Politik

Drei feste Größen treten ab Die Grünen vollziehen den großen Umbruch

Die am Freitagabend beginnende Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen kommt einer Zäsur gleich: Die erfolgreichen Vorsitzenden Baerbock und Habeck treten ebenso ab wie Geschäftsführer Kellner. Noch während die Partei sich in die Regierungsrolle einfinden muss, stellt sie sich organisatorisch neu auf.

Zum Abschied inszenieren sie noch einmal das große Doppel: Die scheidenden Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck wollen am Freitagabend ihre letzte Rede als Parteichefs gemeinsam halten. So wie sie es schon im Frühjahr 2018 taten, als sie kurz nach ihrer Wahl an die Parteispitze im Berliner Westhafen ein gemeinsames Impulsreferat hielten, das den Auftakt einer am Ende erfolgreichen Amtszeit bildete: Grundsatzdebatten, neues Grundsatzprogramm, Wahlprogramm, Nominierung einer eigenen Kanzlerkandidatin und schließlich die in eine Regierungsbeteiligung mündende Bundestagswahl. Ist die Mission von Baerbock und Habeck geglückt?

Ja, das sehen die meisten Grünen, die als Delegierte oder Zuschauer an der am Freitag beginnenden Bundesdelegiertenkonferenz teilnehmen, so. Schließlich haben Baerbock und Habeck die Partei nicht nur in die Ampelregierung geführt. Mehrere erfolgreiche Landtagswahlen, 21 Prozent bei der Europawahl, ein deutlich größeres Budget sowie ein Zuwachs von 50.000 auf über 125.000 Parteimitglieder binnen vier Jahren sprechen für sich. Auch die Flügelstreitigkeiten vergangener Zeiten brachen in der Baerbock-Habeck-Ära, vom Konflikt um die Bundesministerposten abgesehen, kaum einmal durch. Die Grünen zeigten sich unter dem scheidenden Führungsduo oft besser aufgestellt, als die im Bund regierenden Union und SPD. Selbst die Kanzlerschaft schien zeitweise in Reichweite.

Auch Kellner ist weg

Der Applaus wäre also groß ausgefallen am Ende dieser Doppelrede, aber das Bad in der Menge bleibt Baerbock und Habeck Pandemie-bedingt verwehrt. Und so werden sie nicht in die vielen Gesichter blicken, aus denen sich neben Stolz und Zuversicht vielleicht auch ein gewisses Unbehagen hätte herauslesen lassen. Die Partei vollzieht an diesem Wochenende einen gewaltigen personellen Umbruch und das in denkbar bewegten Zeiten. Im Frühjahr stehen drei Landtagswahlen an, die Vorsitzenden einer Regierungspartei werden enorme programmatische Spannungen moderieren müssen und Antworten auf ungelöste Probleme finden, die ihnen Baerbock, Habeck und der langjährige politische Geschäftsführer Michael Kellner hinterlassen haben.

Denn auch das ist Teil der am Freitag und Samstag zu vollziehenden Zeitenwende: Acht Jahre lang war Kellner für die organisatorischen Fragen der Partei zuständig. In seine Amtszeit fallen unter anderem der Umbau der Parteizentrale, die Bewältigung aufwendiger Programmprozesse und Wahlkämpfe inmitten der Pandemie sowie die Koalitionsgespräche 2017 und 2021. Bundesminister Habeck hat den 44-Jährigen deshalb mitgenommen in das Klima- und Umweltschutzministerium, genauso wie die Grünen-Kommunikationschefin Nicola Kabel. Auch sonst gab es in der Geschäftsstelle mehrere Personalwechsel.

Zwei Frauen, die den Laden kennen

Die neuen Konstanten in der Bundesgeschäftsstelle heißen Ricarda Lang und Emily Büning. Die 36-jährige Büning ist seit neun Jahren organisatorische Geschäftsführerin der Partei, ist mit den Strukturen mehr als vertraut. Auch die kommende Vorsitzende Lang betätigt sich schon seit einiger Zeit in Berlin: Im Oktober 2018 wurde sie Sprecherin der Grünen Jugend, zwei Jahre später wurde sie stellvertretende Bundesvorsitzende. Lang gilt als gut vernetzt in der Partei und genießt die Unterstützung des bisherigen Vorstands.

Parallelen zur jüngeren Claudia Roth sind offenkundig: In der Partei beliebt, scheiden sich öffentlich die Geister an ihrer Person. Wobei ein ewig tobender Internet-Mob Lang auch als bevorzugtes Ziel ausgemacht hat. Ob die 28-Jährige mittelfristig genauso in die Breite der Wählerschaft strahlt, wie es Baerbock und Habeck zum Teil gelungen ist, bleibt abzuwarten. An der Bundesdelegiertenkonferenz kann Lang wegen einer Corona-Infektion nicht persönlich teilnehmen.

