Politik

Union und SPD schleichen voran Groko an der Grenze zur Arbeitsverweigerung

Gabriel, Oppermann und Schulz (v.l.) beim Frühjahrsempfang der SPD-Fraktion. Vor allem Schulz wäre eigentlich lieber dort geblieben, als am Koalitionsausschuss teilzunehmen.

Gabriel, Oppermann und Schulz (v.l.) beim Frühjahrsempfang der SPD-Fraktion. Vor allem Schulz wäre eigentlich lieber dort geblieben, als am Koalitionsausschuss teilzunehmen.

(Foto: dpa)

In sechs Monaten lässt sich viel schaffen – vor allem in einer Großen Koalition. Das gilt allerdings nicht für die letzten sechs Monate vor einer Bundestagswahl. Das Ergebnis des nächtlichen Koalitionsausschusses fällt mager aus.

Martin Schulz illustriert das Dilemma der Große Koalition am deutlichsten: Eigentlich wollte der umjubelte Kanzlerkandidat der SPD am nächtlichen Koalitionsausschuss gar nicht teilnehmen. Vor laufenden Kameras verkündete er, er würde lieber zum Frühlingsempfang der SPD-Fraktion gehen. Das Kalkül: Schulz' Popularität nährt sich auch daraus, dass er für einen Neuanfang steht und eben kein Teil jener großen Koalition ist, die so vielen in der Republik vor allem eines bereitet: Überdruss. Nur sind es noch sechs Monate bis zur Bundestagswahl. Ein bisschen früh, um nichts mehr zu schaffen. Nicht nur aus der Union ertönte deshalb der Vorwurf der "Arbeitsverweigerung".

Wahltaktische Abgrenzung von der Groko einerseits, eine Demonstration der Vernunft und des Pflichtbewusstseins andererseits - wie soll das zusammengehen? Um bei Schulz zu bleiben: Er nahm doch an dem nächtlichen Treffen teil, die vollen sechs Stunden. Wenn er an diesem Morgen über die Ergebnisse spricht, wird er trotzdem sagen können, dass nicht viel geht in dieser Koalition. Union und SPD einigen sich gerade auf genug Themen, um den Vorwurf der Arbeitsverweigerung von sich weisen zu können. Bei den Punkten, die den Parteien im Wahlkampf Profil geben sollen, zum Beispiel dem sozialdemokratischen Kassenschlager der sozialen Gerechtigkeit, geht es nicht voran.

In diesen Punkten konnte sich die Koalition einigen:

  • Härtere Strafen für Einbruchsdiebstahl: Die Mindeststrafe für solche Delikte soll auf ein Jahr Haft angehoben werden.
  • Verbot von Kinderehen: Alle Ehen von Personen unter 16 Jahren sollen grundsätzlich nichtig sein. Das soll auch für im Ausland geschlossene Ehen gelten.
  • Kampf gegen Extremismus: Die Koalition will 100 Millionen Euro mehr für das Präventionsprogramm zur Abwehr extremistischer Aktivitäten ausgeben.
  • Lohngleichheit für Frauen und Männer: Per Entgelt-Transparenz-Gesetz soll ein Auskunftsrecht für Arbeitnehmer in Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten entstehen. Frauen könnten dann erkennen, ob ihr männlicher Kollege mehr verdient.
  • Kürzung des Kindergeldes für EU-Ausländer: In dieser Legislaturperiode wird es zwar keinen Gesetzentwurf zu dem Thema geben. Doch immerhin soll ein Eckpunktepapier entstehen, das eine Regelung umreißt, die das Kindergeld für EU-Ausländer, deren Kinder noch im Heimatland leben, an das dortige Niveau anpasst.
  • Hinzu kommen eine Reihe von Vorhaben, darunter Maßnahmen gegen Tricks, sich als Vater anerkennen zu lassen, um den Aufenthaltsstatus zu verbessern, sowie die Anwendung einer Härtefallklausel beim Familiennachzug mit Blick auf Kinderrechte.

In diesen Punkten einigte sich die Koalition nicht:

  • Keine leichtere Abschiebung bei Sozialbetrug: Asylbewerber und andere Menschen, für die das Ausländerrecht gilt, sollten nach dem Willen der Union leichter abgeschoben werden können, wenn sie in größerem Stil mit falschen Angaben staatliche Hilfszahlungen bezogen haben.
  • Keine Einigung bei Managergehältern: Die SPD wollte erreichen, dass Unternehmen Managergehälter nur bis 500.000 Euro im Jahr steuerlich absetzen können.
  • Keine Ehe für alle: Die SPD wollte, dass die Ehe auch gleichgeschlechtlichen Partnern offensteht.
  • Kein Recht auf befristete Teilzeit: Die SPD hätte gern ein Recht auf befristete Teilzeit und Rückkehr in Vollzeitarbeit festgeschrieben.
  • Kein Verbot des Versandhandels für verschreibungspflichtige Arzneien: Die Union wollte den Versandhandel mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln gesetzlich verbieten.
  • Keine Solidarrente: Die SPD wollte einen Zuschlag von zehn Prozent auf die Grundsicherung für langjährige Geringverdiener festschreiben.

Dass Union und SPD den Koalitionsausschuss nicht vollends boykottiert haben, hat womöglich noch einen Grund: Im Wahlkampf wird in den nächsten Monaten zwar jeder für sich werben und beide Seiten betonen, dass sie die Koalition nicht fortsetzen wollen. Insgeheim ist in CDU, CSU und SPD aber allen klar, dass es auch nach der Bundestagswahl im September nur für eine Koalition reichen dürfte: eine große. Es könnte sein, dass es im Wahlkampf gar nicht so sehr darum geht, eine Mehrheit für ein anderes Bündnis zu bekommen - sondern eher darum, wer der stärkere Partner wird und die Kanzlerin oder den Kanzler stellt.

Quelle: ntv.de, mit dpa

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