FCAS-Projekt geht an den Start Der Jet, der aus der Zukunft kommt
23.03.2023, 09:35 Uhr (aktualisiert)In dieser Woche startet die Vertragslaufzeit für das Future Combat Air System (FCAS), den deutsch-französischen Kampfjet der "nächsten Generation", wie die Hersteller Dassault und Airbus versprechen. 2040 soll er fliegen, aber nicht allein, sondern in einer "Kampfwolke" - umgeben von Drohnen und direkt verbunden mit anderen Waffensystemen. Sicherheitsexpertin Ulrike Franke vom European Council on Foreign Relations erklärt ntv.de, was genau an dem System denn "nächste Generation" ist und welche hohen Hürden es gerade deshalb nehmen muss.
ntv.de: Spätestens seit Russlands Überfall auf die Ukraine weiß Europa, dass es bei der Verteidigung besser zusammenarbeiten muss. Da ist FCAS - das Future Combat Air System - in der Regie von Deutschland, Frankreich und Spanien doch etwas zum Vorzeigen sein, oder?
Ulrike Franke: Ja, aber. FCAS - und auch das unter dem Namen MGCS laufende parallele Panzerprojekt - sollte tatsächlich das strahlende Beispiel für europäische Rüstungszusammenarbeit sein. Inzwischen ist es aber in Berlin und Paris zum roten Tuch geworden. Einerseits wollen wir genau das in Europa: mehr Kooperation in der Entwicklung von Rüstungsgütern und auch beim Einkauf von Waffen. Die Partnerschaft von Deutschland und Frankreich soll dabei im Zentrum stehen.

Ulrike Franke ist Senior Policy Fellow beim European Council on Foreign Relations in London und Co-Moderatorin des Podcasts "Sicherheitshalber". Sie forscht insbesondere zum Einfluss neuer Technologien auf die Kriegsführung.
Da kann man doch bei FCAS einen Haken dran machen.
Wenn wir das Projekt grundsätzlich auf der politischen Ebene betrachten, ja, dann ist das sehr gut. Zugleich ist FCAS aber schon seit Beginn des Projekts geplagt von Problemen und Unstimmigkeiten, die den Prozess in die Länge ziehen. Und natürlich wird es dadurch auch teurer.
Wenn Sie Unstimmigkeiten erwähnen, fällt Airbus ins Auge, das für die deutsche Seite beteiligt ist. Das Flugzeug baut der Flugzeugbauer aber gar nicht. Das ist überraschend.
Überraschend nicht unbedingt - der Partner auf der französischen Seite ist die Firma Dassault, die den sehr erfolgreichen Rafale Jet baut. Dassault hat im FCAS-Projekt die führende Position, was das bemannte Flugzeug angeht, das zum System gehört, den "Next Generation Fighter". Airbus entwickelt das sogenannte "System of systems", in das der Flieger eingebettet ist. Unter anderem sind das die Drohnen, die ihn begleiten. So ist die Aufteilung.
Das "System der Systeme" - Sie haben das mal als "Kampfwolke" um den Fighter herum bezeichnet. Was schwebt da alles in dieser Wolke?
Ich nutze den Begriff, da man im Englischen von "combat cloud" spricht und das ist eben eine Kampfwolke. Er steht dafür, dass der Kampfjet ständig im Austausch steht mit allen möglichen anderen Systemen, an die er Daten sendet und von denen er Daten empfängt: dem Schwarm von Drohnen, die ihn flankieren, der Kommandozentrale am Boden, dem französischen Flugzeugträger, der deutschen Fregatte … So entsteht ein vernetztes, sehr detailliertes Lagebild.
Klingt faszinierend. Warum ist Airbus trotzdem nicht so glücklich damit, dass sie die Kampfwolke entwickeln und nicht das Flugzeug?
