Politik

Der wütende Präsident Erdogan zerlegt den Gipfelkompromiss

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Als nach Abschluss der Pressekonferenz nochmal ein Journalist nach Deniz Yücel fragt, reagiert der türkische Präsident Erdogan ungehalten.

(Foto: imago/foto2press)

Präsident Erdogan ist erstmals seit dem türkischen Referendum in Deutschland. Als Anlass zur Deeskalation nutzt er die Gelegenheit nicht. Im Gegenteil. Vor allem beim Thema Klima versetzt er Kanzlerin Merkel einen heftigen Stoß.

Kanzlerin Angela Merkel bemüht sich, eine gute Gastgeberin zu sein. Natürlich habe sie in den Gesprächen mit der türkischen Delegation über die Probleme rund um inhaftierte Journalisten und das Besuchsverbot von Abgeordneten auf dem Luftwaffenstützpunkt Incirlik gesprochen. Merkel sagt am Ende des G20-Gipfels aber auch: Die Türkei und ihr Präsident Recep Tayyip Erdogan hätten sich "sehr engagiert" eingebracht. Sie würdigt auch ausdrücklich den großen Einsatz Ankaras bei der Versorgung von Flüchtlingen. Zum x-ten Mal.

Der erste Besuch von Präsident Recep Tayyip Erdogan seit dem Referendum in der Türkei wird trotzdem nicht als Beginn einer Wiederannäherung in die Geschichtsbücher eingehen. Nur Minuten nach Merkels Abschlusspressekonferenz empfängt Erdogan die Presse in einem benachbarten Raum. Er torpediert dort ausgerechnet die Einigung, die Merkel und ihren Verhandlern die meiste Kraft gekostet hat. Und auch sonst ist er alles andere als versöhnlich gestimmt.

"Solange die Versprechen, die man uns gegeben hat, nicht gehalten werden, werden wir das in unserem Parlament auch nicht ratifizieren", sagt Erdogan über das Pariser Klimaabkommen. Mit "dem Versprechen" meint er die Zusage des früheren französischen Präsidenten François Hollande, dass die Türkei bei der Umsetzung des Abkommens nicht in die Gruppe der Industriestaaten aufgestuft wird. Dann müsste die Türkei nämlich in den geplanten Umweltfonds des Abkommens einzahlen, statt daraus Geld zu erhalten.

Bis zuletzt hatten die Gipfel-Sherpas noch um eine Formulierung für die Abschlusserklärung gerungen, der alle Mitglieder der G20 zustimmen können. Sie fanden nur einen sehr teuer erkauften Kompromiss. Die G20-Staaten unterstreichen die Bedeutung, Treibhausgase zu reduzieren. Sie legen zudem fest, dass das Pariser Klimaabkommen "umumkehrbar" ist. Sie halten aber zugleich fest, dass die Vereinigten Staaten, wie von US-Präsident Donald Trump gewünscht, aus genau diesem Abkommen aussteigen. Das ist der in Papier gegossene Dissens - ein ungewöhnlicher Schritt für die auf Konsens gepolten G20. Erdogan stellt selbst diesen binnen Stunden infrage.

Merkel verkaufte das "19 zu 1", das "Alle gegen die Vereinigten Staaten von Amerika", gewissermaßen als maximal möglichen Erfolg. Doch der ist womöglich schon dahin.

"Die EU hat ihr Versprechen gebrochen"

Erdogan nutzt die Pressekonferenz auch, um noch einmal alles anzusprechen, was ihn seit Monaten so erzürnt. Er werde es nicht still mit ansehen, dass auf der Welt "Inseln für Terroristen" entstehen, sagt er. Er wirft der Bundesrepublik schon seit Langem vor, nicht konsequent gegen die auch in Deutschland verbotene Arbeiterpartei Kurdistans, die PKK, vorzugehen.

"Die EU hat ihr Versprechen gebrochen", sagt Erdogan und meint den Flüchtlingsdeal. Während kaum noch Migranten in Griechenland ankämen, seien von den versprochenen 6 Milliarden Euro für die Türkei kaum 800 Millionen geflossen. Dabei lägen die Ausgaben seines Landes mittlerweile bei 30 Milliarden Euro.

Es ist kein Geheimnis, dass Erdogan mit Wut im Bauch nach Hamburg geflogen ist. Eigentlich wollte er bei der Deutschland-Visite auch eine Rede vor seinen Anhängern halten. Die Bundesregierung untersagte das, genauso wie im Frühjahr Auftritte von Ministern untersagt wurden, die für das umstrittene Referendum in der Türkei werben wollten.

Am Ende "Gerangel"

Diese Wut lässt er offensichtlich auch an den anwesenden Journalisten aus. Einer fragt nach seinen in der Türkei inhaftierten Kollegen Deniz Yücel und Mesale Tolu. Erdogan: "Können Sie das nochmal wiederholen?" Der Journalist wiederholt. Und Erdogan lässt seinen Ohrstöpsel für die Übersetzung auf das Rednerpult fallen, als sei es ein Stück Unrat. "In Fragen der Meinungsfreiheit bin ich sehr sensibel und empfindlich", sagt Erdogan und verweist darauf, dass er selbst einmal eingesperrt wurde, nur weil er ein Gedicht aufgesagt hatte. Dem Journalisten wirft der Präsident Unwissenheit vor. Eine Inszenierung, denn jeder Journalist, der sich mit der Türkei beschäftigt (wie auch der Fragesteller), weiß um diese Episode in Erdogans Leben.

Erdogan verweist darauf, dass die inhaftierten Journalisten unter Verdacht der Terrorunterstützung stünden. Alles Weitere würde die unabhängige türkische Justiz klären.

Am Ende einer bemerkenswerten Pressekonferenz, in der Erdogan unter anderem mal ganz feministisch fragt, ob gar keine Frau eine Frage stellen würde, am Ende einer Pressekonferenz, in der Erdogan den Einsatz der Hamburger Polizei würdigt und dann sofort vom Kampf der türkischen Sicherheitskräfte gegen Putschisten und die PKK spricht, am Ende dieser Pressekonferenz steht eine Szene, die Journalisten, die direkt danebenstehen, später als "Gerangel" beschreiben. Als Erdogan schon auf dem Weg nach draußen ist, bildet sich ein Pulk um den Präsidenten. Ein weiterer deutscher Journalist fragt demnach erneut nach Yücel. In dem Pulk rund um Erdogan wird es unruhig, Rufe sind zu hören, die aus ein paar Metern Entfernung nicht zu verstehen sind. Leute aus unmittelbarer Nähe berichten, dass auch das Wort "Terrorist" auf Türkisch gefallen sein soll.

Quelle: ntv.de

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