine Debatte auszulösen, wahrgenommen zu werden, ist ein Rohrkrepierer und ein durchschaubares Manöver.

Es ist erst gut ein Jahr her, da waren die Grünen in Umfragen die stärkste Partei. Ende Juni 2019 lag sie mit 27 Prozent im RTL/ntv-Trendbarometer drei Prozentpunkte vor der Union und war mehr als doppelt so stark wie die SPD. Es wurde viel über eine mögliche schwarz-grüne Koalition gesprochen - aber mit der Union als Juniorpartner und einem Kanzler Habeck. Bis ins Frühjahr 2020 konnten die Grünen sehr gute Werte halten. Doch spätestens seit dem Ausbruch der Corona-Krise stecken sie in der Defensive. Im Zeitraum zwischen Anfang März und Anfang Mai ging es zehn Prozentpunkte nach unten - keine andere Partei hat in der Pandemie einen derartigen Absturz erlebt. Warum?

Aus der Flüchtlingskrise nicht gelernt

Vor allem die Grünen hatten und haben große Probleme, auf Distanz zur Regierung zu bleiben. Als die Große Koalition die ersten Maßnahmen beschloss, um die Pandemie einzudämmen und der Wirtschaft unter die Arme zu greifen, wurde sie von allen Oppositionsparteien unterstützt. Vor allem aber AfD und FDP waren dann bald wieder sichtlich bemüht, in ihre parlamentarische Rolle zurückzufinden und die Regierung mit mehr oder weniger sinnvoller Kritik zu konfrontieren. Die Grünen haben Probleme damit, Akzente zu setzen. Wie auch? Erkenntnisse der Wissenschaft infrage zu stellen oder Lockerungen aus unbedingter Treue zur Wirtschaft voranzutreiben - Ansätze, die die beiden genannten Parteien verfolgen, würde den Umgang mit dem eigenen Kernthema Klimaschutz gefährlich untergraben. Auf der anderen Seite hatte die Partei schon während der Flüchtlingskrise 2015 und 2016 erkennbare Probleme, ihre Oppositionsrolle zu finden. Hätte man daraus nicht lernen können?

Die Oppositionspartei ganz links im Bundestag indes erlebte durch die Corona-Krise eine gewisse Konjunktur ihrer Themen: Das Festhalten an der "Schwarzen Null", die fortschreitende Privatisierung im Gesundheitswesen, bessere Bezahlung für Verkäufer, Pflegekräfte, Erzieherinnen und Erzieher sind Forderungen, die die Linkspartei schon lange stellt. Auch wenn die Partei - aus welchen Gründen auch immer - davon nicht profitieren konnte: Es wurde viel gesprochen über diese Themen.

Und welche grünen Anliegen hatten Konjunktur? Die Corona-Krise sorgte für leere Straßen in den Städten, mehr Menschen fuhren plötzlich Rad. Viele tun das immer noch. Die Ausgangsbeschränkungen sorgten vielerorts für Solidarität und Reflektion des eigenen Konsumverhaltens. Der Flugverkehr kam fast völlig zum Erliegen, die Industrie fuhr die Produktion runter. Statt in fernen Ländern machen in diesem Jahr viele Menschen Urlaub in Deutschland oder im nahen Europa.

Der CO2-Ausstoß weltweit ist durch die Pandemie eingebrochen. Aus Mega-Metropolen weltweit zog der Smog ab, durch die Kanäle von Venedig floss plötzlich kristallklares Wasser und in Mittelmeerhäfen wurden wieder Delfine gesichtet - teilweise zum ersten Mal seit Jahrzehnten. Die Grünen, die seit Jahren vor der völligen Vernichtung der menschlichen Lebensgrundlagen warnen, mussten plötzlich darauf hinweisen, wie schön es doch sei, dass sich die Natur erhole. Es ist ein schwieriges Vermarktungsumfeld.

