"Israel ist an allem schuld" Erst denken, dann reden
23.04.2015, 19:33 Uhr
Israelis gedachten am Mittwoch der Toten, die durch Anschläge und in den Kriegen Israels ums Leben gekommen sind.
(Foto: dpa)
Man wird doch wohl noch Israel kritisieren dürfen, ohne Antisemit genannt zu werden. Der Satz ist so wahr wie perfide. Man kann ein Buch darüber schreiben.
Eigentlich hatten die Journalisten Esther Schapira und Georg Hafner ein "Schwarzbuch Antisemitismus" geplant. Doch dann kam der Gaza-Krieg. Und die Demonstrationen in Deutschland, auf denen "Hamas, Hamas, Juden ins Gas" zu hören war. Und die Kommentare, in denen ausführlich betont wurde, es sei kein Antisemitismus, Mitleid mit den Palästinensern zu haben. Schapira und Hafner schrieben ein anderes Buch. Es heißt: "Israel ist an allem schuld."
Vor allem die Verlogenheit des Mitleids geht Schapira und Hafner auf die Nerven. Ja, den Palästinensern geht es schlecht. Aber niemand fragt, ob das vielleicht auch an ihren eigenen Politikern liegt. Und niemand interessiert sich dafür, dass Palästinenser im Flüchtlingslager Jarmuk in Syrien derzeit von der Terrormiliz Islamischer Staat abgeschlachtet werden, wie Schapira am Dienstag bei der Buchvorstellung in Berlin sagte. Wenn israelische Soldaten etwas Ähnliches täten - was unvorstellbar sei -, dann wäre die Aufregung gigantisch.
Woher kommt die Heftigkeit, mit der Israel in Deutschland kritisiert wird? Warum prangern die sogenannten Israel-Kritiker andere Krisenherde nicht mit derselben Vehemenz an? Könnte es sein, dass die Kritik an Israel einem ganz anderen Zweck dient? Dem, sich selbst zu entlasten? Nicht selten liegt dieser Verdacht nahe.
Die Frage, warum der Judenstaat so gehasst wird, beantworten Schapira und Hafner nicht, obwohl sie es im Untertitel versprechen. Vielleicht wirkte der frühere deutsche Botschafter in Israel und ehemalige SPD-Sozialexperte Rudolf Dreßler deshalb so unzufrieden. Er moderierte die Buchvorstellung; ihn treibt um, wie man jungen Leuten vermitteln kann, dass es nicht Israel, sondern den Deutschen schaden würde, einen "Schlussstrich" unter den Holocaust zu ziehen. Eine Lösung für dieses Problem fand er bei Schapira und Hafner nicht - natürlich nicht. Es wäre die Antwort auf die Frage, wie man dafür sorgen kann, dass es keine Trottel mehr gibt.
In dem Buch wird der israelische Journalist Eldad Beck zitiert, der seit zwölf Jahren in Berlin lebt: "In Deutschland denken viele Leute etwas, sagen es aber nicht, sondern haben sehr gute Methoden der Tarnung entwickelt, um ihre Meinung zu äußern." Manchmal reißt die Tarnung auf. Nicht immer passiert das so plump wie bei den Anti-Israel-Demonstrationen im vergangenen Sommer. Es kann auch nett gemeint sein: Schimon Stein, der frühere Botschafter Israels in Deutschland, so erzählt Schapira am Ende der Buchvorstellung, wurde einmal von einem deutschen Politiker mit den Worten begrüßt: "Ich bin übrigens für die Existenz Ihres Staates." Nur Israelis werden so begrüßt. (Stein antwortete übrigens: "Das ist schön, ich bin auch für die Existenz Ihres Staates.")
Warum Deutsche solche Sätze sagen, erklärt das Buch von Schapira und Hafner nicht. Es liefert aber reichlich Hinweise darauf, dass ein solcher Satz kein Einzelfall ist, und noch mehr Beispiele dafür, was solche Sätze bei Israelis und Juden anrichten. Vielleicht kann "Israel ist an allem schuld" dazu beitragen, dass die Tarnung, von der Eldad Beck spricht, ein bisschen häufiger funktioniert - vielleicht kann das Buch sogar helfen, dass eine solche Tarnung gar nicht mehr nötig ist. Kurzum: Wer Israel kritisieren will, soll dies tun - aber bitte vorher darüber nachdenken, was ihn wirklich umtreibt. Und dieses Buch lesen.
Quelle: ntv.de