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Opposition fordert Neuwahlen Israelis wüten gegen "Verräter" Netanjahu

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Laut Umfragen vertrauen nur noch vier Prozent der Israelis Netanjahu.

Laut Umfragen vertrauen nur noch vier Prozent der Israelis Netanjahu.

(Foto: picture alliance/dpa/AP)

Regierungschef Netanjahu ist das Stehaufmännchen der israelischen Politik. Doch aktuell hängt seine Macht am seidenen Faden. Das Volk opponiert massiv gegen ihn und seine Politik. Und seine Parteimitglieder haben Angst.

"Es ist vorbei für Bibi", ist sich der Politologe Emmanuel Navon sicher. In seinen drei Jahrzehnten an der Macht wurde die politische Karriere des israelischen Regierungschefs Benjamin Netanjahu schon oft für beendet erklärt. Doch nun scheinen die Tage für "Bibi", wie er in Israel allgemein genannt wird, tatsächlich gezählt. Täglich demonstrieren Tausende Menschen in Israel gegen Netanjahus Kriegsführung im Gazastreifen. Der derzeit in Umfragen führende Oppositionspolitiker Benny Gantz fordert mittlerweile offen vorgezogene Neuwahlen.

"Wir werden bald die Wähler aufrufen", sagte Gantz am Mittwoch in einer Rede. Für die Parlamentswahl müsse "einvernehmlich" ein Datum im September festgelegt werden. Er habe Netanjahu, dessen nationaler Einheitsregierung der beliebte Oppositionspolitiker nach dem beispiellosen Hamas-Angriff vom 7. Oktober beigetreten war, über die Absichten seiner Partei informiert. Jüngsten Umfragen zufolge läge Gantz' zentristische Partei bei Neuwahlen deutlich vor Netanjahus Likud.

Auch die internationale Kritik an Netanjahus Kriegsführung wird immer lauter. Nach dem Tod von sieben Mitarbeitern einer humanitären Hilfsorganisation bei einem israelischen Luftangriff im Gazastreifen am Montag sprach UN-Generalsekretär António Guterres von einem "skrupellosen" Angriff und einer "unvermeidlichen Folge der Art und Weise, in der dieser Krieg geführt wird". Netanjahu hingegen ließ kein Mitgefühl erkennen: "So etwas passiert im Krieg", kommentierte er den Tod der Helfer.

Zehntausende Palästinenser sterben

Der Krieg zwischen Israel und der Hamas war durch deren brutalen Überfall auf Israel am 7. Oktober ausgelöst worden, bei dem nach israelischen Angaben etwa 1160 Menschen getötet sowie rund 250 weitere als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt wurden. Israel geht seither massiv militärisch im Gazastreifen vor. Dabei wurden nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, inzwischen rund 33.000 Menschen getötet.

"Netanjahu ist schon oft politisch zu Grabe getragen worden und hat sich wieder aufgerappelt", sagt der Politikwissenschaftler Navon, einst selbst Mitglied in Netanjahus Likud-Partei. "Aber dieses Mal ist es wegen des 7. Oktober anders. Es ist nicht mehr dasselbe Land."

Nur noch vier Prozent der Israelis vertrauen ihrem Regierungschef, wie eine Umfrage Ende vergangenen Jahres ergab. Der einst kraftstrotzende Netanjahu ist nicht nur politisch, sondern auch körperlich angeschlagen. "Er ist 74 Jahre alt, treibt keinen Sport, hat einen sehr schweren Job und hat sich vor sechs Monaten einen Herzschrittmacher einsetzen lassen", bilanziert Navon.

Netanjahu wie ein "verängstigter Tyrann"

Bei einer Fernsehansprache am Samstag wirkte Netanjahu gebrechlich, blass und zerstreut. Selbst seine ehemalige Ministerin und Parteifreundin Limor Livnat nannte den Auftritt "katastrophal". Der Regierungschef sehe aus "wie ein verängstigter Tyrann", schrieb die linke Tageszeitung Haaretz. Als er am Dienstag nach einer Leistenbruch-Operation das Krankenhaus in Jerusalem verließ, sah Netanjahu noch schlechter aus.

Zu den schärfsten Kritikern des Regierungschefs zählen die Familien der 134 Geiseln, die die radikale Palästinenserorganisation noch immer im Gazastreifen gefangen hält. Einav Zangauker, deren Sohn verschleppt wurde, verglich Netanjahu bei einer Kundgebung am Dienstagabend vor dem Parlament in Jerusalem mit einem "Pharao, einen Schlächter der Erstgeborenen".

Es war bereits die vierte Protestnacht in Folge. Dabei schlossen sich die Angehörigen der Geiseln mit regierungskritischen Demonstranten zusammen, die im vergangenen Jahr neun Monate lang auf die Straße gegangen waren, um die umstrittene Justizreform zu verhindern.

Likud-Mitglieder fürchten Netanjahu

Auch General Reuven Benkler demonstriert. Der 65-Jährige ist nach dem grausamen Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober aus dem Ruhestand zurückgekehrt, um im Norden Dienst zu leisten. "Die Geiseln werden nicht nach Hause kommen, solange Bibi an der Macht ist", sagt er und wirft Netanjahu vor, den Krieg im Gazastreifen in die Länge zu ziehen, um sich selbst an der Macht zu halten: "Er schert sich um niemanden außer um sich selbst."

Trotz der wachsenden Wut über den Regierungschef hält seine Partei bisher an Netanjahu fest. Navon vergleicht Netanjahus Einfluss auf den Likud mit dem von Ex-US-Präsident Donald Trump auf die Republikaner. "Die Likud-Abgeordneten haben panische Angst, bei den nächsten Vorwahlen von Bibi, seiner Frau und seinem Sohn, die alles entscheiden, bestraft zu werden", sagt der Professor der Universität Tel Aviv. "Das politische Leben der Leute hängt von ihm ab."

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Netanjahus rechte Koalition taumelt derweil von einer Krise in die nächste, zudem treiben Staatsanwälte das Korruptionsverfahren gegen Netanjahu trotz des Krieges voran. Mit seiner Politik des Teilens und Herrschens habe sich Netanjahu länger als jeder andere israelische Regierungschef im Amt halten können, analysiert der Politologe Navon.

Nur mit ihm sei das Land sicher, hatte er die Israelis glauben gemacht - ein Versprechen, das sich am 7. Oktober als hohl erwies. "Sie haben die Hamas genährt und großgemacht", wirft die Geisel-Angehörige Zangauker Netanjahu bei der Demonstration am Dienstagabend vor und erntet tosenden Applaus: "Es ist alles Ihre Schuld, Sie sind der Verräter."

Quelle: ntv.de, Fiachra Gibbons und Benoit Finck, AFP

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