Politik

Kritik an hoher Opferzahl Israel setzt Angriffe nach Geiselbefreiung fort

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Die Befreiungsoperation fand mitten am Tag statt, als laut palästinensischen Berichten viele Menschen auf dem Markt in Nuseirat unterwegs waren.

Die Befreiungsoperation fand mitten am Tag statt, als laut palästinensischen Berichten viele Menschen auf dem Markt in Nuseirat unterwegs waren.

(Foto: picture alliance/dpa)

Israel feiert die erfolgreiche Befreiung von vier Geiseln aus dem Gazastreifen. Die Palästinenser beklagen ein "Massaker" an der Zivilbevölkerung. Auch aus Israel selbst wird Kritik an Regierungschef Netanjahu laut.

Einen Tag nach der Befreiung vier israelischer Geiseln inmitten schwerer Kämpfe im Zentrum des Gazastreifen hat das israelische Militär seine Offensive in dem Gebiet fortgesetzt. Wie israelische und arabische Medien berichten, wurden unter anderem in Deir al-Balah und Bureidsch Ziele südlich und östlich des Ortes der Geiselbefreiung angegriffen. Laut palästinensischen Angaben stieg die Zahl der Opfer der von schweren Artillerie- und Luftangriffen begleiteten Befreiungsoperation auf 274 Tote und nahezu 700 Verletzte. Israels Militärsprecher hatte am Samstagabend von "weniger als 100" Toten gesprochen, wobei er nicht wisse, wie viele Terroristen darunter seien.

Insgesamt seien in den vergangenen 24 Stunden seien bei israelischen Angriffen im Gazastreifen 283 Menschen getötet und 814 verletzt worden, teilte das Gesundheitsministerium in Gaza mit. Laut der von der islamistischen Hamas kontrollierten Behörde stieg die Gesamtzahl der palästinensischen Todesopfer seit Kriegsbeginn damit auf mehr als 37.000.

Unabhängig überprüfen lassen sich die Opferzahlen nicht. Bilder und Berichte aus dem al-Aksa-Märtyrer-Krankenhaus in Deir al-Balah lassen auf eine sehr hohe Zahl von Verletzten schließen. Augenzeugen und Hilfsorganisationen berichten von chaotischen Zuständen in der völlig überfüllten Klinik. Eine Ärztin der Organisation Ärzte ohne Grenzen sprach davon, dass "überall Kinder in Pfützen aus Blut" lägen.

Während Israel die Militäroperation als Erfolg feierte, stieß die hohe Zahl ziviler Opfer international auf scharfe Kritik. So begrüßte EU-Chefdiplomat Josep Borrell die Befreiung der Geiseln, sprach aber gleichzeitig von einem "Massaker an Zivilisten". "Das Blutbad muss sofort beendet werden", forderte Borrell in einem Post auf X. "Die Berichte aus Gaza über ein weiteres Massaker an Zivilisten sind entsetzlich." Zur Befreiung der Entführten erklärte er: "Wir teilen die Erleichterung ihrer Familien und fordern die Freilassung aller verbleibenden Geiseln."

Demonstration für Deal mit Hamas

Die türkische Regierung verurteilte den Einsatz in Nuseirat "barbarischen Angriff" verurteilt und Israel Kriegsverbrechen vorgeworfen. "Mit diesem jüngsten barbarischen Angriff hat Israel der Liste der Kriegsverbrechen ein weiteres hinzugefügt", erklärte das Außenministerium in Ankara, ohne die befreiten Geiseln zu erwähnen.

Auch in Israel mischte sich unter die Freude über die Geiselbefreiung Kritik an Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und seine Regierung. Am Samstagabend demonstrierten wieder Tausende Israelis für den schnellen Abschluss eines Deals mit der Hamas, um die noch 120 in der Hand der Terroristen vermuteten Geiseln freizubekommen. Die Polizei ging teils gewaltsam gegen die Demonstranten vor. Es wird davon ausgegangenen, dass mehrere Dutzend dieser verbliebenen Gefangenen bereits tot sind. Insbesondere Netanjahus rechtsextreme Koalitionspartner sträuben sich, eine Vereinbarung mit der Hamas einzugehen, die eine Freilassung palästinensischer Gefangener in Israel und ein dauerhaftes Ende der Kämpfe in Gaza beinhaltet.

Netanjahu musste auch Kritik einstecken, weil er sich medienwirksam mit befreiten Geiseln, nicht aber mit Opferfamilien traf. "Wenn man Ministerpräsident ist, dann ist man Ministerpräsident der Erfolge und der Niederlagen", sagte Oppositionsführer Jair Lapid im israelischen Fernsehen. "Nur dann Regierungschef zu sein, wenn alles klappt, und zu verschwinden, wenn alles nicht so läuft, wie man will, das ist erbärmlich."

Netanjahu hatte sich am Samstag - noch während des jüdischen Ruhetags Sabbat - im Krankenhaus mit vier aus dem Gazastreifen befreiten Geiseln getroffen und fotografieren lassen. Familien von Israelis, die während des Hamas-Massakers am 7. Oktober getötet worden waren, sowie Angehörige von getöteten Geiseln kritisierten dagegen nach Medienberichten, weder Netanjahu noch andere Regierungsvertreter hätten mit ihnen Kontakt aufgenommen.

Quelle: ntv.de, mbo/dpa

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen