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Abtreibungsrecht in Polen "Frauen sind wegen des verschärften Abtreibungsgesetzes gestorben"

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Frauen in Polen demonstrierten immer wieder gegen das verschärfte Abtreibungsgesetz, teilweise zu Hunderttausenden.

Frauen in Polen demonstrierten immer wieder gegen das verschärfte Abtreibungsgesetz, teilweise zu Hunderttausenden.

(Foto: picture alliance / NurPhoto)

In Polen gelten strenge Gesetze für Frauen, die abtreiben wollen. Ministerpräsident Tusk will das ändern. Warum er dabei auf Unterstützung durch die Zivilgesellschaft hoffen und dennoch scheitern kann, erklärt Elke Ferner, Vorstandsvorsitzende von UN Women Deutschland.

In Polen gelten strenge Gesetze für Frauen, die abtreiben wollen. Ministerpräsident Donald Tusk will das ändern. Warum er dabei auf Unterstützung durch die Zivilgesellschaft hoffen und dennoch scheitern kann, erklärt Elke Ferner, Vorstandsvorsitzende von UN Women Deutschland.

ntv.de: Ministerpräsident Donald Tusk sagt, er möchte in Polen "legale und sichere Abtreibungen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche" ermöglichen. Die Vorgängerregierung der nationalkonservativen PiS hatte das Abtreibungsgesetz zuletzt 2020 verschärft. Vor welche Probleme stellte das Gesetz Schwangere?

Elke Ferner: Polen hatte schon vor der Verschärfung eines der restriktivsten Abtreibungsgesetze in ganz Europa. Abtreibungen waren vor 2020 nur aufgrund von drei Indikatoren erlaubt: wenn das Leben der Mutter in Gefahr oder die Schwangerschaft Folge einer Vergewaltigung oder der Fötus ernsthaft geschädigt ist. 2020 wurde eine Abtreibung auch dann verboten, wenn der Fötus geschädigt ist. Das hat für Frauen in Polen vieles verschlimmert. Außerdem haben wir nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine gesehen, dass selbst Ukrainerinnen, die in ihrer Heimat vergewaltigt worden sind und Zuflucht in Polen gefunden haben, dort nicht die kriminologische Indikation der Vergewaltigung ziehen konnten.

Elke Ferner ist Vorstandsvorsitzende von UN Women Deutschland.

Elke Ferner ist Vorstandsvorsitzende von UN Women Deutschland.

(Foto: UN Women Deutschland/Ortrud Ladleif)

Warum nicht?

Weil dafür Anzeige erstattet werden und der Staatsanwalt ermitteln muss. Selbst wenn eine Frau vergewaltigt wurde und die Staatsanwaltschaft nicht ermittelt oder sie die Angaben der Frau bezweifelt, ist keine legale Abtreibung möglich. Deshalb reisen viele Polinnen ins Ausland, um ihren Schwangerschaftsabbruch durchführen zu lassen.

Es häuften sich Medienberichte über Frauen, die in Polen während der Geburt oder der Schwangerschaft aufgrund der Verschärfung des Abtreibungsgesetzes gestorben sein sollen. Stimmt das?

Frauen sind wegen des verschärften Abtreibungsgesetzes gestorben, ja. Wie viele es waren, ist allerdings schwer zu sagen, weil diese Statistiken, wenn sie überhaupt geführt werden, nicht aussagekräftig sind. Es gibt viele Gründe für einen Todesfall. Eine Schwangere könnte sich das Leben nehmen, weil sie sich nicht vorstellen kann, ein geschädigtes Kind aufzuziehen. Sie könnte sterben, weil der Abbruch durch die fehlende medizinische Versorgung nicht fachgerecht gemacht worden ist. Generell gilt, dass das Verbot des Schwangerschaftsabbruchs diesen nicht verhindert, sondern lediglich die Bedingungen für die Frauen verschlechtert.

