Satellitengestützte Datenanalyse Immer größere Teile des Gazastreifens liegen in Trümmern


Ein Satellitenbild von Maxar zeigt die Zerstörung in der Stadt Beit Hanun im Norden des Gazastreifens.
(Foto: Reuters/Maxar Technologies/ntv.de)
Schon vor dem jüngsten Gewaltausbruch war die Situation im Gazastreifen angespannt. Jetzt droht die Bevölkerung ihre gesamte Lebensgrundlage zu verlieren. Analysen auf der Basis von Satellitendaten zeigen das ganze Ausmaß der Zerstörung in der Region.
Im Krieg zwischen Israel und der Hamas wurden Teile des Gazastreifens in den vergangenen Wochen sprichwörtlich in Schutt und Asche gelegt. Das zeigen nicht nur Bilder und Videoaufnahmen aus der Region. Auch Auswertungen von Satellitenaufnahmen deuten auf massive Schäden an Gebäuden und Infrastruktur hin.
Doch wie weitreichend ist die Zerstörung in der Fläche? Um bei humanitären Katastrophen nicht nur auf punktuelle Beobachtungen angewiesen zu sein, nutzen Forschungseinrichtungen wie Unosat die Radarsignale von Satelliten. Denn anhand von messbaren Veränderungen im Daten-"Fußabdruck" von Gebäuden und Vegetation lassen sich schwere Schäden an den Lebensgrundlagen einer Region gut aus dem All erkennen. Eine von der Schutz-Koordinationsstelle des UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR veröffentlichte Unosat-Karte etwa weist die Schwerpunkte der Zerstörung im Gazastreifen als Heatmap aus.
Das ganze Ausmaß der Zerstörung auf einer Karte
Einen ganz ähnlichen Ansatz verfolgt ein Forschungsprojekt aus den USA, das die Kriegsfolgen im Gazastreifen möglichst systematisch und unabhängig erfassen und dokumentieren will: Cory Scher von der City University in New York und Jamon Van Den Hoek von der Oregon State University werten dazu öffentlich verfügbare Daten von Sentinel-1-Satelliten des europäischen Raumfahrtprogramms Copernicus aus. Mithilfe ihrer Analysen kann ntv.de erstmals das Ausmaß der Zerstörung auf einer Karte zeigen.

Schadensanalyse im Gazastreifen anhand von Copernicus Sentinel-1-Satellitendaten von Corey Scher (CUNY Graduate Center) und Jamon Van Den Hoek (Oregon State University) mit Daten vom 7. Oktober bis 5. November 2023.
(Foto: Scher/Van Den Hoek, ESA/Sentinel Hub, OCHA, ntv.de/lst)
Demnach hat bisher vor allem der Norden des Hamas-kontrollierten Palästinensergebiets unter dem Beschuss gelitten. Allein im Regierungsbezirk Nord-Gaza wurden zwischen dem 7. Oktober und dem 5. November fast ein Drittel aller Gebäude im Zuge der Kampfhandlungen beschädigt oder zerstört. In der angrenzenden Region Gaza sind es rund ein Viertel. So zumindest lautet die eher konservative Schätzung der beiden US-Forscher auf Basis der Satellitendaten. Deutlich geringer fällt die vorläufige Schadensbilanz in den südlichen Regionen Deir al-Balah, Khan Yunes und Rafah aus, wo den Schätzungen zufolge mindestens drei bis sechs Prozent der Häuser erkennbar schwer getroffen wurden.
Die Satellitenmethode ist nicht perfekt
Die indirekte Zählung anhand von Satellitendaten hat jedoch ihre Schwächen. Um brauchbare Ergebnisse abliefern zu können, sind die Analysten beispielsweise auf gutes Wetter angewiesen: Die Copernicus-Satelliten müssen eine klare Sicht auf den Gazastreifen erhaschen. Im besten Fall kann die Schadensanalyse alle fünf bis sieben Tage aktualisiert werden. Dadurch lassen sich die Folgen des Häuserkampfes immerhin von Woche zu Woche sichtbar machen.
Die Betrachtung aus dem All lässt dabei allerdings offen, wie stark der Zerstörungsgrad im Einzelnen ausfällt. Nicht jeder rot markierte Punkt auf der ntv.de-Karte repräsentiert ein Viertel, das gänzlich dem Erdboden gleichgemacht wurde. Umgekehrt kann es durchaus sein, dass der Schadensdetektor das ein oder andere kollabierte Gebäude "übersieht".
Im Großen und Ganzen decken sich die Ergebnisse der satellitengestützten Datenanalyse jedoch mit Berichten und Beobachtungen von verschiedenen Stellen, wonach sich die Bodenoffensive der Israelis derzeit noch auf den Norden konzentriert. Auch im Süden werden immer wieder Ziele aus der Luft beschossen und Häuser beschädigt. Davon betroffen sind mitunter Wohnviertel, die den offiziellen Status eines UN-Flüchtlingscamps haben.
Israel: Hamas versteckt sich unter Zivilisten
Laut Angaben der Vereinten Nationen - die sich wiederum auf Daten der Hamas-geführten Ministerien im Gazastreifen stützen - wurden seit Beginn der Kampfhandlungen mindestens 45 Prozent der Wohneinheiten in Gaza zerstört oder beschädigt. Die Zahl der zerstörten Gebäude wird auf etwa 10.000 beziffert, die Zahl der dadurch unbewohnbaren Unterkünfte auf das Vierfache.
Israels Armee rechtfertigt die Angriffe oft als direkte Antwort auf Hamas-Operationen. Die Terrororganisation missbrauche die Nähe zu zivilen Einrichtungen als Schutzschild.
Um Todesopfer unter der unbeteiligten Bevölkerung zu verhindern, wurden Zivilisten wiederholt aufgefordert, die Kampfzone im Norden zu verlassen und sich südlich des Naturschutzgebiets Wadi Gaza in Sicherheit zu bringen. Laut einer von den USA ausgehandelten Vereinbarung hat sich Israel zu regelmäßigen Feuerpausen bereit erklärt, damit die verbliebene Bevölkerung über sichere Fluchtkorridore entkommen kann. Allein am Mittwoch hätten etwa 50.000 Menschen diese Möglichkeit genutzt, hieß es aus dem Büro des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu.
Der Gazastreifen bleibt aber weiterhin abgeriegelt. Der Grenzübergang in Rafah wurde bisher lediglich geöffnet, um dringend benötigte Hilfslieferungen aus Ägypten durchzulassen oder die Ausreise von ausländischen Staatsbürgern und verletzten Zivilisten zu ermöglichen.
Quelle: ntv.de