Politik

Streit um Seenotrettungen EU ringt um Verteilung geretteter Migranten

Seit Jahren streitet die EU um den Umgang mit geretteten Migranten.

Seit Jahren streitet die EU um den Umgang mit geretteten Migranten.

(Foto: picture alliance/dpa)

Deutschland will Migranten nach Seenotrettungen europaweit verteilen - und selbst ein festes Kontingent aufnehmen. Ein italienischer Vorschlag, Asylsuchende direkt nach Europa zu fliegen, stößt jedoch auf deutsche Ablehnung.

Beim Treffen der EU-Außenminister hat Deutschland die Forderung nach einer Kontingentlösung zur Verteilung geretteter Migranten auf aufnahmebereite europäische Staaten bekräftigt. Der Vorschlag dafür "liegt seit langer Zeit auf dem Tisch und wir brauchen ihn jetzt sofort", sagte SPD-Außenstaatsminister Michael Roth in Brüssel. Regierungssprecher Steffen Seibert betonte, dass es sich bei dem Vorschlag um eine "Zwischenlösung" handle. "Sea-Watch"-Kapitänin Carola Rackete rief derweil zur Aufnahme aller Migranten aus Libyen auf.

Über eine "Koalition der Aufnahmewilligen" wird schon seit 2016 diskutiert. SPD-Bundesaußenminister Heiko Maas hatte am Wochenende eine Vorreiterrolle Deutschlands und anderer aufnahmewilliger EU-Staaten vorgeschlagen. Deutschland sei bereit zu garantieren, immer ein festes Kontingent an Geretteten zu übernehmen. Diesen Vorstoß verteidigte Roth nun auch als Signal an Länder wie Italien und Malta. Die Staaten, in deren Häfen Rettungsschiffe anlegen, "müssen wissen, dass wir sie mit den Geflüchteten nicht alleine lassen", sagte Roth. Die Kontingentlösung müsse schnell realisiert werden, "um weitere schlimme Situationen auf dem Mittelmeer zu verhindern". Nötig sei jetzt ein "klares Signal". Mit der Frage befassen sich am Donnerstag auch die EU-Innenminister.

Regierungssprecher Seibert bezeichnete den Vorschlag von Maas in Berlin als Schritt in Richtung einer künftigen "gesamteuropäischen Lösung". Außenamtssprecher Rainer Breul bekräftigte, Maas habe mit seinem Vorstoß ein "Ende der langen Hängepartie" gefordert.

CSU-Chef Markus Söder sieht einen verbindlichen Verteilmechanismus für gerettete Migranten überaus skeptisch. Es sei wichtig, dass es feste Regeln gebe, jedoch solle dem Asylrecht kein neues Verfahren hinzugefügt werden, sagte der bayerische Ministerpräsident nach einer Sitzung des CSU-Vorstands in München. "Das würde das Asylrecht und den gesellschaftlichen Diskurs überfordern." Söder betonte: "Es gibt keinen Zweifel, dass jemand, der in Not ist, gerettet werden soll." Zugleich betonte er: Deutschland leiste was die Integration angehe bereits jetzt einen "mehr als überproportionalen Beitrag in Europa".

Italien will direkte Wege nach Europa

Italiens Außenminister Enzo Moavero Milanesi schlug zudem vor, dass die EU in friedlichen Nachbarländern von Krisenstaaten Büros einrichtet, in denen Menschen Asylanträge stellen können. Asylberechtigte sollten dann mit dem Flugzeug in die EU gebracht werden, um sie vor Schleppern zu schützen und ihnen die gefährlichen Überfahrten auf dem Mittelmeer zu ersparen. Im Anschluss sollten die Flüchtlinge innerhalb der EU nach "objektiven und klaren Kriterien" verteilt werden.

Auf den italienischen Vorschlag reagierte Roth jedoch zurückhaltend. Er sagte, er glaube nicht, dass "Lösungsvorschläge, die nicht sofort greifen", die EU in der derzeitigen Lage substanziell weiterbringen könnten. Um weitere schlimme Situationen auf dem Mittelmeer zu verhindern, brauche es einen "solidarischen und humanitären Sofortmechanismus".

Für die Verteilung von geretteten Flüchtlingen aus dem Mittelmeer gibt es bis heute keine EU-weit anerkannte Regelung. Deswegen gibt es derzeit auch keine EU-Seenotrettungsmission. Die EU-Kommission muss bei jedem ankommenden Schiff aufs Neue versuchen, Regierungen zu finden, die sich zur Aufnahme bereit erklären. Hintergrund der Auseinandersetzung beim Umgang mit Migranten ist, dass es wegen des Widerstands von Ländern wie Polen und Ungarn bislang kein System zur gerechten Verteilung von Flüchtlingen gibt. Als Land, in dem die meisten Migranten per Boot ankommen, fühlt sich Italien deswegen von den anderen EU-Staaten im Stich gelassen.

Die italienische Regierung hat privaten Seenotrettungsschiffen wiederholt die Einfahrt in italienische Häfen untersagt. Infolge dessen mussten aus Seenot gerettete Migranten oft tagelang an Bord des Aufnahmeschiffes ausharren, bis eine Notfalllösung gefunden war. Die Regierung in Rom begründet ihre Position mit der Sorge, dass Italien mit den geretteten Migranten von den EU-Partnern alleine gelassen wird.

Rackete fordert Aufnahme von Klima-Geflüchteten

"Sea-Watch"-Kapitänin Rackete mahnte derweil die Überführung der Geflüchteten aus Libyen "in ein sicheres Land" an. "Wir hören von einer halben Million Menschen, die in den Händen von Schleppern sind oder in libyschen Flüchtlingslagern, die wir rausholen müssen. Ihnen müssen wir sofort helfen bei einer sicheren Überfahrt nach Europa", sagte Rackete der "Bild"-Zeitung. Sie forderte zudem eine Aufnahme von Klima-Geflüchteten.

Racketes Forderung stieß bei der Linken auf Zustimmung. Berlin müsse "allen in Libyen befindlichen Flüchtlingen (...) eine Aufnahme in Deutschland ermöglichen", erklärte die innenpolitische Sprecherin der Linke-Bundestagsfraktion, Ulla Jelpke.

Rackete hatte Ende Juni ein Rettungsschiff der deutschen Hilfsorganisation Sea-Watch mit Migranten an Bord unerlaubt nach Italien gefahren. Gegen die 31-Jährige aus Niedersachsen wird in Italien unter anderem wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung ermittelt. Die Staatsanwaltschaft in Agrigent bereitete derweil eine Berufung gegen die Freilassung Racketes beim obersten Gericht in Rom vor.

Migranten werden in Libyen ohne gültige Papiere in Internierungslager mit katastrophalen Zuständen gesteckt. Dort mangelt es an Toiletten, Duschen, Essen, Trinken und die Menschen werden nach Berichten von UN und Hilfsorganisationen teilweise misshandelt. Rackete sagte, Deutschland und andere europäische Staaten hätten "eine historische Verantwortung an den Umständen in Afrika noch aus der Kolonialzeit".

Quelle: ntv.de, aeh/AFP/dpa

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