Sorge vor Krieg in Nahost Iran feiert "Schlag ins Gesicht" der USA
08.01.2020, 12:20 UhrDer Raketenangriff des Iran soll vor allem auch ein Zeichen für die eigene Bevölkerung sein. Entsprechend martialisch würdigt Teheran den Angriff. Für die angeblich getöteten 80 US-Soldaten gibt es aber keine Bestätigung. Ein Grünen-Politiker hofft bei ntv, dass es jetzt nicht zu einer US-Überreaktion kommt.
Irans oberster Führer Ajatollah Ali Chamenei hat den Angriff gegen US-Militärstützpunkte im Irak als "Schlag ins Gesicht" der USA bezeichnet. Chamenei würdigte vor Anhängern in Teheran den durch die USA getöteten General Ghassem Soleimani, bevor er sich zu den Luftangriffen vom Vorabend äußerte.
"Die Amerikaner haben in dieser Region nur Krieg und Zerstörung angerichtet", sagte der Ajatollah, der auch oberster Befehlshaber der iranischen Streitkräfte ist. Die US-Truppen müssten die Region verlassen. "Die USA sind der Feind des Iran." Die breite Anteilnahme im Iran und die Reaktion auf den Tod des Generals zeigten, dass die Revolution immer noch am Leben sei. Iran verfolge keine Kriegsabsichten, habe aber auf die Tötung Soleimanis reagieren müssen, so Chamenei.
"Ich bedanke mich bei den Revolutionsgarden für die konsequente Antwort auf die Tötung von General Ghassem Soleimani", erklärte der iranische Präsident Hassan Ruhani. "Falls die Amerikaner weitere Angriffe und Verbrechen gegen den Iran planen sollten, werden wir eine Antwort geben, die noch härter ist als der heutige Angriff."
Am späten Dienstagabend hatte der Iran den Luftwaffenstützpunkt Ain al-Assad im Zentrum des Iraks und eine Basis in der nördlichen Stadt Erbil mit Dutzenden Boden-Boden-Raketen aus Vergeltung für die Tötung des Generals Soleimani angegriffen. Dieser war am Freitag bei einem US-Drohnenangriff in Bagdad getötet worden.
"Kriegstrompeten weglegen"
Das US-Militär teilte mit, mindestens zwei irakische Militärstützpunkte seien getroffen worden, auf denen US-Truppen und Soldaten der internationalen Militärkoalition stationiert seien. Während das iranische Staatsfernsehen von 80 getöteten "amerikanischen Terroristen" sprach, war aus US-Kreisen zu vernehmen, dass es nach ersten Erkenntnissen wohl keine US-Opfer gegeben habe. Nach Angaben der irakischen Armee wurden auch keine ihrer Soldaten getötet. Deutschland, Dänemark, Norwegen und Polen teilten mit, keine ihrer Soldaten seien zu Schaden gekommen. Die Bundeswehr prüft allerdings noch, ob Schäden in dem Camp entstanden sind. Die deutschen Soldaten seien vor dem Raketenbeschuss gewarnt worden und hätten daraufhin Schutzräume aufgesucht, hieß es in einer Unterrichtung der Obleute des Verteidigungs- und des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag durch das Einsatzführungskommando, die Reuters vorlag. Auf Nachfrage von ntv.de wollte ein Bundeswehrsprecher nicht den Ursprung der Warnung preisgeben - zur Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten vor Ort, wie es hieß.
US-Präsident Donald Trump, der den Iran vor Vergeltungsangriffen gewarnt und mit "harten und schnellen" Gegenangriffen gedroht hatte, twitterte, er werde im Verlauf des Tages eine Erklärung abgeben, und fügte hinzu: "Alles ist gut."
Der Außenpolitik-Experte Omid Nouripour von den Grünen zeigte sich nicht überrascht von dem schnellen Racheakt durch den Iran. "Es war absehbar, dass, gerade nachdem Soleimani ja überraschend spät begraben wurde, man diese Zeit auch genutzt hat, um zu planen und zu überlegen", sagte er ntv. "Mich hat ehrlich gesagt der Ort überrascht und auch, dass, Gott sei Dank, niemand zu Schaden gekommen ist." Das sei eine gute Nachricht.
"Krieg ist ja kein Naturgesetz", sagte Nouripour zu möglichen Folgen des Raketenangriffs. "Es ist eine Frage des Willens. Gerade der erste Tweet des US-Präsidenten lässt ja auch hoffen, dass es jetzt nicht sofort eine Überreaktion gibt auf eine Überreaktion." Die Tatsache, dass "die Iraner sehr laut getönt haben, wie viel Raketen sie abgeschossen haben", sei erstmal gut und erfreulich. Das lasse Raum, "dass man jetzt die Kriegstrompeten ein Stückchen weglegt und nicht in eine Kaskade von Gewalt gerät."
