Politik

Letzte Rettung Kohlekraftwerke Einfach wieder hochfahren? Geht nicht

Blick ins Innere des Kraftwerks Jänschwalde: Zwei Blöcke sind in Sicherheitsbereitschaft.

Blick ins Innere des Kraftwerks Jänschwalde: Zwei Blöcke sind in Sicherheitsbereitschaft.

(Foto: picture alliance/dpa)

Mehr als 1,6 Milliarden Euro haben drei Energiekonzerne für die Bereithaltung von acht abgeschalteten Kraftwerksblöcken erhalten. Sie sollten im Ernstfall schnell einsatzbereit sein. Doch nun zeigt sich - so einfach ist das nicht. Es fehlt am Personal.

Eigentlich sollte im September endgültig Schluss sein. Nach mehr als drei Jahrzehnten sollte Block F im Kohlekraftwerk Jänschwalde im südlichen Brandenburg für immer stillgelegt werden. Vier Jahre lief die 500-Megawatt-Anlage in der sogenannten Sicherheitsbereitschaft. In dieser Zeit produzierte sie zwar keinen Strom mehr für den Markt, wurde aber in Betrieb gehalten - für den Notfall. Dass der Notfall jemals eintreten würde, glaubte lange niemand. Nun wird es womöglich doch so weit kommen. Block F könnte wieder ans Netz gehen - ebenso wie Block E, der noch älter ist.

Gesorgt hat dafür ausgerechnet der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Und weil der Kohleausstieg eines der Prestigeprojekte grüner Energiepolitik ist, zeigt er sich selbst nicht sonderlich glücklich über seine jüngste Initiative: dem "Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz". Es sieht vor, die Gasverstromung weiter herunterzufahren und stattdessen notfalls Kohlekraftwerke aus der Reserve zu holen. Das sei bitter, aber "in dieser Lage schier notwendig", um die Versorgungssicherheit in Deutschland zu gewährleisten. Nach dem Motto: Besser dreckiger Strom als gar keiner.

Bis zum 8. Juli soll sein Gesetz Bundestag und Bundesrat passiert haben und danach schnellstmöglich in Kraft treten. Habeck drückt aus gutem Grund aufs Tempo. Bis zum Winter müssen die Gasspeicher zu 90 Prozent gefüllt sein, aktuell sind es laut Bundesnetzagentur 57,6 Prozent. Die Lücke ist groß und die Zeit knapp. Der Minister macht den Kraftwerksbetreibern deshalb schon jetzt ordentlich Druck. Sie sollten sich "darauf einstellen, dass alles so bald wie möglich einsatzbereit ist". Doch ob die fünf verbliebenen Reservekraftwerke tatsächlich kurzfristig hochgefahren werden können, dahinter steht ein großes Fragezeichen.

Sicherheitsbereitschaft wird verlängert

Zumindest RWE sichert dies auf seiner Website für die beiden Anlagen im nordrhein-westfälischen Niederaußem zu. Ein Sprecher der Leag, die das Kraftwerk in Jänschwalde betreibt, will gegenüber ntv.de hingegen keine Stellung zu der Frage nehmen. Sicher ist lediglich, dass die Sicherheitsbereitschaft der Blöcke E und F verlängert werden soll - über die ursprünglich vorgesehenen vier Jahre hinaus. Die zusätzlich anfallenden Kosten für die Verlängerung seien Gegenstand "aktiver Verhandlungen" zwischen Leag und dem Bund, sagte Brandenburgs Energieminister Jörg Steinbach am Montag dem RBB. "Das Halten von zwei solchen Blöcken in der Sicherheitsbereitschaft gibt es nicht umsonst. Das kostet Geld."

Das Kraftwerk Buschhaus in Niedersachsen ist bereits stillgelegt. Dort steht nun eine Müllverbrennungsanlage.

Das Kraftwerk Buschhaus in Niedersachsen ist bereits stillgelegt. Dort steht nun eine Müllverbrennungsanlage.

(Foto: imago images/Jan Huebner)

Tatsächlich zahlen Stromkunden schon seit Jahren für die Reservekraftwerke. Mehr als 1,6 Milliarden Euro flossen seit 2016 für die Betriebsfähigkeit der ursprünglich acht Anlagen an die Energiekonzerne RWE, Mibrag und Leag - Vergütungen, die aus den Netzentgelten gezahlt wurden. Im Gegenzug verpflichteten sich die Betreiber dazu, dass die abgeschalteten Blöcke im Ernstfall innerhalb von zehn Tagen wieder hochgefahren werden können. Nach Ablauf einer Vier-Jahres-Frist sollten sie endgültig stillgelegt werden. So ist es mit den Kraftwerken in Buschhaus (Niedersachsen) und Frimmersdorf (Nordrhein-Westfalen) bereits geschehen.

Bund und Länder prüfen nicht nach

Zweifel daran, dass die Kraftwerke das nötige Personal, die Kohle und die Ersatzteile haben, um kurzfristig wieder einsatzbereit zu sein, gibt es seit Jahren. Denn überprüft wird das seltsamerweise nicht. Schon 2018 hatte der Bund der Steuerzahler das "blinde Vertrauen" der damaligen Bundesregierung gegenüber den Kraftwerksbetreibern kritisiert. Sollte das Hochfahren doch nicht so einfach klappen, trügen allein die Verbraucher das Risiko, hieß es damals. Das scheint sich nun zu bewahrheiten. Denn selbst wenn es technisch möglich ist, die abgeschalteten Blöcke wieder hochzufahren, fehlt es offenbar am dafür notwendigen Personal.

Laut RBB gibt es inzwischen ein regelrechtes "Gerangel" um Fachkräfte. Hintergrund sei, dass vielen Kraftwerkern, die einst in den Blöcken in Jänschwalde gearbeitet hätten, mit dem Übergang in die Sicherheitsbereitschaft gekündigt worden war. Nun werden sie wieder gebraucht. Auch RWE sucht händeringend nach Fachkräften für die Kraftwerksblöcke in Reserve. Und Beschäftigte, die im Zuge der geplanten Stilllegung in Vorruhestand geschickt werden sollten, bleiben nun doch länger. "RWE Power wird ihre Personalplanung in Kraftwerken und Tagebauen an die neue Einsatzbereitschaft anpassen. Das umfasst mehrere hundert Stellen", sagte eine RWE-Sprecherin der "Rheinischen Post".

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Neben fehlendem Personal gibt es aber noch ein weiteres Problem. Das Verstromen von Braunkohle gilt als besonders klimaschädlich. "Es ist unklar, ob die teils mehr als 30 Jahre alten Anlagen ohne Nachrüstung die geltenden EU-Grenzwerte für den Schadstoffausstoß einhalten können", sagt Energie- und Umweltexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) auf Nachfrage von ntv.de. Die Reserveblöcke wieder in Betrieb zu nehmen, würde reichlich Emissionen erzeugen, die später eingespart werden müssten.

Kemfert stellt deshalb den Sinn der verlängerten Sicherheitsbereitschaft generell infrage. "Wurden wirklich alle Alternativoptionen - auch Solarthermie oder Wärmepumpen - geprüft?", fragt sie. Da fehle es nicht nur an Transparenz, sondern auch an empirischer Evidenz.

Quelle: ntv.de

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