Wie starb Khashoggi wirklich? Die saudischen Killer und der Prinz
20.10.2018, 17:37 Uhr
Schwierige Spurensuche: Türkische Ermitlter im Konsulat in Istanbul.
(Foto: imago/Kyodo News)
Erst nach 18 Tagen räumt Saudi-Arabien ein, was kaum mehr zu leugnen war: Der saudi-arabische Journalist Jamal Khashoggi starb im Konsulat in Istanbul. Und doch bleiben viele Fragen offen: Wie kam Khashoggi tatsächlich zu Tode, wer steckt dahinter und muss der Kronprinz nun um seine Macht fürchten? Hier einige Antworten auf die drängendsten Fragen.
Welche Rolle spielt Saudi-Arabien?
So viel stand seit Tagen fest: Der regierungskritische Journalist Khashoggi betrat am 2. Oktober um 13.14 Uhr das saudische Konsulat in Istanbul, um Papiere für seine anstehende Hochzeit abzuholen. Seitdem war er nicht mehr gesehen. Lange stritt Saudi-Arabien jede Verwicklung in den Fall ab. Khashoggi habe das Konsulat nach seinem Besuch wieder verlassen, sagte Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman, kurz genannt MBS, in einem Interview mit dem Nachrichtendienst Bloomberg. Allerdings gab es keine Aufzeichnungen der Überwachungskameras, diese fielen offenbar just an dem Tag aus - was die Herstellerfirma für technisch unmöglich hält. Innenminister Prinz Abdel Asis bin Saud bin Najef sprach von "unbegründeten Anschuldigungen und Lügen" in dem Fall. Jetzt allerdings, zweieinhalb Wochen nach Khashoggis Verschwinden und einer heftigen internationalen Reaktion, kommt die 180-Gad-Wende: In der Nacht zum Samstag räumte das Land ein, dass der Journalist im Konsulat getötet wurde.
Was passierte tatsächlich im Konsulat?
Die jüngste offizielle Version des Generalstaatsanwalts in Riad lautet so: Zwischen Khashoggi und den Männern im Konsulat entwickelte sich eine "Schlägerei", "die zu seinem Tod führte". Die Ermittlungen zu der "bedauerlichen und schmerzhaften" Entwicklung liefen, so die staatliche saudische Nachrichtenagentur Spa. Ihr zufolge war "der Verdächtige", dessen Identität nicht aufgeklärt wird, nach Istanbul gereist, um Khashoggi zu treffen. Es habe Anzeichen gegeben, dass der Journalist nach Saudi-Arabien habe zurückkehren wollen, dabei sei das Treffen im Konsulat nicht "wie erwartet" verlaufen. Am Ende war Khashoggi tot, die Täter hätten versucht, die Tat zu verschleiern. Wie ein saudischer Offizieller der "New York Times" sagte, kümmerte sich angeblich ein lokaler Mitarbeiter um die Beseitigung der Leiche. Deshalb wüssten die Saudis auch nicht, wo sich diese befände.
War also alles nur dumm gelaufen? War der Tod Khashoggis nur ein aus dem Ruder gelaufenes Verhör? Türkischen Ermittlern zufolge klingt die Geschichte deutlich grausiger und nach von langer Hand geplant. Demnach reiste am 2. Oktober eigens ein Killerkommando, bestehend aus 15 Geheimdienstlern, Militärs und einem Forensiker nach Istanbul. Im Büro des Konsuls warteten sie auf Khashoggi und fackelten nicht lange. Berichten zufolge setzten sie diesen unter Drogen, verprügelten ihn und hackten ihm die Finger ab. Danach enthaupteten sie ihn, und der Forensiker Salah Muhammed Al-Tubaigy, der einst damit geprahlt haben soll, in Rekordzeit eine Leiche in handhabbare Teile zerlegen zu können, holte seine Knochensäge hervor. Dann empfahl er allen Anwesenden, jetzt besser Musik zu hören.
"Es war wie bei Tarantino", zitiert der "Spiegel" einen türkischen Fahnder. Der Konsul soll laut türkischen Quellen, die sich auf Lauschprotokolle berufen, noch protestiert haben: "Macht das woanders, ihr bringt mich in Schwierigkeiten." Die Antwort eines der Schergen: "Halt's Maul, falls du lebend nach Saudi-Arabien zurückkehren willst." Das ganze Massaker soll sieben Minuten gedauert haben, offenbar gab es weder ein Verhör noch den Versuch einer Entführung. Bereits um 15.08 Uhr sollen die Saudis, von denen vier nach einem Bericht der "New York Times" dem Sicherheitsdienst des Kronprinzen angehörten, das Konsulat wieder verlassen haben. Derzeit soll Polizei in einem Wald bei Istanbul und bei einen Bauernhof in Yalova am Maramarameer nach Khashoggis sterblichen Überresten suchen.
Wie glaubwürdig ist welche Darstellung?