Hinzu kommt, dass sich die Grünen verändert haben. Die Partei ist in elf Bundesländern an der Regierung beteiligt. Prominente Gesichter der Partei sind inzwischen auch konservative Politiker wie Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann oder der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, einer, dem in Debatten auch mal ein AfD-Ehrenvorsitzender zur Seite springt. Es ist nicht mehr die Partei der Öko-Fundamentalisten. Sie sind angepasster, moderater, teilweise konservativ geworden. Den vergangenen Höhenflug mag das begünstigt haben. Er hat aber auch dafür gesorgt, dass die Grünen noch mehr versucht haben, sich als Volkspartei zu etablieren, kompromissbereiter und weniger radikal zu werden.

Die Grünen sind nicht mehr die Partei der radikalen Maßnahmen

Wie weit dieser Prozess vorangeschritten ist, dürfte vielen Protagonisten angesichts der radikalen Reaktion der Bundesregierung auf die Pandemie klar geworden sein. Die Grünen waren einst die Partei, die als Alleinstellungsmerkmal für sich beanspruchte, mit besonders radikalen Lösungen Naturkatastrophen abwenden zu wollen. Vor allem die Grünen haben die Regierungsparteien immer wieder dafür kritisiert, zu zaghaft, zu reaktionsfaul zu sein. Doch an diesem Bild gibt es nun erhebliche Zweifel. Union und SPD haben, nach kurzer anfänglicher Unsicherheit, Maßnahmen und Gesetze beschlossen, die so radikal und schnell umgesetzt wurden, dass Deutschland in der Frage des Umgangs mit der Corona-Krise im Kreis der Industrienationen inzwischen dasteht wie der Klassenbeste. Dabei wurden Grundrechte beschnitten, gewaltige Einbußen der Wirtschaft hingenommen und gigantische Geldsummen bewegt. Es wird schwierig, künftig mit dem Alleinstellungsmerkmal zu werben, die Grünen seien die einzige Partei, die mit besonders entschlossenen Antworten auf Krisen reagiert. Und das ist vor allem im Hinblick auf die Klimakrise schmerzhaft.

Dann ist da noch das Spitzenpersonal der Grünen, das in der Corona-Krise eine teilweise glücklose Figur ablieferte. Habeck schlug Mitte April vor, Restaurant- und Hotelbesitzer könnten die Zeit ausbleibender Buchungen doch nutzen, um ihre alten Ölheizungen durch ökologische Alternativen zu ersetzen. Angesichts der historischen Krise der Branche ein völlig taktloser Vorschlag. Ko-Chefin Annalena Baerbock forderte beim Parteitag Anfang Mai, als das Land vor gravierenden wirtschaftlichen Ängsten stand, Corona-Hilfen dürften nur ausgezahlt werden, wenn sie ökologisch nachhaltig investiert würden. Es sind zwei Beispiele, wie die Parteichefs das Thema nicht nur verfehlt, sondern sich im Anschluss viele negative Schlagzeilen eingebrockt haben. Möglicherweise wäre es für die Parteichefs in der Corona-Krise das eine oder andere Mal klüger gewesen, nichts zu sagen, wenn kein guter Vorschlag da ist.

Die Grünen haben als mögliche neue Volkspartei begeistert, als die alten Volksparteien besonders schwach wirkten. Eine des Daseins müde GroKo auf Sinnsuche hat in der Corona-Krise wieder zu sich gefunden und neue Stärken entdeckt. Der Platz in der politischen Mitte war aber möglicherweise nur scheinbar vakant.

Die gute Nachricht für die Grünen ist, dass sich die Umfragewerte mit dem Abkühlen der Corona-Thematik erholen. Derzeit deutet wenig darauf hin, dass es bei der Regierungsbildung nach der kommenden Bundestagswahl einen Weg an der Partei vorbei geben könnte. Ob dann der künftige Kanzler aber Habeck ist, darf angezweifelt werden.

Das rapide Auf und Ab in den Umfragewerten der Grünen ist nicht neu. Drei Wochen nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011 etwa stand die Partei bei 28 Prozent. Sechs Monate später war dieser Wert halbiert. Und bei der Bundestagswahl 2013 zog die Partei mit 8,4 Prozent der Stimmen ins Parlament. Aber möglicherweise geht die Entwicklung ja auch in eine andere Richtung.

Quelle: ntv.de

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