Politik

Der seltsame Fall "Noori" Haben Taliban eine deutsche Ortskraft ermordet?

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Ein Bundeswehrsoldat bewacht das Camp Marmal. (Archivbild)

Ein Bundeswehrsoldat bewacht das Camp Marmal. (Archivbild)

(Foto: picture alliance/dpa)

Eigentlich wollte die Bundesregierung von den Taliban verfolgte Afghaninnen und Afghanen nach Deutschland holen, doch vor wenigen Tagen wurde das Programm nach heftiger Kritik gestoppt: Offenbar wurde es sowohl von Islamisten als auch von nicht-schutzberechtigten Personen missbraucht. Denn wer überprüft, ob die Gefährdungslage überhaupt stimmt? Die Auswahl für die Aufnahmelisten wird unter anderem von zivilgesellschaftlichen Organisationen übernommen, da die Bundesrepublik keine Vertreter vor Ort hat. Deutsche Sicherheitsbehörden schlagen schon länger Alarm: Hilfsorganisationen wie Mission Lifeline gingen bei der Überprüfung, wen sie ins Land holen wollen, fahrlässig vor. Das zeigt angeblich der Fall einer durch die Taliban ermordeten Ortskraft.


Die Meinungen darüber, wer in Afghanistan wie stark gefährdet ist, wem Schutz und damit eine Aufnahmezusage aus Deutschland zusteht und wem nicht, gehen stark auseinander. Gezielte Tötungen im großen Stil haben laut übereinstimmenden Medienberichten seit der Machtübernahme der Taliban im Sommer 2021 nicht stattgefunden. Dies zu behaupten, würde ein falsches Bild der tatsächlichen Lage vor Ort erzeugen.

Während deutsche Behörden daher von einer niedrigen vierstelligen Zahl aufnahmeberechtigter, gefährdeter Personen plus deren Familien sprechen, sehen Hilfsorganisationen die Zahl eher im Bereich von Hunderttausenden Menschen. Umso interessanter ist der Fall Noori. Wer war der Mann, der laut Mission-Lifeline-Vorstand Axel Steier vor einigen Monaten durch die Taliban ermordet worden sein soll? Der Mann sei tot, weil die Bundeswehr ihm zuvor keine Aufnahmezusage erteilt habe, lautet der Vorwurf. Sollte die Meldung stimmen, wäre es der erste dokumentierte Fall einer gezielten Tötung einer ehemaligen Ortskraft der Bundeswehr durch die Taliban. Doch stimmt die Meldung überhaupt?

Die Recherche ist schwierig und zieht sich über mehrere Monate, denn Steier ist zunächst nicht bereit, Hintergrundinformationen über den angeblichen Mord zu teilen. Wer war Nooruddin Noori, so der volle Name? In welchem Anstellungsverhältnis arbeitete er für die Bundeswehr? Wie ist er zu Tode gekommen? Welches Beweismaterial zu den Umständen seines Todes können unabhängig eingesehen werden? Mit welchen Personen aus dem direkten Umfeld von Noori könnte man vor Ort sprechen? Welche Beweise liegen vor, dass Noori tatsächlich bedroht wurde und durch die Hände der Taliban gewaltsam zu Tode kam? Mit welcher Begründung wurde sein Aufnahmegesuch seitens der Bundeswehr abgelehnt?

Keine Informationen von Mission Lifeline

Über einen Anwalt erfährt ntv.de, dass Mission Lifeline sich zu nichts äußern würde, das "dem Ansehen unseres Landes schaden" würde. Was damit genau gemeint ist, bleibt unklar, und eine Nachfrage unbeantwortet. Doch kritische Fragen sind durchaus angebracht, denn eine monatelange Recherche in Afghanistan konnte die von Steier immer wieder vorgebrachte Bedrohungslage der ehemaligen Ortskräfte nicht bestätigen. Inzwischen häufen sich zudem Berichte, wonach Hilfsorganisationen kaum Überblick darüber haben, wen sie auf Gefährdungslisten setzen. Ohne jeden Zweifel ist die wirtschaftliche Situation so ziemlich aller Menschen im Land katastrophal. Laut Vereinten Nationen sind 97 Prozent der Bevölkerung von akuter Armut bedroht, die Rechte der Frauen und Mädchen werden immer weiter beschnitten.

Wer also war Noori - und warum musste er sterben? Ein Sprecher des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr sagt ntv, dass der Mann einen Mietvertrag für den Laden Nummer 8 auf einem kleinen Basar im Camp Marmal in Masar-e-Scharif gehabt habe, bis er ihn von sich aus im Jahr 2009 kündigte. Die Stellplätze wurden den Ladenbesitzern gegen eine Umsatzprovision überlassen, sie waren dort wirtschaftlich eigenverantwortlich tätig und standen in keinem dienstleistungs- oder werkvertraglichen Verhältnis mit der Bundeswehr. Rein rechtlich war Noori somit keine Ortskraft, sondern hatte sich vielmehr in einem Ausschreibungsverfahren um den Stellplatz des Ladens beworben.

Vor Ort nichts zu erfahren

Während seiner Zeit im Camp Marmal sei Noori zu keinem Zeitpunkt in einem sicherheitsrelevanten Bereich tätig gewesen, sagt der Sprecher. Zudem habe Noori zu keinem Zeitpunkt einen Gefährdungsantrag gestellt, dementsprechend lägen dem Ministerium auch keine Informationen zu einem Ablehnungsbescheid oder gar seinem Tod vor. Auch Mission-Lifeline-Vorstand Steier bleibt den Beleg schuldig, dass Noori überhaupt tot ist. Von insgesamt acht Quellen ehemaliger Camp-Marmal-Mitarbeiter erfährt ntv, dass der Fall Noori vor Ort nicht bekannt sei und dass die Lage, abgesehen von der wirtschaftlichen Perspektivlosigkeit, relativ "ruhig" sei.

Ehemalige Mitglieder des afghanischen Geheimdienstes würden sich inzwischen wieder frei auf der Straße bewegen, von großangelegten Razzien durch die Taliban höre man nichts. Warum geht die Hilfsorganisation daher mit potenziell falschen und nur schwer überprüfbaren Behauptungen an die Öffentlichkeit? Es ist nicht das erste Mal, dass Mission Lifeline mit negativen Schlagzeilen auffällt: Vor mehr als zwei Jahren distanzierte sich Claus-Peter Reisch, der jahrelang als Kapitän Seenotrettungsmissionen für die Hilfsorganisation durchgeführt hatte, von der NGO: Vieles sei ihm inzwischen "zu linksradikal". Auch die Suche nach Passfälschern und der Vorwurf, zu Scheinehen mit Flüchtlingen aufzurufen, brachte Mission Lifeline Kritik ein.

Quelle: ntv.de

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