"Er kochte für seine Entführer" Hamas-Geiseln berichten von Folter und Kartenspielen
14.10.2025, 16:09 Uhr Artikel anhören
Omri Miran (rechts) kochte nach Angaben seines Bruders für die Hamas-Terroristen.
(Foto: picture alliance/dpa/IDF/AP)
Die freigelassenen Geiseln der Hamas geben Einblick in ihr Leben in Gefangenschaft, das von Angst, Hunger und Gewalt geprägt war. Zugleich gibt es Berichte über Funken von Menschlichkeit. Aber auch Palästinenser klagen über Folter in der Haft.
Avinatan Or schließt seine Freundin Noa Argamani so eng in die Arme, als wolle er sie nie wieder loslassen. Gerade erst ist er nach zwei Jahren als Hamas-Geisel freigelassen worden. Die israelische Regierung veröffentlichte die Bilder der beiden, für die zwei Jahre Alptraum zu Ende gehen.
Bei dem Hamas-Massaker am 7. Oktober 2023 auf dem Nova-Musikfestival waren Noa und Avinatan brutal auseinandergerissen worden. Nun ist der 32-Jährige als einer der letzten 20 lebenden Geiseln freigelassen worden. Davor lagen unendliche Monate quälender Einsamkeit. Dass Noa überlebt hat und im Juni 2024 von der israelischen Armee befreit werden konnte, erfuhr Avinatan erst bei seiner Freilassung.
Or war die ganze Zeit über allein ohne je eine andere Geisel zu sehen, wie Angehörige israelischen Medien berichteten. Er habe bis zu 40 Prozent seines Körpergewichts verloren. Auch andere der Freigelassenen berichteten von körperlicher und psychologischer Folter, von Einsamkeit, Verzweiflung, Angst und Hunger in den dunklen Tunneln der Hamas. Aber auch von Augenblicken der Koexistenz mit ihren Wachen und kleinen menschlichen Gesten.
"Sie waren begeistert von seiner Kochkunst"
So habe Omri Miran mit seinen Entführern oft Karten gespielt und für ihr leibliches Wohl gesorgt. "Manchmal kochte er für seine Entführer, und sie waren begeistert von seiner Kochkunst", erzählte sein Bruder Nadav der Nachrichtenseite ynet. "Er wusste genau, welches Datum, welcher Tag war und wie viele Tage er in Gefangenschaft war", fügte sein Bruder hinzu.
Auch andere Familienmitglieder berichteten von solchen Augenblicken der Menschlichkeit. Wenn Terroristen beispielsweise einen zusätzlichen Spieler für ein Kartenspiel brauchten, brachten sie die Geiseln zu sich, wie ein Familienmitglied wiedergegeben wurde. Andere Wachen hätten auch mal Hebräisch mit den Geiseln gesprochen.
Brüder wurden getrennt festgehalten
Die deutsch-israelischen Brüder Gali und Ziv Berman wurden während ihrer Gefangenschaft getrennt und völlig von der Außenwelt abgeschnitten. Sie hätten berichtet, dass es Zeiten mit ausreichend Essen und dann wieder Monate des Hungers gegeben habe. Beide, die ohne voneinander zu wissen nahe zusammen festgehalten wurden, hätten auch gehört, wie die israelische Armee in ihrer Nähe operierte.
Besonders brutal sollen die Entführer mit Matan Angerest umgegangen sein. Er habe "sehr schwere Folter" erlitten, weil er als Soldat entführt worden war, sagte seine Mutter Anat Angerest dem TV-Sender Channel 12. Er habe bisher nur wenig erzählt, sagte sie. Er erinnere sich an die schweren Bombardierungen durch die israelische Armee, an die Flugzeuge, die über ihren Köpfen flogen, an die Mauern, die neben ihnen einstürzten, und daran, dass er sich oft inmitten von Staub und Trümmern wiederfand und versuchte, über die Erde zu kommen und zu überleben.
Palästinenser berichten von brutalen Bedingungen
Aber auch von Israel freigelassene Palästinenser berichten von Misshandlungen und Qualen während ihrer Haftzeit. Bei ihrer Ankunft im Gazastreifen spielten sich emotionale Szenen ab: Arabische Nachrichtensender streamten die Bilder der Wiedersehen mit den Familien. Umringt von Menschenmassen jubelten Bewohner den Freigelassenen zu, als sie aus den Bussen des Roten Kreuzes ausstiegen.
Viele der Freigelassenen berichteten arabischen Medien zufolge von Folter und Hunger während der israelischen Haft. Al-Dschasira zitierte einen Freigelassenen. "Ich habe die letzten zwei Jahre gehungert", sagte er nach seiner Entlassung. "Ich schwöre bei Gott, sie haben uns nichts zu essen gegeben", fuhr er fort. Sie seien geschlagen und nackt in ihren Zellen gehalten worden. "Wir wurden gefoltert", sagte er.
"Sie übergossen uns mit Wasser"
"Sie (Soldaten) kamen mitten in der Nacht und übergossen uns mit Wasser. Sie haben uns auf jede erdenkliche Weise gefoltert", sagte der Fotojournalist Schadi Abu Sido aus dem Gazastreifen nach 20 Monaten Haft. Andere ehemalige Insassen berichteten CNN von Ärzten, die sie geschlagen hätten. Behandlungen bei Verletzungen oder Krankheiten habe es nicht gegeben, wurde ein 45-jähriger Mann zitiert.
Auch das UN-Menschenrechtsbüro hat Israel vorgeworfen, Tausende Palästinenser aus dem Gazastreifen "unter erbärmlichen Zuständen" festgehalten zu haben. Es gebe Berichte über Misshandlungen und Folter, teilte das Büro schon 2024 in Genf mit. Mindestens 53 Menschen seien in israelischem Gewahrsam ums Leben gekommen.
Am Montag hatte die Hamas im Rahmen eines Abkommens die letzten 20 lebenden Geiseln freigelassen. Israel entließ rund 2000 Palästinenser. 250 von ihnen waren in den vergangenen Jahrzehnten wegen der Beteiligung an Terroranschlägen zu langen Haftstrafen verurteilt worden. 1718 Palästinenser wurden während des Krieges im Gazastreifen verhaftet, es sollen überwiegend Zivilisten sein.
Quelle: ntv.de, Von Amira Rajab und Jan-Uwe Ronneburger, dpa