U-Ausschuss zu Evakuierungen Diplomaten warnten schon 2020 vor Afghanistan-Chaos
13.10.2022, 18:38 Uhr
Die Deutsche Botschaft in Kabul im Jahr 2012. Zehn Jahre später gibt es keine diplomatische Vertretung mehr in Afghanistan.
(Foto: picture alliance / dpa)
Die Evakuierungspläne lagen in der Schublade und auch die schwierige Gemengelage war bekannt: Dennoch wurde die deutsche Politik von dem Vormarsch der Taliban im Sommer 2021 scheinbar kalt erwischt. Ein früherer Botschafts-Gesandter wirft ein schlechtes Licht auf die Bundesregierung.
Deutsche Diplomaten sahen die Situation in Afghanistan teilweise lange vor dem Abzug der Bundeswehr schon düsterer als dies damals im politischen Berlin dargestellt wurde. Ein ehemaliger Gesandter in der Botschaft Kabul sagte bei seiner Befragung als Zeuge im Afghanistan-Untersuchungsausschuss des Bundestages, die Botschaft habe Ende 2020 wegen des absehbaren Abzugs der ausländischen Truppen ein Krisenberatungsteam aus Berlin angefordert, um über Sicherheitsfragen zu sprechen. Dieses Team, zu dem auch Bundeswehr-Angehörige gehörten, sei dann im März 2021 auch gekommen.
Da die internationalen Truppen integraler Bestandteil des Sicherheitskonzepts der Botschaft gewesen seien, "haben wir uns einfach sehr grundlegende Sorgen und Gedanken gemacht, wie wir diese Fähigkeiten ersetzen", antwortete er auf eine Frage der FDP-Abgeordneten Ann-Veruschka Jurisch. Evakuierungspläne für das Botschaftspersonal hätten zum Ende seiner Tätigkeit in der afghanischen Hauptstadt - zwei Monate vor der Machtübernahme durch die islamistischen Taliban Mitte August 2021 - schon fertig in der Schublade gelegen. Eine Entscheidung über eine Evakuierung sei damals aber noch nicht getroffen worden.
Das Doha-Abkommen zwischen den USA und den Taliban sei im Prinzip "ein Vertrag zulasten Dritter" gewesen, führte der Diplomat weiter aus. Dass die afghanische Regierung keine Rolle gehabt habe, sei einer von vielen strukturellen Schwachpunkten des Abkommens gewesen. Der damalige Außenminister Heiko Maas hatte am 4. März 2020, als im Bundestag über die Verlängerung des Bundeswehr-Einsatzes in Afghanistan beraten wurde, gesagt: "Auch wenn viele Fragen nach wie vor offen sind, kann man, glaube ich, feststellen, dass die Verständigung von Doha ein Etappenziel ist."
Afghanische Ex-Regierung "von der Realität entrückt"
Der damalige afghanische Präsident, Aschraf Ghani, und dessen Entourage seien lange zu optimistisch gewesen, sagte der ehemalige Gesandte. Sein Eindruck sei damals gewesen, "dass sie ein wenig entrückt waren von der Realität".
Der Untersuchungsausschuss soll die Ereignisse und Entscheidungen rund um den Abzug der Bundeswehr und die Evakuierungsmission im August 2021 aufklären. Er betrachtet dafür einen Zeitraum, der am 29. Februar 2020 beginnt. An diesem Tag wurde das Doha-Abkommen unterzeichnet. Die Islamisten verpflichteten sich darin - im Gegenzug für den Abzug der US-Truppen - unter anderem zu Friedensgesprächen und der Beteiligung an einer inklusiven Regierung, wozu es aber nicht kam. Schlusspunkt der Untersuchung soll der 30. September 2021 sein.
Die Bundeswehr hatte Afghanistan im Juni 2021 verlassen. Im August, als die Taliban - praktisch ohne Gegenwehr - Kabul einnahmen, beteiligte sich Deutschland an einem internationalen militärischen Evakuierungseinsatz. Am Flughafen Kabul spielten sich dramatische Szenen ab, als viele Menschen das Land verlassen wollten.
Quelle: ntv.de, fzö/dpa