Politik

Jamaika, Ampel oder Nullnummer? Königsmacherin FDP ist zurück, mit Kopfschmerz

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Sein Erfolg stellt FDP-Chef Lindner vor neue Überlegungen.

(Foto: picture alliance/dpa)

Vier Parteien ringen um die Beteiligung an einer Dreierkoalition nach der Bundestagswahl. Große Hoffnungen kann sich die im Winter noch strauchelnde FDP machen. Ein immenser Erfolg für Parteichef Lindner, dem aber gerade deshalb schwierige Monate bevorstehen.

Ein Jahr lang hat Christian Lindner in den Abgrund geschaut, und mit ihm die ganze FDP. Vom Februar 2020 bis zum Februar des Bundestagswahljahres fanden sich die Liberalen in Umfragen immer wieder knapp oberhalb der 4,99-Prozent-Schwelle wieder, mit 5 Prozent gerade noch drinnen im Bundestag. Nach dem Kemmerich-Skandal in Thüringen und dem monatelangen Schlingerkurs beim Umgang mit der Corona-Pandemie galt Lindner als politisch angezählt, die Zukunft der FPD als ungewiss.

Je mehr Menschen aber im Winter das Vertrauen in die Corona-Politik der Bundesregierung verloren, je mehr die Union sich bei ihrer Kanzlerkandidatenkür zerlegte und der schließlich gewählte Armin Laschet Wähler offenbar verschreckte, desto steiler ging es für die Liberalen wieder nach oben: Seit April rangiert die FDP im RTL/ntv-Trendbarometer stabil zweistellig, meist sogar über den gefeierten 10,7 Prozent, mit denen die Lindner-Partei 2017 triumphal in den Bundestag zurückgekehrt war. Und nun? Will der im Mai mit 93,5 Prozent der Stimmen zum Parteichef wiedergewählte Linder seine Mission vollenden und die FDP in die Regierung führen.

Ohne FDP geht es eigentlich nicht

Auf den ersten Blick kann das nur gelingen: Bleibt es in etwa bei den jüngsten Werten des Umfrageinstituts Forsa, braucht es ein Bündnis aus drei Parteien für eine Regierungsbildung. Die Möglichkeit einer rot-rot-grünen Bundesregierung gilt aber wegen des Unwillens der drei Parteien hierzu als politisch kaum machbar. Eine Kenia-Koalition, in der SPD und Grüne sich als Regierungsstützen der Union hergeben, scheint ebenso unwahrscheinlich wie ein Deutschland-Bündnis: Dass die SPD nach acht Jahren GroKo-Frust sich als Mehrheitsbeschaffer für Schwarz-Gelb aufopfert, kann niemand erwarten - auch wenn Unionskandidat Laschet gerüchtehalber mit dieser Option liebäugelt.

Bleiben noch drei Möglichkeiten, die allesamt auf eine Regierungsbeteiligung der FDP hinauslaufen: Das vor vier Jahren knapp gescheiterte Jamaika-Bündnis mit Union und Grünen, oder aber die Ampel, wobei nicht ausgemacht ist, welche der anderen Parteien darin stärkste Kraft wird: die SPD mit ihrem Kanzlerkandidaten Olaf Scholz oder die Grünen mit Annalena Baerbock an der Spitze. Doch geht es nach den Liberalen, stellt sich die Frage nicht wirklich.

Das Jamaika-Bündnis ist das klare Ziel, wenn man sich bei der FDP umhört. "In der gemeinsamen Oppositionszeit gab es viel Austausch und parlamentarische Zusammenarbeit. Man denke nur an den Wirecard-Untersuchungsausschuss oder gemeinsame Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Trotz vieler inhaltlicher Unterschiede konnten da auch persönliche Vertrauensbeziehungen wachsen", sagt ein Abgeordneter. Es gilt: Kein prominentes Parteimitglied lässt sich mit Namen auf Koalitionsüberlegungen ein. Schließlich wollen die Liberalen auch nicht für Schwarz-Grün werben. Die Grünen sind für viele potenzielle FDP-Wähler weiter ein Feindbild. Die Union konkurriert wiederum mit der FDP um die gleichen Wählergruppen.