US-Präsident Donald Trump nennt die offizielle Version der saudi-arabischen Generalstaatsanwaltschaft "glaubwürdig". Das Eingeständnis sei ein "sehr wichtiger erster Schritt", auch wenn die Ermittlungen noch nicht beendet seien. Deutlich kritischer sieht das Trumps republikanischer Parteifreund, Senator Lindsey Graham. "Es wäre eine Untertreibung zu sagen, dass ich der neuen saudischen Schilderung zum Tod Herrn Khashoggis skeptisch gegenüberstehe", twitterte Graham. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour sprach von einer "fadenscheinigen Erklärung". "Es ist kaum auszuhalten, für wie dumm das saudische Königshaus die Weltöffentlichkeit hält."
Tatsächlich lassen die verschiedenen saudischen Versionen nach Khashoggis Tod - gelinde gesagt - zumindest viel Raum für Zweifel. Allerdings gibt es bislang auch keine eindeutigen Beweise für einen Mord an dem Journalisten. Einem Bericht der regierungstreuen Zeitung "Yeni Safak" zufolge verfügen die türkischen Behörden über Tonaufnahmen, die den Mord belegen. Wie die Zeitung "Sabah" berichtete, könnten diese von Kashoggis Apple-Watch aufgezeichnet worden sein. Eine andere Version ist, dass die Türkei die saudische Botschaft verwanzt hat, was sie aber nicht öffentlich eingestehen kann. Eine Sprecherin der türkischen Regierungspartei AKP kündigte inzwischen an: "Alle Beweise werden bald veröffentlicht werden."
Wer sind die Verdächtigen?
Saudi-Arabien hat inzwischen nach eigenen Angaben 18 saudische Stataatsangehörige festgenommen. Außerdem wurden zwei enge Berater des Kornprinzen Mohammed bin Salman entlassen: der Vizechef des Geheimdienstes Ahmed al-Asiri, sowie der bisher für Mohammeds Medienangelegenheiten zuständige Saud bin Abdullah al-Kahtani. Al-Kahtani ist ein enger Unterstützer des Kronprinzen. Fast täglich beschimpft er auf Twitter dessen Gegner und zog sich so den Beinamen "Steve Bannon von Saudi-Arabien" zu. Angeblich soll er Khashoggi einen hohen Posten angeboten haben für den Fall, dass er nach Saudi-Arabien zurückkehre. Wie seine Freunde berichten, soll Khashoggi daraufhin geantwortet haben: "Willst Du mich verarschen? Ich traue denen kein bisschen!"
Auch der Vize-Geheimdienstchefist gilt als treuer Anhänger des Prinzen, der den blutigen Krieg gegen Jemen propagandistisch ausschlachtet. Laut "Washington Post" ist er für die saudische Führung ideal als Sündenbock. So soll er den Kronprinzen aufgefordert haben, gegen Khashoggi und andere Dissidenten vorzugehen. Außerdem könnte er über genügend Macht verfügen, um Mörder auf eigene Faust zu entsenden.
Welche Rolle spielt der Kronprinz?
Dennoch ist es zweifelhaft, dass in dem autokratisch regierten Land ein Killerkommando ohne Wissen des Kronprinzen eigenmächtig den bekanntesten Journalisten des Landes einfach beseitigt. Schließlich hält der Lieblingssohn von König Salman auch sonst fest die Fäden in der Hand und gibt den Kurs des Landes vor. Außenpolitisch ist er für den blutigen Krieg im Jemen verantwortlich. Innenpolitisch setzte er dabei nicht nur auf Reformen - wie es so lange gerne kolportiert wurde - sondern verfolgt auch rigoros echte oder vermeintliche Gegner. Dabei soll er sich auch Russlands Präsidenten Wladimir Putin zum Vorbild genommen, wie das Internetportal "Middle East Eye" schreibt. Angeblich fragte MBS einmal bei einem Treffen: "Wie macht es Putin, dass er Oppositionelle entführt und in London tötet, und es hat keine Konsequenzen?"
Dabei muss dem Kronprinzen besonders Khashoggi ein Dorn im Auge gewesen sein: Prangerte dieser doch den Krieg im Jemen, die saudischen Maßnahmen gegen Katar und die Unterdrückung Oppositioneller an. Was ihn am meisten beunruhige, sei die "Herrschaft eines einzelnen Mannes", sagt er 2017, als er schon im Exil in den USA lebte. Stimmen die US-Geheimdienstinformationen, soll genau dieser einzelne Mann, der Kronprinz, befohlen haben, Khashoggi zurück nach Saudi-Arabien zu bringen.
Dennoch könnte es gut sein, dass MBS wie so oft noch einmal davonkommt – auch wenn der internationale Druck auf sein Land steigt. Immerhin hat er im Ausland einen mächtigen Unterstützer: US-Präsident Donald Trump. Dessen erste Auslandsreise führt ihn 2017 nach Saudi-Arabien. Laut "Middle East Eye" will Trump auch weiterhin MBS an der Macht sehen. Dem Blatt zufolge bezweifeln auch Beobachter und saudische Dissidenten, dass der Kronprinz nun weichen muss. Nicht zuletzt hätten viele im Königshaus Angst, dass bei einem inneren Konflikt das ganze Land zusammenbreche und "kein Mitglied der königlichen Familie will das", zitiert das Portal einen Dissidenten.
Und das Vertrauen des Königs hat MBS offenbar weiterhin: So sollen der Geheimdienst nun neu aufgestellt werden – ein Prozess, den ausgerechnet der Kronprinz überwachen soll.
Quelle: ntv.de