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Klima-Blockaden in Berlin "Ich rechne damit, dass ich das selber zahlen muss"

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Die Berliner Polizei ist gut vorbereitet: An einigen Orten, die die Aktivisten für eine Blockade auserkoren haben, steht bereits vor ihrem Eintreffen eine Streife bereit.

Die Berliner Polizei ist gut vorbereitet: An einigen Orten, die die Aktivisten für eine Blockade auserkoren haben, steht bereits vor ihrem Eintreffen eine Streife bereit.

(Foto: picture alliance/dpa)

Den zweiten Tag in Folge blockieren Aktivistinnen der Letzten Generation den Berufsverkehr in der Hauptstadt. Ein gescheiterter Versuch am Nachmittag zeigt, dass sich Berlins Polizei mit hohem Aufwand immer besser auf den Protest einstellt. Doch die Aktivistinnen zeigen sich unvermindert entschlossen.

Anstatt auf der Straße zu kleben, kauern sie auf dem Boden eines schmalen, ausgetretenen Grünstreifens zwischen Rad- und Fußgängerweg: Acht Aktivistinnen der Letzten Generation schauen am späten Nachmittag bedröppelt drein. Sie sind eingekreist von der gleichen Anzahl an Polizisten. Noch einmal so viele Beamte stehen in der Nähe bereit. Und während der Feierabendverkehr raus in den Südosten Berlins ungehindert fließt, müssen sich die fünf Frauen und drei Männer eingestehen: Die Berliner Polizei hat ihre Störaktion erfolgreich verhindert.

"Zivilpolizisten" hätten sie an der Blockade der dreispurigen Frankfurter Allee gehindert, berichtet Clara, die nach eigenen Angaben in einer anderen Stadt Musikpädagogik und Soziale Arbeit studiert. Keine Sekunde hat die Aktion gedauert, bevor der Staat sie unterbunden hat. Der berüchtigte Klebstoff ist in den Taschen geblieben. Die Letzte Generation hat es gar nicht so leicht, die Hauptstadt wie angekündigt lahmzulegen. Während die Blockade der Frankfurter Allee ausfällt, meldet die Letzte Generation via Twitter, es seien "erneut Hunderte auf den Straßen Berlins". Das Berliner Verkehrsinformationszentrum berichtet von zehn Blockaden, darunter die in der Frankfurter Allee. Wie viele dieser Aktionen den Verkehr also tatsächlich unterbrochen haben, wird sich zeigen.

Neun Stunden sei sie am Vortag von der Polizei festgehalten worden, nachdem sie sich erfolgreich festgeklebt hatte, berichtet die 21-jährige Clara. Nur rund fünf Minuten hätte die Polizei gebraucht, um ihre Hände mit Lösungsmittel vom Asphalt zu befreien. Der Umgang der Polizisten sei "bei mir zumindest freundlich gewesen". Nun sitzt sie bei einstelligen Temperaturen barfüßig auf dem Boden, trägt wie die meisten ihrer Mitstreiter Wollsachen. Nach und nach durchsuchen die Beamten Taschen und Kleidung der Aktivistinnen - dabei machen sie auch an diesem Dienstag einen eher entspannten Eindruck.

Auch vor Clara stehen nun zwei Beamtinnen, mit Plastikhandschuhen tastet eine von ihnen nach dem Inhalt ihrer Brusttasche. Die Atmosphäre zwischen den Polizistinnen und der Aktivistin ist gelöst - Clara huscht ein Lächeln über die Lippen und nach nicht einmal zwei Minuten ist die obligatorische Durchsuchung beendet. Im Berliner Alltag gibt es stressigere Einsätze, als die betont friedlichen Klima-Aktivisten von der Straße zu holen.

Pressearbeit straff durchorganisiert

Fordernd ist die bald eine Woche andauernde Aktionswoche der Letzten Generation dennoch: Nach einem Bericht der "Welt" von Mitte April hat allein die Berliner Polizei seit Beginn der Proteste Anfang 2022 mehr als 300.000 Einsatzstunden auf die Klima-Aktivisten verwendet. Seit Beginn der Aktionswoche in Berlin am vergangenen Mittwoch dürften Tausende hinzugekommen sein. Allein am Montag waren 660 Beamte im Einsatz, um 30 Blockaden aufzulösen und 118 festgeklebte Aktivistinnen von der Straße zu bekommen. 260 eingeleitete Ermittlungsverfahren meldete die Polizei am Folgetag.