Nach dem Raketenangriff verschärfte das Auswärtige Amt seine Reisewarnung. In den aktuellen Reise- und Sicherheitshinweisen für den Irak heißt es jetzt: "Meiden Sie derzeit zentrale Infrastruktur. US-Einrichtungen sind besonders gefährdet." Auch die Sicherheitslage für den bislang als relativ sicher geltenden kurdischen Norden wird jetzt anders eingeschätzt. Während am Montagabend lediglich "von nicht erforderlichen Reisen in die Region Kurdistan-Irak" abgeraten worden war, heißt es nun: "Von Reisen in die Region Kurdistan-Irak wird aufgrund der unklaren Sicherheitslage vorläufig dringend abgeraten."
Debatte um deutschen Irak-Einsatz
Zudem prüft die Bundesregierung nun auch einen Teilrückzug der im nordirakischen Erbil stationierten Bundeswehrsoldaten. "Wir haben mit der internationalen Koalition sowieso vereinbart, dass alle Kräfte, die nicht benötigt werden, keinem unnötigen Risiko ausgesetzt werden", sagte Kramp-Karrenbauer. Deshalb seien bereits die deutschen Soldaten aus dem Militärkomplex Tadschi bei Bagdad abgezogen worden. Nun sei man in der Planung auch für "mögliche Teilrückverlegungen" von Soldaten in Erbil.
"Ich finde es wichtig, dass wir am Ziel festhalten, die irakische Regierung in die Lage zu versetzen, ihre eigenen Sicherheitskräfte auszubilden und eigene Sicherheit im Land herzustellen", sagte dazu der CDU-Politiker Jürgen Hardt bei ntv. "Dazu brauchen wir diesen Ausbildungseinsatz und deshalb würde ich ungern den Ausbildungseinsatz insgesamt in Frage stellen wollen." Zu möglichen tagesaktuellen Reaktionen sagte Hardt, dass er "hohes Vertrauen in unseren Generalinspekteur und die anderen Experten" habe, "dass das richtig eingeschätzt wird". Auch der FDP-Verteidigungspolitiker Alexander Müller sprach sich gegen einen vollständigen Abzug der Bundeswehr aus dem Nordirak aus.
"Ich fürchte, dass das Urteil des Parlaments des Iraks sehr deutlich ist", sagte Grünen-Politiker Nouripour. "Die Botschaft ist: Wir wollen die ausländischen Truppen hier nicht haben." Wenn die deutschen Soldaten nicht mehr willkommen seien, "können wir nicht bleiben". Das Parlament hatte nach dem tödlichen US-Angriff auf Soleimani gefordert, dass alle ausländischen Truppen das Land verlassen.
Netanjahu droht mit "vernichtendstem Schlag"
Nach dem Vergeltungsangriff wuchs die Sorge vor einem Krieg im Nahen Osten. Außenminister Heiko Maas forderte den Iran auf, alle Schritte zu unterlassen, die zu einer weiteren Eskalation führen könnten. Ähnlich äußerten sich auch andere Regierungen. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu kündigte eine Reise in den Irak an. Die Reise stehe im Zusammenhang mit den "verstärkten diplomatischen Bemühungen", die Spannungen in der Region zu mindern, hieß es in einer Stellungnahme des Außenministeriums. Zudem telefonierte Cavusoglu mit seinem iranischen Amtskollegen Mohammed Dschawad Sarif.
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wiederum warnte vor einer Attacke auf sein Land. "Wer versucht, uns anzugreifen, wird den vernichtendsten Schlag verkraften (müssen)", sagte Netanjahu bei einer Rede in Jerusalem. Der Regierungschef lobte erneut das Vorgehen der USA und erklärte, Israel stehe an der Seite der Vereinigten Staaten. Das iranische Militär hatte in der Nacht mit Attacken auf Israel gedroht, wenn es seitens der USA zu Vergeltungsaktionen nach den iranischen Raketenangriffen auf US-Ziele im Irak kommen sollte.
Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn wertete den Raketenbeschuss allerdings als eher deeskalierendes Zeichen. "Es scheint ja, wie wenn es eine dosierte Antwort des Irans gewesen wäre. Die Amerikaner haben auch nicht direkt zurückgeschlagen", sagte Asselborn dem Deutschlandfunk auf die Frage, ob ein direkter militärischer Schlagabtausch zwischen den USA und dem Iran bevorstehe. Vielleicht habe der Iran tatsächlich nicht Soldaten treffen, sondern zeigen wollen, "dass sie natürlich imstande sind, amerikanische Basen anzugreifen", so Asselborn. "Das könnte, wie ich sage, noch einmal ein Zeichen der Entspannung sein."
Quelle: ntv.de, mli/dpa/AFP/rts