Ich weiß gar nicht, ob Airbus so klar sagen würde, dass sie lieber das Flugzeug bauen würden. Aber Airbus hat ein Vorzeigeproblem, weil diese Wolke weniger griffig ist als ein Kampfjet. Auch wenn FCAS ausdrücklich eben nicht nur der Flieger ist, sondern das ganze System. Hinzu kommt, dass Dassault den Ruf hat, ein schwieriger Partner zu sein. In vielen Verträgen soll die Firma quergeschossen haben. Ich würde nicht sagen, dass Airbus oder Deutschland sich da über den Tisch ziehen lassen. Aber einfach scheint die Zusammenarbeit oft nicht.
Nochmal zu der Wolke: Diese Vernetzung mit allen möglichen anderen Waffen und Systemen braucht der Jet zwingend, um überhaupt zu fliegen?
Ich hoffe nicht! Wir dürfen keine Systeme bauen, die sich selbst mit zu viel Technologieabhängigkeit schachmatt setzen können. Nein, soweit ich weiß, soll diese Vernetzung flexibel sein. Je nach Bedarf und Situation können sich in der Kampfwolke ganz verschiedene Systeme miteinander und mit dem Jet verbinden.
Das heißt, die deutsche Fregatte kann sich auch wieder ausklinken, wenn sie gerade nichts Spannendes beizutragen hat?
Diese Flexibilität ist ganz entscheidend. Die Kampfwolke bietet verschiedenen Systemen die Möglichkeit, sich technologisch miteinander zu verbinden und Daten auszutauschen. Das wird von Künstlicher Intelligenz gestützt, denn es müssen riesige Datenmengen gebündelt, weitergegeben und analysiert werden.
Könnten Sie ein Beispiel nennen, eine Situation, in der diese Verbindung zu anderen Systemen dem Flugzeug konkret nützt?
Denkbar wäre ein Konflikt mit einem Gegner, der technologisch ähnliche Fähigkeiten hat wie wir selbst. Wenn der zum Beispiel mit Cybertechnologie alle Satelliten lahmlegt, die ein Flieger zur Navigation braucht, dann könnte der Jet in der Kampfwolke trotzdem weiter fliegen. Er hätte um sich herum ein vernetztes System, er könnte sich die erforderlichen Infos von irgendwo anders holen.
Mittendrin in der Wolke, nämlich im Cockpit des Jets, soll ein Mensch sitzen. Wie behält der den Überblick, wertet aus und trifft Entscheidungen?
Der Kampfjet soll einen Piloten oder eine Pilotin haben, das ist die politische Vorgabe. Wie viel Einfluss und Übersicht diese Pilotin dann aber wirklich haben wird, ist die Frage und wird vom Kontext abhängen. Wenn wir uns eine sich schnell entwickelnde Angriffssituation vorstellen, in der der Pilot vom Drohnenschwarm unterstützt wird, zum Beispiel um gegnerische Angriffe abzuwehren: In dem Moment kann kaum davon ausgegangen werden, dass der Pilot die Drohnen tatsächlich kontrolliert und noch großen Einfluss auf das Geschehen ausübt. In anderen Kontexten mag es etwas anders sein.
Aber diese Frage: "Wie autonom soll und darf eine Waffe agieren?", die stellen sich viele Wissenschaftler, nicht nur im Zusammenhang mit FCAS. Auch Airbus stellt diese Frage, deshalb hat das Unternehmen gemeinsam mit dem Fraunhofer Institut die AG "Technikverantwortung" initiiert. Ich selbst gehöre dieser AG auch an und wir tauschen uns darüber aus, wie wir sicherstellen, dass der Mensch im Verhältnis zur Waffe genügend Einflussmöglichkeit behält. Wie das konkret bei FCAS aussehen wird, darauf gibt es noch keine Antwort.
Was FCAS können soll, klingt jetzt sehr fortschrittlich. Gleichzeitig erleben wir gerade, wie Künstliche Intelligenz innerhalb von Monaten immer neue Koordinaten für unser Leben setzt. Könnte der Next Generation Fighter schon veraltet sein, wenn im Jahr 2040 die ersten ausgeliefert werden?
