US-Plan für Kriegsende in Gaza "Die UN-Generalversammlung ging nicht spurlos an Trump vorüber"
01.10.2025, 18:40 Uhr
Netanjahu (r.) stimmte Trumps Plan zwar zu - sprach sich danach aber gegen eine Zwei-Staaten-Lösung mit den Palästinensern aus.
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Der US-Präsident legt einen Plan für Schritte auf dem Weg zum Frieden im Gazastreifen vor. Bei der Umsetzung könnte es aufgrund vieler Unklarheiten aber hapern, sagt Nahost-Experte Lintl. Klar sei nur: Trump nehme sein Engagement für einen Waffenstillstand ernst.
ntv.de: International stieß der Plan von US-Präsident Donald Trump für die Befriedung des Krieges im Gazastreifen auf Begeisterung - auch Kanzler Friedrich Merz lobte ihn. Was halten Sie davon?
Peter Lintl: Wirkliche Begeisterung hat der Plan vor allem bei Trump selbst hervorgerufen. Der Vorstoß des US-Präsidenten wurde von den arabischen Staaten vorsichtig optimistisch aufgenommen. Der Hauptgrund für die positiven Reaktionen: Zum ersten Mal wird eine Möglichkeit beschrieben, der fast alle Seiten in irgendeiner Form zuzustimmen könnten. Das macht den Vorstoß attraktiv. Bei der Hamas, die diesen blutigen Krieg beenden könnte, weiß man es noch nicht. Zugleich hat der Plan auch viele Unklarheiten. Wenn es dann um die Umsetzung geht, können diese Unklarheiten zu seinem Scheitern führen.

Der Politologe Peter Lintl studierte und forschte unter anderem in Haifa und Tel Aviv. Bei der Stiftung Wissenschaft und Politik leitet er ein Forschungsprojekt zur israelischen Sicherheitspolitik.
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Der Hamas soll die Gewalt über den Gazastreifen laut Trumps Plan entzogen werden, die Terrororganisation prüft momentan den Vorschlag. Wird die Hamas zustimmen, sich selbst zu entmachten?
Ich zweifle daran, ob die Hamas bereit ist, sich selbst als bewaffnete Terrortruppe aufzugeben. Im Moment sieht es so aus, als ob sie statt eines sofortigen Waffenstillstands einen längeren Friedensprozess verhandeln will. Was oft übersehen wurde: In dem Plan steht, falls die Hamas nicht zustimmt, soll es eine internationale Stabilisierungstruppe geben. Diese Truppe soll die Kontrolle über jene Bereiche übernehmen, in denen die Hamas nicht mehr die Vorherrschaft hat. Also würde in diesen Gebieten eine dritte Kraft die Ordnung übernehmen, abseits der Hamas und des israelischen Militärs. Dieser neue Ansatz ist interessant.
Diese Unklarheiten im Plan - hat Trump sie absichtlich so formuliert, damit ein Konsens gefunden wird?
Ich bin mir nicht sicher, ob Trump wirklich in den Details dieses Plans drinsteckt. Vorschläge seines Sondergesandten Steve Witkoff finden sich darin wieder, genauso wie die Ergebnisse von Gesprächen mit den muslimischen und arabischen Staaten im Rahmen der UN-Generalversammlung. Zugleich hat Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu auf einige Punkte Einfluss genommen. Ein Problem dabei: Es bleibt unklar, wer entscheidet, ob die Hamas die Bedingungen erfüllt, damit die israelische Armee sich zurückzieht. Die rechtsradikalen Kräfte in Israels Regierung könnten sich dafür einsetzen, dass diese Bedingungen nie als erfüllt betrachtet werden. Netanjahu selbst hat das schon in einem Interview von sich gegeben: Er ist der Meinung, dass der Plan es erlaube, dass die israelische Armee in weiten Teilen Gazas bleibe.
Netanjahu sagte ja auch auf dem Rückflug von Washington nach Tel Aviv, er habe zwar Trumps Plan, nicht aber einer Zwei-Staaten-Lösung zugestimmt. Ist das nicht paradox?
Genau das ist der Punkt. Der Plan muss diplomatische Visionen in einem Kontext finden, in dem es mitunter radikal widersprüchliche Vorstellungen gibt - und dabei Formulierungen finden, denen trotzdem alle zustimmen. Daher bleibt manches auch enorm vage. Entsprechend erlaubt es den betroffenen Akteuren aber auch hinterher zu sagen: Meine Vorstellungen sind nicht erfüllt. Die palästinensische Staatlichkeit soll laut Trumps Vorstoß als generelles Ziel erhalten bleiben, was wichtig ist. Die Voraussetzungen dafür sind aber Reformen der Palästinensischen Autonomiebehörde. Und Israel hat sich in eine Position hineinverhandelt, bestimmen zu können, ob diese Reformen erfüllt sind. Die aktuelle israelische Regierung hat aber kein Interesse an einem palästinensischen Staat und wird Reformforderungen als Vorwand nutzen.
Netanjahu führt den Krieg auch weiter aus Furcht vor dem Zerfall seiner Regierung. Zwei rechtsradikale israelische Minister erteilten Trumps Plan bereits eine Absage. Kommt eine Kehrtwende von Netanjahus Regierung dennoch infrage, wenn der internationale Druck wächst?
Ich glaube, Netanjahu versucht gerade, mehrere Bälle in der Luft zu halten. Er könnte Zeit schinden, weil seine Regierung einen Waffenstillstand nicht überleben wird. Große Teile der israelischen Regierung sind offen gegen einen Rückzug. Falls Netanjahu weiterhin auf Zeit spielt, bleibt zu hoffen, dass der Druck auch aus den USA bestehen bleibt, was den Waffenstillstand betrifft. An irgendeiner Stelle wird es wahrscheinlich einen Bruch geben: Das kann ein Ende der Koalition sein, der mit Neuwahlen oder auch mit dem Scheitern des Trump-Plans einhergeht.
Trump hat in seiner Nahostpolitik einen langen Weg hingelegt - von seinen früheren Fantasien über eine "Riviera des Nahen Ostens" im Gazastreifen bis hin zu diesem konkreten Plan, den er jetzt vorlegt. Woher kommt der Sinneswandel?
Trump hatte schon immer ein Interesse daran, den Krieg im Gazastreifen zu beenden. Das hat er bereits im Wahlkampf gesagt. Sein Kurs ist oft irrlichternd - wie etwa mit den Fantasien der Riviera. Aber dass er als Friedensstifter gelten will, betont er wieder und wieder auch in der Pressekonferenz mit Netanjahu. Da spielt natürlich auch eine gewaltige Hybris mit hinein.
Gibt es weitere Gründe?
Auch Momentum bei der UN-Generalversammlung spielte eine Rolle, wo sich viele Staaten hinter den saudi-französischen Plan für einen Waffenstillstand und eine Zwei-Staaten-Lösung gestellt haben. Außerdem haben 57 Staaten der arabischen und muslimischen Welt bei der Versammlung auf Trump eingeredet - darunter das mit den USA verbündete Katar, das von Israel angegriffen wurde. Staaten wie Indonesien haben sich konstruktiv gezeigt und sich bei einer Friedenslösung erstmals auch für die Sicherheit Israels ausgesprochen. So wurde ein Momentum geschaffen, in dem sich fast die ganze Welt für einen Frieden im Gazakrieg eingesetzt hat. Das ging nicht spurlos an Trump vorüber.
Mit Peter Lintl sprach Lea Verstl
Quelle: ntv.de