"Darf nicht wieder passieren" Geisel erklärt Polizeimangel vor Bundestag
31.08.2020, 09:48 Uhr
Die Bilder schockieren: Demonstranten überwinden die Absperrungen vor dem Reichstagsgebäude, betreten die Treppen und schwenken schwarz-weiß-rote Fahnen. Drei Polizisten stellen sich ihnen. Innensenator Geisel erklärt, wie es dazu kommen konnte.
Bei den Krawallen vor dem Berliner Reichstagsgebäude am Wochenende war das Gebäude aus Sicht des Berliner Innensenators Andreas Geisel trotz kurzzeitig wenigen Polizisten vor Ort nicht ungeschützt. "Das war ein Moment von ein, zwei Minuten und das ist auszuwerten", sagte der SPD-Politiker im RBB-Inforadio. "Aber es war nicht so, dass der Deutsche Bundestag nicht geschützt gewesen sei." Aufgrund von weiteren Ausschreitungen nahe der russischen Botschaft unweit des Parlaments hätten Einsatzkräfte dort aushelfen müssen.
Demonstranten gegen die Corona-Politik hatten am Samstagabend Absperrgitter am Reichstagsgebäude in Berlin überwunden. Sie stürmten danach die Treppe hoch, wobei schwarz-weiß-rote Reichsflaggen - die auch von Reichsbürgern und Rechtsextremen verwendet werden - aber auch andere Fahnen zu sehen waren. Anfangs stellten sich nur drei Polizisten der grölenden Menge entgegen, wie aus Videoaufnahmen hervorgeht. Nach einer Weile kam Verstärkung. Die Polizei drängte die Menschen daraufhin auch mithilfe von Pfefferspray zurück.
"Das sind beschämende Bilder, gar keine Frage", sagte Geisel. "Das darf nicht wieder passieren." Der Innensenator kündigte an, heute eine Einsatzhundertschaft der Polizei zu besuchen, um sich bei den Beamten für ihren Einsatz zu bedanken. "Was die Berliner Polizei am Wochenende leisten musste und geleistet hat, bleibt toll." Nach Behördenangaben waren am Wochenende bis zu 38.000 Menschen aus Protest gegen die Corona-Maßnahmen auf den Straßen.
Geisel für generelle Demo-Maskenpflicht
Gleichzeitig strebt Geisel eine generelle Maskenpflicht bei Demonstrationen in der Hauptstadt an. Eine entsprechende Änderung der Infektionsschutzverordnung werde er dem Senat am Dienstag gemeinsam mit Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) vorschlagen, sagte er im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses. Die Rechtsänderung sei "ein wichtiges Signal" an die Veranstalter der umstrittenen Demos vom Wochenende.
Auch Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik bedauerte die Besetzung der Reichstagstreppe. "Auch mich beschämen diese Bilder von Samstag sehr", sagte sie im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses. "Wir werden künftig noch deutlicher, noch enger die Absperrlinien zum Reichstag schützen." Das genaue Vorgehen werde man mit der Bundestagspolizei erörtern. Slowik sagte, die Polizei habe unverzüglich interveniert. Gleichzeitig räumte sie ein: "Es waren wenige Minuten, aber die Macht der Bilder zählt hier." Die Polizei werde die Situation analysieren, um bei künftigen Situationen den Schutz des Gebäudes durch Absperrgitter und Polizisten deutlich zu verstärken.
Slowik sagte, gegen 19.00 Uhr habe die Polizei versucht, den Zustrom von der großen Demonstration zur Reichstagswiese zu verhindern. Dadurch hätten viele Polizisten seitlich zwischen Reichstag und Tiergarten gestanden. Gleichzeitig habe eine unbekannt gebliebene Sprecherin auf der Bühne der Demonstration direkt vor dem Reichstagsgebäude dazu aufgerufen, "geschlossen die Reichstagstreppe zu stürmen". Somit habe die Polizei "von zwei Seiten einen erheblichen Druck auf die Absperrlinie" gehabt. So sei es einer Gruppe von 300 bis 400 Menschen gelungen, die Absperrungen "sehr kurzfristig zu überwinden und die Treppe hochzulaufen". Überwiegend seien das Menschen gewesen aus der Reichsbürgerszene sowie zu einem kleineren Teil auch Demonstranten, "die sich selbst als Patrioten oder Bürgerwehr bezeichnen".
Ältestenrat des Bundestags tagt
Derweil wird sich auch der Ältestenrat des Bundestags mit der Angelegenheit befassen. Es sei eine "Sondersitzung des Gremiums" einberufen worden, sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil im ARD-"Morgenmagazin". Es müsse mit dem Berliner Senat geredet werden, wie das Parlament zu schützen sei. "Ich möchte das Parlament nicht verbarrikadieren", sagte Klingbeil. Doch "diese Bilder schaden Deutschland im internationalen Ansehen", sagte er mit Blick auf die Ereignisse. Es müsse geschaut werden, welche Demonstrationen zugelassen würden. Klingbeil stellte sich auch hinter Innensenator Geisel, der ursprünglich ein Verbot der Corona-Proteste am Wochenende angestrebt hatte.
Der Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz forderte in der "Welt", auch an Tagen ohne Parlamentsbetrieb eine Bannmeile um das Parlament zu ziehen, innerhalb derer nicht demonstriert werden dürfe. "Ich halte es für notwendig, vor dem Hintergrund der Ereignisse des Wochenendes, die Sicherheit des Gebäudes erneut zu diskutieren und zu verbessern." Der hohe Symbolcharakter des Reichstagsgebäudes müsse bei den Regelungen zur Bannmeile zukünftig besser berücksichtigt werden.
Dagegen will der parlamentarische Staatssekretär im Innenministerium, Stephan Mayer von der CSU, die generelle Zugänglichkeit des Gebäudes nicht infrage stellen. "Ich sehe keine unmittelbare Notwendigkeit, aufgrund dieses einen zugegebenermaßen unerträglichen und beschämenden Vorfalls die Bannmeile um den Reichstag zu erweitern oder die Regelungen zu verschärfen", sagte er der "Welt". Es sei ein Markenzeichen der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie, dass sie transparent und erfahrbar für alle sei.
Quelle: mli/dpa/AFP