Die Letzte Generation mag nicht ganz Berlin lahmlegen - den Verwaltungsapparat von Polizei und Justiz bringt sie sehr wohl an Grenzen. Nach Angaben der Gruppe selbst hielt die Polizei am Montag Dutzende Aktivistinnen fest, ohne sie anschließend in Gewahrsam zu nehmen. Es seien schlicht zu viele Fälle gewesen, um sie zu bearbeiten. Nach Darstellung des Amtsgerichts Tiergarten wurde am Montag nur ein Beteiligter einem Haftrichter vorgeführt, dieser aber hatte bestritten, an weiteren Protesten teilnehmen zu wollen. Der Richter habe daher einen Antrag auf Ingewahrsamnahme abgelehnt. Andere Aktivistinnen hatten wohl ebenfalls ausgesagt, nicht an weiteren Blockaden teilnehmen zu wollen oder konnten wegen rechtlicher Vorgaben nicht länger festgehalten werden.

Im zweiten Jahr ihres Bestehens hat sich die Letzte Generation erkennbar professionalisiert: Die Aktivistinnen wissen, wie sie auf Fragen von Polizei und Presse antworten sollen. Alle Teilnehmer haben Lehrgänge besucht. Auch die Medienarbeit ist straff durchorgansiert: Journalistinnen, die von Blockaden berichten wollen, erhalten konspirative SMS mit Ort- und Zeitangaben. "Bitte kommen Sie pünktlich zum Treffpunkt und warten Sie dort unauffällig. (...) Sollten Sie vor Ort angesprochen werden, warum Sie dort sind, wissen Sie nichts von unseren Protesten", heißt es dort. Die Polizei sei über Aktionen im Bilde und werde diese zu verhindern versuchen. So geschehen am Dienstag in der Frankfurter Allee, als Zivilpolizisten die Blockade verhinderten. Es ist davon auszugehen, dass die Behörden die Letzte Generation infiltriert haben. Der politische Druck, die Proteste zu verhindern oder zumindest einzugrenzen, ist groß.

Straßenblockaden seien "Feueralarm"

Rund 80 Prozent aller Befragten lehnen laut einer Forsa-Umfrage von RTL und ntv die Klima-Blockaden ab. Selbst in der Grünen-Hochburg innerhalb des Berliner S-Bahn-Rings hat beim Volksentscheid für ein klimaneutrales Berlin bis 2030 nur eine knappe Mehrheit dafür gestimmt. Insgesamt gingen in der Hauptstadt fast genauso viele Menschen ins Wahlbüro, um gegen den Gesetzentwurf zu stimmen, wie es Befürworter gab. Die Grünen sind bundesweit auf 16 Prozent abgesackt. Die allgemeine politische Stimmung spielt der Letzten Generation nicht die Hände. Zugleich ist die Gruppierung präsenter denn je - und präsentiert sich unvermindert entschlossen.

Die Bildung eines Klimarats aus der Bevölkerung, der eine Weg zu Dekarbonisierung Deutschlands binnen sieben Jahren erarbeitet, ist eine Kernforderung. Carla Hinrichs, Sprecherin der Gruppierung, verglich die Störaktionen im Deutschlandfunk mit einem "Feueralarm": Schon in den nächsten Jahren würden Kipppunkte erreicht, ab denen eine weitere Erhitzung des Planeten nicht mehr zu verhindern ist. "Dann wird sich hier die Frage stellen, haben wir in Deutschland genug Wasser für unsere Kinder, haben wir genug Lebensmittel, wenn Dürren unser Land fluten?", sagte Hinrichs. Die Aktivisten halten den Status quo - den ungebremste Klimawandel - für einen Verfassungsbruch und ihre Blockaden daher für legitim.

Härtere Strafen?

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Doch in weiten Teilen von Politik und Öffentlichkeit werden die Klima-Proteste wahlweise als Erpressung oder Nötigung empfunden. Hinzu kommt der Streit, ob Straßen-Blockaden Rettungseinsätze behinderten. Die Letzte Generation verweist auf Rettungsgassen bei ihren Protesten und fordert die im Stau stehenden Autofahrer auf, diese ebenfalls zu bilden. Längst ist eine Debatte über mögliche Verschärfungen des möglichen Strafmaßes in vollem Gang. Auf Antrag der CDU und CSU befasst sich am Donnerstag der Bundestag mit dieser Möglichkeit.

Die Studentin Clara blickt jetzt schon Geldstrafen entgegen und hofft, dass sie zumindest nicht in Haft muss. Sie bestreitet, Geld von der Letzten Generation zu bekommen oder zumindest finanzielle Hilfe. "Ich rechne damit, dass ich das selber zahlen muss." Das Strafmaß dürfte steigen mit jeder weiteren Blockade, bei der ihre Personalien aufgenommen werden. Ob sie am morgigen Mittwoch wieder blockieren wolle? Das darf sie nicht verraten, doch ihre Miene und die ihrer neben ihr kauernden Mitstreiter sprechen Bände.

Quelle: ntv.de

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