Ärzte in Polen sollen in manchen Fällen Angst gehabt haben, einzugreifen, obwohl eine Abtreibung nötig gewesen wäre, um das Leben der Mutter zu retten. Sind Ihnen solche Fälle bekannt?

Ja. Auch bei uns in Deutschland sind Ärzte und Ärztinnen verunsichert, weil ein Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich strafbar ist und nur in Ausnahmefällen nicht rechtswidrig ist. Das gilt für Schwangere und Ärztinnen und Ärzte.

In welchen Fällen haben deutsche Ärzte Angst, eine Abtreibung durchzuführen?

Ärztinnen und Ärzte sind dann straffrei, wenn die Schwangere nachweist, dass sie beraten worden ist oder eine kriminologische Indikation vorliegt, und der Abbruch vor Ende der zwölften Woche stattfindet, sowie bei einer medizinischen Indikation. Wir stehen auch in Deutschland vor dem Problem, dass nicht mehr flächendeckend der Zugang zu einer guten medizinischen Versorgung im Falle des Schwangerschaftsabbruchs gewährleistet ist. Es gibt Regionen, wo Sie keinen Arzt mehr finden, der ambulante Schwangerschaftsabbrüche durchführt. In Polen muss man sich das Problem um ein Vielfaches potenziert vorstellen.

Polen ist ein katholisch geprägtes Land. Dennoch stieß die Verschärfung des Abtreibungsgesetzes bei der Bevölkerung auf Widerstand. Immer wieder gab es Demonstrationen mit Hunderttausenden Teilnehmern. Warum?

Das verschärfte Abtreibungsgesetz regt viele Frauen auf. Es hat uns in den 70er- und 80er-Jahren auch aufgeregt, dass wir nicht selbst über unseren Körper bestimmen können. Das regt die Frauen in Polen genauso auf. Deshalb sind sie auch auf die Straße gegangen. Völlig zu Recht. Selbst im katholischen Irland war ein Referendum gegen das restriktive Abtreibungsrecht erfolgreich, weil alle gesehen haben: Es ist eine verlogene Politik. Auf der einen Seite wird es den Frauen so schwer wie möglich gemacht, einen Schwangerschaftsabbruch regulär durchführen zu lassen. Auf der anderen Seite lässt man die Frauen, wenn das Kind da ist, mit ihm allein. Oder man verweist auf die Möglichkeit, im Ausland einen Abbruch durchführen zu lassen. Das ist keine konsistente Politik. Das dient nicht dem Lebensschutz.

War der Wahlsieg der liberaleren Bürgerplattform, die mit Tusk die Regierung stellt, auch eine Folge der Unzufriedenheit mit dem Abtreibungsgesetz?

Definitiv. Es gibt eine sehr lebendige Zivilgesellschaft in Polen, zum Beispiel einen Frauenkongress mit mehrren tausend Teilnehmerinnen, der sich lauthals gegen das Gesetz gewehrt hat. Ich glaube, die Frauen haben verstanden, dass sie den Unterschied machen können bei der Wahl, wenn sie konsequent die fortschrittlicheren Parteien wählen. Das Problem ist, dass in diesem Regierungsbündnis eine Partei ist, die keine Liberalisierung des Abtreibungsgesetzes will.

Das konservativ geprägte Parteienbündnis Dritter Weg stemmt sich in der polnischen Regierung gegen das Gesetz. Wird Tusk sich trotzdem durchsetzen?

Das wird davon abhängen, wie gut die weibliche Zivilgesellschaft mobilisieren kann. Die katholische Kirche wird alles daransetzen, das zu hintertreiben. Ich glaube, dass diese Regierungskoalition, zumindest die beiden Parteien, die sich für ein liberaleres Schwangerschaftsabbruchsrecht einsetzen, alles versuchen werden, um das gangbar zu machen. Letztendlich wäre ein Referendum auch eine Möglichkeit. Ich glaube, das Referendum würden die Befürworter des liberaleren Abtreibungsrechts locker gewinnen.

Mit Elke Ferner sprach Lea Verstl

Quelle: ntv.de

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