Mit der Eintracht im Herzen

Möglicherweise aber kommt diese Rolle auch verstärkt Omid Nouripour zu: Der 46-jährige Frankfurter sitzt seit 2006 im Bundestag, hat sich seither vor allem als außenpolitische Stimme der Grünen profiliert, pflegt einen bürgerlichen Auftritt und fällt durch seine Liebe zum Fußballverein Eintracht Frankfurt mit einer volksnahen Leidenschaft auf. Mit 29 Prozent der Erststimmen holte Nouripour im Herbst in seinem Wahlkreis Frankfurt am Main II eines von 16 Direktmandaten der Grünen.

Der Realo Nouripour und die Linke Lang repräsentieren zugleich die klassischen Flügel, nachdem Baerbock und Habeck beide dem Realo-Lager angehören. Dieser schwelende Konflikt brach im Herbst mit Wucht durch, als der verdiente Partei-Linke Anton Hofreiter keinen Ministerposten bekam, zugunsten des nicht minder verdienten Realos Cem Özdemir. Der Furor im Lager der Linken war ein seltener Moment, in dem interne Querelen nach außen drangen.

Mit der einvernehmlichen Regelung zur Nachfolge von Baerbock, Habeck und Kellner ist dem scheidenden Vorstand ein letztes Geschenk an die Partei geglückt. Es wird mit guten Zustimmungswerten gerechnet, auch wenn Lang jenem Vorstand angehört, gegen den die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt, nachdem dieser sich selbst einen Corona-Bonus in Höhe von je 1500 Euro genehmigt hatte. Fragen zu dem Verfahren begegnete Lang tendenziell genervt und floskelhaft. Der Umgang mit der Affäre weckt Erinnerungen an einen auch im Bundestagswahlkampf wiederholt überfordert wirkenden Parteiapparat.

Die Schlüsse aus der laufenden Aufarbeitung eines am Ende dennoch enttäuschenden Wahlergebnisses zu ziehen, zählt zu den wichtigsten Aufgaben des neuen Vorstands. Hierzu zählt die Tatsache, dass der Apparat strukturell offenkundig nicht ausreichend vorbereitet war, eine Kanzlerkandidatur zu stemmen, sonst wären Fehler der Kandidatin Baerbock wohl schon im Vorfeld vermieden worden. Auch persönlich lief der Wahlkampf nicht spannungsfrei zwischen Baerbock und Habeck.

Programmatische Spannungen in Sicht

Hinzu kommen strategische Herausforderungen: Es ist den beiden Vorsitzenden nicht gelungen, die Grünen auf dem Land und im Osten spürbar zu stärken. Trotz einer mehr auf die Mitte der Wählerschaft gerichteten Programmatik haftet der Partei weiter der Ruf an, mit ihren Themen und Debatten an den Lebensrealitäten vieler Menschen im Land vorbeizugehen.

Die gerade erst begonnene Regierungszeit wiederum stellt das Herz der Partei auf die Probe: die eigene Basis sowie Bündnispartner der Partei, die Bewegungen und Organisationen, die sich dem Schutz von Klima, Umwelt und Frieden verschrieben haben. So werden den Parteitag unter anderem das Thema bewaffnete Drohnen beschäftigen, welche im Koalitionsvertrag vereinbart sind, oder die EU-Taxonomie zu nachhaltigen Investitionen. Darin soll unter anderem auf Betreiben Frankreichs auch die Kernenergie aufgezählt werden, was die Bundesregierung ablehnt, während sie zugleich die Nennung von Gas als grüner Energie in Brüssel durchgesetzt hat.

Auch in der Sozial- und Wohnpolitik sowie bei der Umsetzung der Energiewende birgt die Ampel Herausforderungen für die Grünen, die die Partei mit einem runderneuerten Team bewältigen will und muss: Vom 16-köpfigen Parteirat bleiben maximal sieben dabei. Auf die 13 Plätze - die beiden Vorsitzenden und die politische Geschäftsführerin sind gesetzt- bewerben sich 14 Männer und Frauen, darunter die bisherigen Vorsitzenden Habeck und Baerbock. Auch auf die beiden Stellvertreterposten im Vorstand gibt es fünf Bewerber. Bundesschatzmeister Marc Urbatsch muss sein Amt gegen einen Herausforderer verteidigen, hat aber gute Zahlen auf seiner Seite. Sie sind das Ergebnis der bislang erfolgreichsten Phase in der Parteigeschichte der Grünen. Nun beginnt das nächste Kapitel.

Quelle: ntv.de

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