Stellvertreter-Kampf in der CDU Für oder gegen Merkel
25.06.2018, 16:09 Uhr
Erlebt schwierige Tage: Kanzlerin Angela Merkel.
(Foto: picture alliance / Kay Nietfeld/)
Liberal oder rechtskonservativ? Die Unionsparteien streiten nicht nur untereinander über ihre Flüchtlingspolitik, Politiker der CDU ringen auch intern verbittert um den Kurs. Anhänger der Kanzlerin fühlen sich unter Druck gesetzt.
Zwei Drittel, vielleicht sogar drei Viertel gegen die Kanzlerin. So in etwa werden die Kräfteverhältnisse in der Unionsfraktion im Streit um die Flüchtlingspolitik geschätzt. Zumindest darin herrscht zwischen Merkel-Anhängern und -Kritikern noch Einigkeit. Unabhängig davon ist die Stimmung in der Fraktion weniger harmonisch, eher nervös. Einzelne Merkel-Unterstützer klagen nun - teils offen, teils verdeckt - sogar über Einschüchterungsversuche.
Auslöser ist eine Äußerung des CDU-Abgeordneten Roderich Kiesewetter. Der Unions-Obmann im Auswärtigen Ausschuss, ein Unterstützer der Kanzlerin, berichtete bei Twitter am Wochenende, CDU-Kollegen hätten ihm gedroht: Wenn er in der Flüchtlingspolitik weiter eine europafreundliche liberale Haltung wie Merkel vertrete, werde "ein prominenter CSUler bei der nächsten Bundestagswahl" gegen ihn kandidieren. Der Tweet löste reichlich Wirbel aus. Die einen warfen Kiesewetter vor, Unruhe zu schüren, von anderen erhielt er Zuspruch. "Unerträgliche Versuche der Einschüchterung frei gewählter Abgeordneter - halten jetzt Methoden der Tea-Party und der Brexit-Fanatiker Einzug in Deutschland?", fragte der CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Nick bei Twitter. "Das geht gar nicht", schrieb der CDU-Politiker Matthias Zimmer. Der Politikwissenschaftler Andreas Püttmann twitterte, es schlage die Stunde der Ängstlichen, Mitläufer und Opportunisten und dankte Kiesewetter, Nick und dem früheren CDU-Generalsekretär Peter Tauber dafür, dass sie "Rückgrat zeigen".
"Wenn wir bundesweit gehen, dann …"
Mobbing gegen Merkel-Anhänger, ein Einzelfall oder Massenphänomen? Andreas Nick sagt n-tv.de: Grundsätzlich sei der Umgang in der Fraktion kollegial und fair. "Allerdings gibt es aus einem kleinen Kern von Merkel-Kritikern immer wieder Anfeindungen." Auch andere CDU-Politiker, die jedoch anonym bleiben wollen, berichten über ähnliche Erlebnisse und über Sätze wie "Wenn wir bundesweit gehen, dann …". Ein CDUler zieht im Zusammenhang mit einer möglichen bundesweiten Ausdehnung der CSU und Seitenwechseln aus den eigenen Reihen sogar den Vergleich zur WASG, die 2005 mit der PDS zur Linkspartei fusioniert war. Als Urheber der Einschüchterungen werden vor allem der Parlamentskreis Mittelstand und die Mittelstands-Wirtschaftsvereinigung (MIT) sowie die Werteunion genannt. Carsten Linnemann, Fraktionsvize im Bundestag und MIT-Vorsitzender, sagt auf die Vorwürfe angesprochen: "Die sachliche Auseinandersetzung muss im Mittelpunkt stehen, alles andere schadet der gemeinsamen Lösung von CDU und CSU."
Längst nicht alle Merkel-Unterstützer machen Erfahrungen mit Mobbing. Es gebe unterschiedliche Meinungen, aber keine Drohungen, sagt der CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Patzelt aus Frankfurt an der Oder. Über den Fall Kiesewetter sagt er: "Ich wünsche ihm, dass er standhaft bleibt. Wir dürfen uns nicht in eine Ecke boxen lassen." Patzelt nahm vor drei Jahren zwei Asylbewerber aus Eritrea bei sich auf. Bei der Bundestagswahl 2017 gewann er sein Direktmandat gegen AfD-Chef Alexander Gauland. Patzelt berichtet von verunsicherten und schwankenden Merkel-Anhängern in der Fraktion und appelliert: "Wer wackelt und Angst hat, kann niemanden überzeugen. Die Wähler bekommen doch mit, ob wir authentisch reden oder opportunistisch sind. In dieser Situation müssen wir stehen. Es geht um Deutschland."
