Interview mit Innenexperte Lischka "Islamisten finden immer Schlupflöcher"
06.01.2017, 18:47 Uhr
Seit Mai 2016 werden von jedem Asylbewerber in Deutschland die Fingerabdrücke erfasst.
(Foto: dpa)
Nach dem Anschlag in Berlin will Entwicklungsminister Gerd Müller alle nach Deutschland eingereisten Flüchtlinge erneut kontrollieren. Der SPD-Politiker Burkhard Lischka erklärt im Interview, warum er das nicht für nötig hält.
n-tv.de: Bundesentwicklungsminister Gerd Müller fordert eine rückwirkende Neukontrolle aller seit 2015 eingereisten Flüchtlinge. Halten Sie das für eine gute Idee?

Burkhard Lischka ist innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag.
(Foto: picture alliance / dpa)
Burkhard Lischka: Müller spricht etwas an, das selbstverständlich ist. Jeder, der als Asylsuchender zu uns kommt, wird registriert und identifiziert. Seit Mai 2016 erfolgt die Erfassung mit insgesamt 1200 Erfassungsstationen lückenlos durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf). Dort werden Fingerabdrücke genommen und Dokumente auf Echtheit überprüft. Jeder Asylsuchende erhält eine Registrierungsnummer und einen Ankunftsnachweis. Diese Daten werden in eine Kerndatenbank aufgenommen, auf die alle am Asylverfahren beteiligten Behörden Zugriff haben. Außerdem wird ein Abgleich mit den Datenbanken der Polizei- und Sicherheitsbehörden durchgeführt.
Eine solche Überprüfung hat also längst vollständig stattgefunden?
Ja, davon gehe ich aus. Auch bei den Asylsuchenden, die insbesondere im Herbst 2015 vor der Registrierung auf Länder und Kommunen verteilt wurden, ist nach meinem Kenntnisstand eine vollständige Identifizierung und Registrierung vorgenommen worden – mit der Hilfe mobiler Registrierungsteams.
Macht es Sinn, wie Müller es fordert, nochmal alle eingereisten Flüchtlinge zu überprüfen?
Nein, das was Müller fordert, ist seit Monaten Praxis. Die Überprüfung ist abgeschlossen, dennoch bleibt sie eine Daueraufgabe.
Inwiefern?
Nach dem Asylgesetz gibt es eine Regelüberprüfung. Spätestens nach Ablauf von drei Jahren nach der Unanfechtbarkeit einer Asylentscheidung ist vom Bundesamt noch einmal zu prüfen, ob die Voraussetzungen für ein Asylgesuch nach wie vor vorliegen. Die Behörde geht auch eventuellen Auffälligkeiten noch einmal nach. Das Bamf greift außerdem kontinuierlich Fälle auf, bei denen es anhand neuer Informationen Hinweise gibt, dass die Anerkennung aufgrund falscher Angaben erfolgt ist oder die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung als nicht länger begründet angesehen werden kann.
Wie geht das Bamf vor, wenn es Zweifel an der Identität eines Asylsuchenden gibt?
Dann werden alle Dokumente, also Pässe, Geburtsurkunden, Führerschein und Zeugnisse, vom Bamf physikalisch-technisch untersucht. Wenn es einen Manipulationsverdacht gibt, werden die Unterlagen an die Zentrale in Nürnberg weitergeleitet und mit Urkundensachverständigen überprüft. Es erfolgen Anhörungen mit den Antragstellern, in denen nach Gegebenheiten, Sitten und Gebräuchen gefragt wird, um festzustellen, ob eine Person tatsächlich aus dem entsprechenden Land kommt, wie sie vorgibt. Das kann sich auch auf Sprach- und Textanalysen erstrecken, um zu erkennen, ob jemand den Dialekt des jeweiligen Landes hat.
Wo sind die größten Probleme bei der Registrierung der Asylbewerber?
Der Austausch mit den Datenbanken anderer europäischer Staaten ist nach wie vor schwierig. Wenn wie im Fall von Anis Amri in einer europäischen Datenbank nicht hinterlegt wird, dass jemand in einem anderen Land ein Asylgesuch gestellt hat und sogar eine Haftstrafe hatte, ist es für das Bamf und die Sicherheitsbehörden in Deutschland natürlich schwer, an solche Informationen zu kommen. Eine andere Schwierigkeit ist: Vor allem aus den Maghreb-Staaten kommen viele Menschen in unser Land, ohne sich bei einer Behörde zu melden und ein Asylverfahren zu durchlaufen. Das erfüllt den Straftatbestand der illegalen Migration und ist ein Fall für die Staatsanwaltschaft. Diese Menschen müssen unverzüglich ausgewiesen werden. Es ist aber schwierig, gegen sie vorzugehen. Das ist meist erst denn möglich, wenn sie, etwa bei Kontrollen gegen Schwarzarbeit, auffällig werden.
Ein Schlupfloch für Islamisten?
Ja, aber Islamisten finden immer Schlupflöcher. Wir erleben das ja auch in vielen Staaten, die weit weniger Flüchtlinge aufgenommen haben als wir 2015, und trotzdem von Anschlägen nicht verschont geblieben sind. Überall radikalisieren sich Menschen und finden Wege in ein Land, um dort Attentate begehen zu können.
Müssen die Kontrollen nach dem Anschlag in Berlin verschärft werden?
Nein. Mit den vergangenen beiden Bundeshaushalten haben wir für eine erhebliche Stellenaufstockung beim Bamf gesorgt, damit solche Prüfungen gewissenhaft durchgeführt werden können. Es gibt genügend rechtliche Mittel, um auch tiefgreifend gegen Identitätsverschleierungen vorzugehen.
Innenminister de Maizière will die Sicherheit der Bundesrepublik neu ordnen. Sie haben seine Vorschläge kritisiert. Gibt es auch etwas an seinem Papier, das Sie gut finden?
Es ist nicht per se falsch, dass de Maizière darüber nachdenkt, wie unsere Sicherheitsbehörden aufgestellt sein müssen. Zwei Dinge gebe ich jedoch zu bedenken: Wir erleben eine Zeit akuter Terrorgefahr. Ist das jetzt gerade der richtige Zeitpunkt, um unsere Sicherheitsbehörden so radikal umzubauen? Wenn wir einzelne Behörden wie etwa unsere Landesämter für Verfassungsschutz auflösen, gehen damit Kontakte und Wissen verloren und wir müssen an anderer Stelle neue Personen einarbeiten. Das provoziert für eine Übergangszeit Sicherheitslücken. Insofern halte ich das im Moment für falsch. Zweitens ist ein stärker zentralisierter Staat nicht zwangsläufig auch stärker. Frankreich oder die Türkei verfügen über zentrale Sicherheitsbehörden, trotzdem ist die Terrorgefahr in diesen Ländern nicht geringer.
Mit Burkhard Lischka sprach Christian Rothenberg
Quelle: ntv.de