Entwicklung von Waffen dauert in der Regel Jahrzehnte. Dieses Risiko ist den FCAS-Entwicklern sehr bewusst. Darum lassen die Ingenieure noch offen, wie genau die Kampfwolke aussehen und funktionieren soll. Diese Unklarheit lässt die Möglichkeit, die Systeme im Laufe der Zeit immer wieder an den technologischen Fortschritt anzupassen. Es soll Raum bleiben für Entwicklung. 2040 werden vermutlich Systeme integriert sein, die heute noch gar nicht existieren. Und natürlich werden solche Systeme so gebaut, dass neue Entwicklungen in sie integriert werden können. FCAS soll ja jahrzehntelang im Dienst bleiben. Genau wie der Leopard-Panzer immer wieder modernisiert wird, wird auch FCAS neue Software-Updates und neue Teile bekommen.
Das klingt nach einer anspruchsvollen Aufgabe für die Entwickler.
Absolut. Militärtechnologie zu entwickeln ist immer eine Schwierigkeit. Aber die Entwickler heute haben noch zwei zusätzliche Herausforderungen: Zum einen entwickelt sich die Technologie aktuell schneller als in den meisten früheren Perioden. Zum anderen: Relevante technische Entwicklungen wie das Internet oder GPS kamen früher aus staatlich finanzierten, oft militärischen Laboratorien. Die Entwicklung des Internet wurde aus dem Militäretat finanziert. Das hat sich geändert. Heute treibt die Privatwirtschaft diese Entwicklungen an, sie passieren bei Open AI, DeepMind, Ali Baba oder Space X. Für Militärtechnologen ist es darum viel schwieriger als früher, mit dem Fortschritt auf Augenhöhe zu bleiben. Das gilt nicht nur für diejenigen, die an FCAS arbeiten. Das gilt für Militärtechnologie insgesamt.
Zugleich spüren wir, wie die neuen Technologien uns auch verwundbarer machen, etwa durch Angriffe aus dem Cyberraum. Wie gut wird das neue System da gewappnet sein?
Das ist bei FCAS eine große Herausforderung, durch die vielen integrierten Systeme nicht offene Einfallstore für Angriffe zu bieten. Eine Konsequenz könnte sein, die Kampfwolke nicht zu groß zu kreieren. Entscheidend ist es, die eigenen Kanäle so gut zu sichern, dass sich ein Gegner nicht einwählen kann. Die Links zu anderen Systemen machen übrigens auch den Export von FCAS schwierig.
Inwiefern?
All diese Schnittstellen, an denen andere Waffensysteme, auch die von anderen NATO-Partnern etwa, andocken können, die sind für das Funktionieren der Kampfwolke relevant. Aber die will man natürlich nicht mit exportieren, man will ja nicht kommunizieren, wie das funktioniert.
Nach heutigem Stand scheint FCAS-Technologie der Zukunft zu sein. Beim Blick auf die Front im Donbass stellt man aber fest: Was dort gut funktioniert, das sind steinalte Jagdbomber aus Sowjetproduktion, die auf der abgelegensten Modderpiste starten und landen, also etwa MiG 29. Haben die Entwickler diese Erfahrungen aus einem aktuellen Krieg im Blick?
Die Erfahrungen, die das ukrainische Militär gerade macht, sind enorm wertvoll für die Entwicklung neuer Systeme. Für die Problematik, die Sie ansprechen, ist der US-Panzer Abrams ein ideales Beispiel: ein sehr modernes Gerät, aber für den Einsatz im Ukraine-Krieg eigentlich zu kompliziert. Das Gegenmodell ist die Kalaschnikow - nicht die tollste, aber die robusteste Waffe aller Zeiten, die auch nach 20 Jahren noch verlässlich ihren Dienst tut. In Bezug auf FCAS ist es tatsächlich noch zu früh, um zu beurteilen, ob die Entwickler eine Balance aus hochsensibler Technologie und Robustheit finden werden. Aber der Herausforderung sind sie sich bewusst.
Mit Ulrike Franke sprach Frauke Niemeyer
(Dieser Artikel wurde am Dienstag, 21. März 2023 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de