"Damit muss man nicht an die Presse gehen"
Als Kritiker der Kanzlerin gilt der CDU-Abgeordnete Andreas Mattfeldt. "In vielen Bereichen hat sie einen guten Job gemacht, aber in der Flüchtlingsfrage bin ich eben anderer Meinung", sagt er. Mattfeldt, der Seehofers Forderung inhaltlich voll unterstützt, macht gewissermaßen ähnliche Erfahrungen wie Kiesewetter. "Mich hat kürzlich auch ein Kollege gefragt: Und, bist du zufrieden mit der Revolte, die du angezettelt hast?" Dass Fraktionskollegen sich mal die Meinung sagen, sei "völlig normal" im politischen Geschäft. Wer so etwas nicht abkönne, dürfe nicht in die Politik gehen. Über Kiesewetters Schilderung sagt er: "Roderich ist ein sehr angenehmer Zeitgenosse, mit dem man sich auf einem anständigen Niveau unterhalten kann. Aber damit muss man aber nicht an die Presse gehen. Wenn, dann sollte man auch Ross und Reiter nennen." Mattfeldt meint, bei Merkel-Anhängern eine gewisse Angst auszumachen. Viele seien über die Liste der CDU in den Bundestag eingezogen und hätten kein Direktmandat gewonnen.
Armin Schuster, Unions-Obmann im Innenausschuss, ärgert sich über die Debatte. "Ich bin eigentlich erleichtert, dass sich endlich was tut. Wir haben eine hervorragende Chance, unter diesem Druck eine Kursveränderung hinzubekommen", sagt er n-tv.de. "Aber die gute Grundstimmung in der Sache geht allmählich verloren, weil es immer emotionaler wird und viele sich nur noch in einem Machtkampf zwischen Merkel und Seehofer wähnen." Schuster sieht dadurch sogar die Chance schwinden, in der Sache weiterzukommen. "Wir sollten Frau Merkel ungestört verhandeln lassen, das ist unter diesem Druck auch ein Gebot der Fairness." Schuster, seit längerem ein Kritiker der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin, sagt dennoch: "Unsere Diskussion darf man nicht nur kritisch sehen. Wir sind wieder mal die einzige Partei, in der um Meinungen genauso gerungen wird wie in der Gesellschaft."
Merkel geschwächt
Viele Jahre lang versammelten sich CDU und CSU geschlossen hinter Merkel. Ihre Kritiker waren stets in der Minderheit, auch wenn die Kanzlerin der Union bisweilen viel zumutete; etwa beim Atomausstieg, der Abschaffung der Wehrpflicht oder den Rettungspaketen für Griechenland. Doch das schwache Wahlergebnis im September und die komplizierte Regierungsbildung mit dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen haben Merkel geschwächt. Als die Koalition mit der SPD schließlich stand, stieß es intern vielen bitter auf, dass sie den Sozialdemokraten fast alle großen Ressorts überließ. Schlechte Vorzeichen für den ohnehin schwierigen Start in Merkels wohl letzte Legislaturperiode. Als wäre das nicht genug, wird sie nun vom eigenen Innenminister öffentlich unter Druck gesetzt. Sogar der Bruch der Koalition ist denkbar.
Dass der Konflikt um die Flüchtlingspolitik nun eskaliert, ist aus Sicht von Schuster und anderen die Quittung dafür, dass der nach Beginn der Flüchtlingskrise 2015 ausgebrochene unionsinterne Streit nie zuende diskutiert worden ist. "Wenn man die Probleme nicht löst, explodieren sie irgendwann", sagt ein CDU-Abgeordneter. Beim Parteitag im Dezember 2015 initiierten Innenpolitiker wie Schuster einen Antrag, der forderte, Flüchtlinge an der Grenze abzuweisen, die aus einem sicheren Herkunftsstaat oder Drittland kommen - und scheiterten deutlich. Inzwischen ist die Stimmung anders.
Im Asylstreit hat Merkel mit CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer, ihren Stellvertretern Ursula von der Leyen, Volker Bouffier und Armin Laschet, Wirtschaftsminister Peter Altmaier und dem schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Daniel Günther zwar prominente Fürsprecher. Auch viele CDU-Abgeordneten kritisieren die Art und Weise, wie die CSU den Konflikt eskaliert, teilen aber grundsätzlich Seehofers Position. Nach der bisher letzten gemeinsamen Fraktionssitzung vor zwei Wochen zeigten sich Unionspolitiker erstaunt, wie schmal der Zuspruch für die Kanzlerin ausfiel. Roderich Kiesewetter plädiert dafür, "dass sich die Wogen glätten". Deshalb will er sonst lieber erst einmal nichts mehr sagen.
Quelle: ntv.de