Kühnes Projekt im Kriegsgebiet Ein Strandhotel gegen Jemens Trauma
13.12.2020, 09:07 Uhr
Vor dem Krieg kamen jedes Jahr bis zu eine Million Touristen in den Jemen - auch nach Aden.
(Foto: AP)
Fünf Jahre Krieg haben den Jemen an den Abgrund gebracht. Doch in Schabwa keimt Hoffnung: Durch politisches Geschick fließt nicht nur Geld in die Provinz, es landet auch an den richtigen Stellen. Selbst der Tourismus erlebt einen Reanimationsversuch.
Es ist eine Wette auf die Zukunft. Eine sehr riskante Wette. In Bir Ali, einem kleinen jemenitischen Örtchen direkt am Golf von Aden, soll bis Ende des kommenden Jahres ein Urlauberparadies im großen Stil entstehen. 65 Villen sind geplant - direkt am kilometerlangen weißen Sandstrand und mit Blick aufs türkisblaue Wasser. Die lokalen Investoren hoffen auf betuchte Touristen. Doch ob sie kommen werden, ist mehr als fraglich. Im fünften Jahr eines verheerenden Bürgerkriegs denkt beim Jemen niemand mehr an Schnorchelausflüge zum Korallenriff. Ganz andere, schreckliche Bilder haben sich eingebrannt - von hungernden Kindern oder zerbombten Städten. Die Gesundheits- und Lebensmittelversorgung liegt brach. Die UN warnen vor einer Hungersnot.
Inmitten dieses Elends ist Schabwa - die Provinz im Süden des Landes, zu der auch Bir Ali gehört - gewissermaßen eine Oase der Hoffnung. Eine asphaltierte Straße führt in die Provinzhauptstadt Ataq. Die rund 100.000 Einwohner treffen sich auf belebten Märkten. An jeder Ecke entstehen neue Gebäude. Highways und ein kleiner Flughafen sind in Planung, das städtische Krankenhaus wird derzeit modernisiert. Auch eine Quarantänestation für Covid-19-Erkrankte inklusive Intensivbetten und Beatmungsgeräten soll hinzukommen. Die Mittel für ein neues Testlabor kamen zum Teil aus Saudi Arabien. Die Provinz Schabwa will sich dem Ausland öffnen, zugleich aber unabhängiger vom Rest des Landes werden. Ein allzu verständlicher Wunsch.
Obwohl die Provinz über reiche Ölvorkommen verfügt, erhielt sie bis vor wenigen Jahren kaum etwas von den Erlösen. Praktisch alles Geld floss in die Hände der jemenitischen Zentralregierung. Mit dem Antritt von Gouverneur Mohammed Bin Adio in Schabwa, vor zwei Jahren, änderte sich das. Bin Adio positionierte sich gegen die wiedererstarkten Separatisten, die in der Region für einen unabhängigen Südjemen kämpfen, und begann Verhandlungen mit der aus Jemens Hauptstadt Sanaa vertriebenen Administration von Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi. Der Lohn für seine Loyalität: Ein Fünftel der Erlöse durch die Ölproduktion in Schabwa fließen inzwischen an die Provinzregierung. Bin Adio nutzte die finanziellen Mittel, um die Infrastruktur wieder aufzubauen. Elektrizität, fließendes Wasser und eine funktionierende Verwaltung waren zuvor auch in Schabwa nicht selbstverständlich.
Zurück in die alte Zeit
Seine Furchtlosigkeit hat den Provinzpolitiker bekannt gemacht. Und sie lockte Investoren an. Tatsächlich ist die Hoffnung, dass der Jemen wieder ein attraktives Urlaubsziel werden könnte, nicht unbegründet. Tourismus gab es in dem Land schon vor dem Krieg. Der Jemen ist reich an archäologischen Stätten, an Kulturerbe und vielfältiger Natur. Nach Angaben der World Tourism Organisation besuchten vor 2015 jährlich bis zu eine Million Urlauber das Land. Allein im Jahr vor Kriegsbeginn brachten sie 902,5 Millionen Euro mit ins Land. Doch im Zuge des Bürgerkrieges kam der Tourismus jäh zum Erliegen. Im ersten Kriegsjahr gingen die Einnahmen aus dem Tourismus um 88 Prozent zurück. Ein ganzer Wirtschaftszweig brach weg.
Um die alten Zeiten zurückzubringen, braucht es allerdings mehr als nur Geld. Die Ruhe in Schabwa ist trügerisch. Lange Jahre war die Provinz eine Hochburg von Al-Kaida. Auch Anwar al-Awlaki fand dort Unterschlupf. Der islamistische Prediger mit jemenitischen Wurzeln und US-Staatsbürgerschaft soll hinter zahlreichen Attacken auf US-Amerikaner stecken und wurde 2011 durch eine US-Drohne getötet. Noch immer sollen Kämpfer der Terrororganisation in der Region verstreut sein. Und auch die Huthis sind nicht weit weg. 2015 hatten die Rebellen schon einmal die Provinzhauptstadt Ataq in ihrer Gewalt - nur mithilfe von Truppen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) konnten sie vertrieben werden. Doch der vermeintliche Helfer stellte sich als Potentat heraus.
Kampf gegen viele Akteure
Unter der Führung von Saudi-Arabien waren die VAE 2015 in den Bürgerkrieg eingetreten - vor allem aus strategischem Interesse und mit Blick auf die Ölfelder des Landes. Doch anders als erwartet gaben sich die Huthis nicht nach ein paar Luftangriffen geschlagen. Um die Kontrolle zumindest über den Süden zu behalten, gingen die VAE schließlich eine Allianz mit den Separatisten des Southern Transitional Council ein. Doch die Menschen in Schabwa wollten nie einen neuen Staat Südjemen unter dem Protektorat der Emirate. Sie wollten einen vereinten Jemen. Das brachte neue Konflikte. Und die sind bis heute ungelöst.
Auch die VAE sind weiter präsent in der Provinz. Ihre Militärbasen sind berüchtigt - selbst bei Amnesty International. Jahrelang sollen Jemeniten dort ohne Anklage festgehalten und gefoltert worden sein. Auch in der Hafenstadt Balhaf, wo die Emirate eine Gasverflüssigungsanlage kontrollieren, gibt es laut Menschenrechtlern eines dieser inoffiziellen Gefängnisse. Nur mit Mühe konnte Gouverneur Bin Adio bisher seine Autonomie gegen Angriffe all dieser Akteure verteidigen. Die Hoffnung der Menschen in Schabwa - und der Investoren - ist, dass ihm das auch weiterhin gelingt. Und dass dann irgendwann auch die Touristen wiederkommen.
Quelle: ntv.de