Panzer-Verteiler in Wiesbaden Eine US-Kaserne koordiniert Waffenlieferungen für Kiew
10.09.2023, 11:35 Uhr Artikel anhören
Ein Zug mit amerikanischen Bergepanzern auf dem Weg Richtung Osten, hier im Bahnhof Magdeburg-Sudenburg.
(Foto: picture alliance/dpa)
Seit anderthalb Jahren beliefert der Westen die Ukraine mit Ausrüstung und Kriegsgerät. Koordiniert werden die Lieferungen aus einer US-Kaserne in Wiesbaden heraus. Sobald Panzer und Haubitzen an der Grenze sind, übernimmt die ukrainische Eisenbahn.
Nicht nur das Geschehen an der Front ist entscheidend für den Kriegsverlauf in der Ukraine. Auch die Logistik spielt eine wichtige Rolle für die Kriegsparteien. Koordiniert wird jede einzelne Lieferung in der Lucius-D.-Clay-Kaserne der US Army in Wiesbaden. Das ist der Sitz vom IDCC, dem "International Donor Coordination Center", das die Militärhilfen von über 50 Ländern koordiniert. Etwa 200 Experten aus den Unterstützerländern der Ukraine sorgen hier seit März vorigen Jahres dafür, dass Kriegsgerät und Ausrüstung dort ankommen, wo sie gebraucht werden.
Im Laufe des Krieges haben sich die Aufgaben verändert. Zu Kriegsbeginn ging es vor allem um die Lieferung von Kleinwaffen und Panzerabwehrausrüstung, sagte Brigadegeneral Chris King, der Chef des Koordinierungszentrums, der Militärnachrichten-Plattform "Defense News".
Mittlerweile stellen die meisten NATO-Länder und weitere Verbündete aber bekanntermaßen auch hoch entwickeltes Kriegsgerät und schwere Panzer zur Verfügung. So ist die Clay-Kaserne in Wiesbaden vom Koordinierungshelfer zur zentralen Anlaufstelle für die militärische Unterstützung der Ukraine geworden.
Drehkreuz in Polen
Beteiligte beschreiben den Prozess so: Die Ukrainer stellen Anträge auf bestimmte Ausrüstung und Waffen. Wiesbaden prüft in einem Register, ob und in welchem Umfang der Bedarf von den Geberländern gedeckt werden kann. Dann organisiert das IDCC die Logistik bis zur ukrainischen Grenze. Momentan plant Wiesbaden Lieferungen bis zu zwei Monate im Voraus. Sobald eine Lieferung aus den Lagern eines Landes geht, dauert es etwa zwei bis vier Tage, bis sie da ankommt, wo sie hinsoll, wird Duke Heinz von "Defense News" zitiert. Der Konteradmiral ist Logistikleiter beim in Europa stationierten Teil der US-Armee.
Die genauen Lieferwege bleiben aber geheim, um Russland die Waffen nicht auf dem Präsentierteller zu servieren. Wahrscheinlich ist, dass es verschiedene Routen gibt, auf denen die Waffen in die Ukraine gebracht werden, die regelmäßig geändert werden. Ein wichtiges Drehkreuz für Material aus den USA ist in jedem Fall der Flughafen in der polnischen Stadt Rzeszów, nur 75 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt. Zur Sicherheit schützt mittlerweile ein Patriot-Raketensystem den Flughafen.
Seit Kriegsbeginn haben - bis Stand Ende Juli - über 800 Flüge militärische Ausrüstung an die ukrainische Grenze gebracht. Seitdem auch Panzer und Haubitzen auf den Transportzetteln stehen, werden immer mehr Bahnen und Schiffe genutzt.
Das Logistikzentrum in Wiesbaden kümmert sich aber nicht nur um den Transport von Waffen und Ausrüstung, sondern koordiniert auch die Ausbildung der ukrainischen Soldaten an Panzern, Haubitzen und anderen Waffen.
Konkret beschreibt IDCC-Chef King den Ablauf am Beispiel einer Haubitzenlieferung: Diese wurde von Großbritannien an Kiew gespendet. Weil Neuseeland dieselben Haubitzen in seinem Militär nutzt, konnte es Ersatzteile zur Verfügung stellen. Angehörige der neuseeländischen Armee halfen zudem bei der Ausbildung der ukrainischen Soldaten. Das Training wurde wiederum in Großbritannien absolviert. Die USA lieferten letztlich Munition und Fahrzeuge zum Ziehen der Haubitzen.
"Die Herausforderung besteht darin, den Ausbildungsplan mit den Ausrüstungslieferungen abzustimmen", sagt Logistikleiter Heinz und ergänzt, dass seinem Team bisher keine Lieferungen bekannt sind, die auf dem Schwarzmarkt gelandet und ihren Bestimmungsort nicht erreicht hätten.
Eisenbahn funktioniert trotz Krieg
Sobald das Material in der Ukraine angekommen ist, wird es mit der Bahn weitertransportiert. Das riesige Land hat ein dichtes Schienennetz. Russland weiß aber natürlich, wo die Strecken verlaufen und beschießt Bahnstrecken und Bahnhöfe mit Raketen. Trotzdem hat es die Ukraine bisher geschafft, ihr "Eisenbahnsystem instand zu halten, Schäden schnell zu reparieren oder Ausweichrouten zu nutzen", wie Rüstungsexperte Torben Schütz von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) der "Süddeutschen Zeitung" gesagt hat.
Ein ukrainischer Lokführer hat die Resilienz der ukrainischen Eisenbahn bei ntv mit diesen Worten gelobt: "Wir erzählen hier in der Ukraine einen Witz: Wenn es in Deutschland mal schneit, fahren die Züge nicht mehr. Schneit es in der Ukraine und die Russen greifen noch an, hat der Zug eine halbe Stunde Verspätung."
Direkt bis zur Front bringen die Züge die Waffen in der Regel aber nicht, stattdessen wird das Material außerhalb der Reichweite von russischer Artillerie von Zügen auf LKW verladen und ins Kampfgebiet gebracht. Panzer wiederum können natürlich auch selbst die letzten Kilometer zurücklegen.
Allerdings reicht das beste Kriegsgerät natürlich nicht aus, wenn die ukrainischen Soldaten nicht entsprechend versorgt werden. Verpflegung, Kleidung, Medizin. Das alles muss ebenso gewährleistet sein. Genauso müssen Verletztentransporte koordiniert werden. Wer an der Front verwundet wird, wird vor Ort erstversorgt, muss dann aber schnellstmöglich in ein richtiges Krankenhaus gebracht werden. Auch hier ist die Eisenbahn wichtig: Mehr als die Hälfte der Verwundeten wird laut "SZ" mit der Bahn transportiert.
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Quelle: ntv.de