Plötzlich die Kleinsten

Eine schwarz-grüne Bundesregierung ohne FDP würde den Liberalen einen Stoß ins Mark versetzen: Als sich die Liberalen im Spätherbst 2017 für ein abruptes Ende der Jamaika-Verhandlungen entschieden hatten, konnten sie sich mit der Aussicht darauf trösten, beim nächsten Wahlgang von vier weiteren Jahren GroKo-Frust zu profitieren. Die großen Gewinner sind stattdessen aber die Grünen geworden, die 2017 noch als kleinste Bundestagspartei am Verhandlungstisch saßen. In diesem Herbst dagegen könnten sie sich mit einer womöglich doppelt so großen Bundestagsfraktion wie die FDP eher auf Augenhöhe mit der Union wähnen. Die FDP wird es im Kampf um Posten und eine liberale Prägung des Koalitionsvertrags nicht leicht haben, nicht leichter jedenfalls als vor vier Jahren, als Lindner die Flucht mit dem Slogan "Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren" begründete.

Andererseits ist aus der FDP auch einmütig zu hören, dass Jamaika mehr an Merkel und der CDU gescheitert sei als an den Grünen. Tatsächlich liegen Grüne und Liberale etwa bei Fragen der Innenpolitik gar nicht so weit auseinander und auch beim Klima sind zumindest die Ziele ähnlich. Kritischer wird es da bei Fragen des Haushalts, denn die Grünen wollen, dass der Staat nicht nur beim Klima mehr investiert. Schulden und eine stärkere Belastung hoher Einkommen sollen das finanzieren. Ein No-Go für die FDP, die für Jamaika auch nicht jede schwarz-grüne Kröte zu schlucken bereit ist.

Die Ampel aus Verantwortungsgefühl?

Vor diesem Hintergrund hat FDP-Generalsekretär Volker Wissing wiederholt Richtung Ampel geblinkt: Wenn im Herbst theoretisch jeder mit jedem kann, wäre es strategisch unklug, sich im Vorhinein Optionen zu verbauen. Inhaltlich wäre dem FDP-Wähler aber eine Ampel noch schwerer zu vermitteln als ein grün geprägtes Jamaika-Bündnis. Dafür genügt schon ein Blick auf das Wahlprogramm: Die FDP 2021 ist eine auf ihren Markenkern getrimmte Partei: weniger Steuern, weniger Vorschriften, weniger Staat. Sie ist der Gegenentwurf zu Rot-Grün, gerade wenn es um Haushalt und Belastungen für Wirtschaft und Spitzenverdiener geht.

Wenn sich aber partout kein Weg nach Jamaika findet? Niemand kann vorhersagen, wie die Union mit einem Wahlergebnis von 25 Prozent oder weniger umgehen würde. Christian Lindner hatte noch im vergangenen Jahr seinen Verbleib an der Parteispitze an eine erfolgreiche Regierungsbeteiligung geknüpft. Nun verspricht er: "Eine Linksverschiebung der deutschen Politik wird es mit der FDP nicht geben." Womöglich aber führt am Ende kein Weg an der Ampel vorbei, auch weil sich SPD und Grüne standhaft weigern könnten, die Union ins Kanzleramt zu hieven. Dann wäre die Rückkehr der historischen FDP-Rolle, Königsmacherin zu sein, eine denkbar große Bürde. Dass eine Ampel auch ein rechnerisch mögliches Linksbündnis verhindert, könnte die FDP mit staatspolitischer Verantwortung begründen.

Unklar ist, ob die Ampel mit Scholz oder Baerbock an der Spitze eher zu machen wäre. Da gibt es auch in der FDP unterschiedliche Einschätzungen. Schon der eigene Stolz hindert manch einen, Baerbock zur ersten Grünen-Kanzlerin zu küren. Sozialliberale Regierungen sind nichts Neues, das gab es schon mit Willy Brandt und Helmut Schmidt. Aber: "Die SPD hat eine unruhige Zeit vor sich. Eine Zeit inhaltlicher und personeller Diskussionen. Diese innere Unruhe würde sie in eine Regierung hineintragen, die ohnehin erstmal Krisenmanagement leisten muss", sagt ein FDP-Abgeordneter und denkt dabei insbesondere an das linke Vorstandsduo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans.

Andererseits ist ein Finanzminister Scholz, lange Zeit hanseatisch-konservativ und strammer Kämpfer für die schwarze Null, auch für Liberale kein Schreckgespenst als Kanzler. Es kommt wohl sehr darauf an, was die SPD und Grünen der FDP zu geben bereit wären. Um hierüber zu sprechen, muss aber erst mal die Jamaika-Sondierung platzen - vorausgesetzt, die Union bleibt zumindest stärkste Kraft.

Quelle: ntv.de

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