Politik

Viele Frauen und KinderForscher gehen von mehr als 100.000 Toten im Gazakrieg aus

24.11.2025, 11:29 Uhr
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Weite Teile des Gazastreifens sind zerstört. (Foto: picture alliance / Anadolu)

Die einzige offizielle Quelle zu Todeszahlen im Gaza-Krieg ist das von der Hamas kontrollierte Gesundheitsministerium. Hochrechnungen des deutschen Max-Planck-Instituts zufolge sind die tatsächlichen Zahlen womöglich weitaus höher.

Die Zahl der getöteten Palästinenser im Gaza-Krieg ist nach Berechnungen von Forschern deutlich höher als bislang angenommen. Das berichtet die "Zeit" unter Berufung auf Ergebnisse des Max-Planck-Instituts für demografische Entwicklung in Rostock. Demnach sind mindestens 100.000 Menschen in den beiden Kriegsjahren getötet worden. Derzeit herrscht eine Waffenruhe zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas.

"Die tatsächliche Zahl der Toten werden wir nie genau kennen", sagte Irena Chen, Co-Leiterin des Projekts, der Zeitung. "Wir versuchen nur, möglichst gut zu schätzen, was eine realistische Größenordnung sein könnte."

Die einzige offizielle Quelle für die Anzahl der Toten ist das Gesundheitsministerium im Gazastreifen. Demnach sind bislang 67.173 Menschen im Krieg getötet worden. Weil die Behörde von der Hamas kontrolliert wird, gibt es Zweifel an den Angaben. Belege für eine Manipulation der Zahlen gibt es zugleich nicht. Mehrere Untersuchungen legten hingegen bereits nahe, dass das Gaza-Gesundheitsministerium sogar eher konservativ zählt.

Für ihre Hochrechnung berücksichtigten die Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts in Rostock neben den Daten des Gesundheitsministeriums auch Angaben von unabhängigen Haushaltsbefragungen und Todesmeldungen aus sozialen Medien. Die genaue Methode legten sie in einem Artikel der Fachzeitschrift "Population Health Metric" dar. Seit dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 bis zum 6. Oktober dieses Jahres sind demnach zwischen 99.997 und 125.915 Menschen bei den Kämpfen im Gazastreifen getötet worden. Die mittlere Schätzung beträgt 112.069 Menschen.

Die meisten starben durch Bomben

Laut dem Bericht der "Zeit" werden dabei nur Menschen gezählt, die direkt durch die Kämpfe gestorben sind. In den meisten Fällen handele es sich um Bombardements der israelischen Armee. Hinzu kommen nach Angaben des israelischen Verteidigungsministeriums 1983 getötete Israelis.

Laut den Berechnungen sind etwa 27 Prozent der Kriegstoten Kinder unter 15 Jahren. 24 Prozent sind demnach Frauen. Den Forschern zufolge gleicht die geschätzte Verteilung der Todeszahlen nach Alter und Geschlecht dem, was die Vereinten Nationen in der Vergangenheit bei Genoziden festgestellt haben, heißt es in dem Bericht weiter. Bei Kämpfen zwischen bewaffneten Gruppen würden sich die Todesfälle dagegen viel stärker auf junge Männer konzentrieren.

Zudem haben die Wissenschaftler berechnet, wie sich der Krieg auf die Lebenserwartung im Gazastreifen ausgewirkt hat. Vor dem Krieg lag diese bei 77 Jahren für Frauen und 74 Jahren für Männer. 2024 waren es demnach 46 Jahre für Frauen und 36 Jahre für Männer. Das bedeutet: Würden die Kämpfe dauerhaft so weitergehen, würden die Palästinenser im Durchschnitt dieses Alter erreichen. Laut der "Zeit" demonstriert dieser statistische Wert in erster Linie, wie gefährlich das Leben für die Bevölkerung im Gazastreifen zuletzt war.

Studien gehen von mehr Toten aus

Bereits zuvor hatten unabhängige Berechnungen eine deutliche höhere Todeszahl in Gaza ergeben. Forscher der London School of Hygiene and Tropical Medicine veröffentlichten Anfang des Jahres einen Beitrag in der Fachzeitschrift "The Lancet". Darin hatten sie mehrere Verstorbenenlisten abgeglichen. Ihren Schätzungen zufolge könnte die Untererfassung der Gaza-Gesundheitsbehörde zum damaligen Stand etwa 41 Prozent betragen.

Ein Team um den Professor Michael Spagat von der Universität London hat Anfang des Jahres wiederum Haushaltsbefragungen durchgeführt. Sie ermittelten eine mögliche Untererfassung durch das Gesundheitsministerium von 35 Prozent. Die Zahl der indirekten Kriegstoten im Ermittlungszeitraum 7. Oktober 2023 bis 5. Januar 2025 bezifferte die Studie auf 8540 - eine deutlich niedrigerer Zahl als eine vergleichbare Studie zuvor berechnet hatte.

Zu den indirekten Kriegstoten zählen diejenigen, die durch Mangelernährung oder Krankheit infolge des Krieges gestorben sind. Im August 2025 erklärte die IPC-Initiative eine Hungersnot in Teilen des Gazastreifens. In den Untersuchungen des Max-Planck-Instituts sind indirekte Kriegstote nicht berücksichtigt.

Auch unterscheiden die Zahlen zwar zwischen Geschlecht und Alter, aber nicht unmittelbar zwischen Hamas-Kämpfern und Zivilisten. Das Gaza-Gesundheitsministerium nimmt dies Unterscheidung ebenfalls nicht vor. Im August berichtete der "Guardian" unter Berufung auf interne Daten der israelischen Armee, dass fünf von sechs der getöteten Palästinenser Zivilisten gewesen sein sollen.

Quelle: ntv.de, mdi

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