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Das "Kanonenfutter" von morgen Kriegs-Museen bereiten russische Schüler auf frühen Tod vor

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In Museen der "Spezialoperation" kommen russische Schüler schon früh in Kontakt mit Kriegswaffen.

In Museen der "Spezialoperation" kommen russische Schüler schon früh in Kontakt mit Kriegswaffen.

(Foto: https://vk.com/club213499505)

Museen der "militärischen Spezialoperation" an russischen Schulen schießen nach einer Verordnung Wladimir Putins wie Pilze aus dem Boden. Die Kinder sollen von klein auf lernen: Ukrainische "Neonazis" müssten vernichtet werden, ein Tod im Kampf gegen sie sei eine "Heldentat".

Wenige Kilometer über dem Polarkreis liegt die Stadt Labytnangi. Etwa 25.000 Menschen leben hier in der Abgeschiedenheit des russischen Nordens. International ist die Region vor allem wegen prominenter Häftlinge des russischen Regimes bekannt, die hier ihre Strafen verbüßten. In der Strafkolonie "Weißer Bär" am Stadtrand war jahrelang der ukrainische Regisseur Oleg Senzow inhaftiert, während im "Polarwolf" im 30 Kilometer entfernten Dorf Charp der Oppositionsführer Alexej Nawalny einsaß - bis zu seinem ungeklärten Tod Mitte Februar. Sonst ist hier wenig los, die Hauptstadt Moskau und andere bedeutende Städte sind Tausende Kilometer weit weg. Auch die vor mehr als zwei Jahren von Russland überfallene Ukraine liegt 3000 Kilometer von Labytnangi entfernt.

Obwohl die Entfernung zur Frontlinie in der Ukraine ungefähr der zwischen Lissabon und Stockholm entspricht, spielt der Krieg eine bedeutende Rolle im Alltag der hier lebenden Menschen. Wie viele Labytnangier in Wladimir Putins Armee kämpfen, ist nicht bekannt. Aber in Zukunft sollen es nach Wunsch der Behörden offenbar mehr werden. So seien an der Schule Nummer acht ganze 17 Kadetten-Klassen gegründet worden, wird stolz in einem Beitrag des Lokalfernsehens verkündet. Kinder erhalten von klein auf eine militärische Grundausbildung, lernen das richtige Marschieren und den Umgang mit Maschinengewehren. Vor Kurzem wurde bereits das zweite Kriegsmuseum in der Schule feierlich eröffnet - diesmal ein Museum für die "militärische Spezialoperation". Eine Dauerausstellung, die die "Helden" anderer russischer Kriege, wie dem Zweiten Weltkrieg, dem Afghanistankrieg und den beiden Tschetschenienkriegen, feiert, existiert bereits seit einiger Zeit.

"Der Neonazi ist tot, aber seine Uhr tickt weiter"

Bilder im Lokalfernsehen zeigen Kinder in Uniform, die bei der feierlichen Eröffnung ihre Fähigkeiten im Umgang mit Waffen demonstrieren und die Besucher durch die Ausstellung führen. Diese erzählt die Geschichten der Bewohner der Stadt, die "heldenhaft" gefallen sind. Ferner werden Uniformen russischer Soldaten, Patronenhülsen und angebliche Teile einer abgeschossenen HIMARS-Rakete ausgestellt. Eines der "Highlights" ist eine Armbanduhr eines getöteten ukrainischen Soldaten - im Beitrag des Lokalfernsehens wird dieses Exponat kommentiert mit: "Der Neonazi ist tot, aber seine Uhr tickt weiter".

Die Errichtung von Museen für die "Spezialoperation" an Schulen ist keine Ausnahme mehr. Seit Beginn dieses Schuljahrs schießen sie in ganz Russland wie Pilze aus dem Boden. Mittlerweile gibt es Hunderte solcher Ausstellungen in russischen Schulen. Radio Liberty konnte allein anhand von Medienberichten mehr als 200 "Museen der Spezialoperation" zählen. Die Gesamtzahl ist vermutlich noch höher. In nahezu jedem Bericht zur Eröffnung einer solchen Einrichtung ist die Rede vom "Wunsch einfacher Menschen", über "die Heldentaten der Schulkinder von gestern" zu sprechen. Dabei kommt die Initiative aber von ganz oben. Ende April 2023 verordnete Kremlchef Wladimir Putin die Einrichtung solcher Museen in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen.

Seit Beginn des Angriffskriegs sind Bilder, auf denen kleine Kinder mit Waffen posieren oder ein riesiges "Z"-Symbol formen, keine Seltenheit mehr. Eine wöchentliche Propaganda-Stunde namens "Gespräche über Wichtiges" gehören ebenso wie das tägliche gemeinsame Singen der Nationalhymne zum Schulplan. Soldaten, die in der Ukraine gekämpft haben, werden als Ehrengäste in den Unterricht eingeladen. Medienberichte über ehemalige Kriminelle, die nach ihrem Kriegseinsatz begnadigt wurden und nun als "Helden" an Schulen empfangen werden, sind ebenfalls häufig. Mit Putins Verordnung erhält die Propaganda-Arbeit für Kinder mehr Struktur und gehört offiziell zur Aufgabe des Kulturministeriums.

Künftiges "Kanonenfutter" soll freiwillig in den Krieg

Auffällig ist, dass die überwiegende Mehrheit der Berichte über die Eröffnung von "Museen der Spezialoperation" aus kleinen, abgelegenen Orten stammt. Radio Liberty konnte bei seiner Recherche lediglich zwei Berichte über solche Ausstellungen in Moskau finden. Der US-finanzierte Sender zitiert einen Lehrer, der diese Tatsache damit erklärt, dass die Propaganda-Museen hauptsächlich in den Orten eröffnet werden, aus denen besonders viele Soldaten an die Front geschickt werden und die die meisten Opfer zu beklagen haben. Dabei handelt es sich meist um ärmere Regionen, die fernab der großen Städte liegen.

Die ukrainische Menschenrechtlerin Wera Jastrebowa sieht den Grund für die massenhafte Schaffung solcher Museen in der Notwendigkeit, das künftige "Kanonenfutter" dazu zu motivieren, freiwillig in den Krieg zu ziehen. Solche Museen zielten darauf ab, den "Hass gegen die Ukraine, gegen die Menschenrechte und Werte der Demokratie" zu schüren, sagte die Juristin dem ukrainischen Fernsehsender Freedom. "Russland gehen bald die Ressourcen aus - heute können sie noch Menschen mit hohen Entschädigungen und weißen Ladas motivieren, Ukrainer zu töten. Aber bald wird es kein Geld mehr dafür geben", sagte Jastrebowa mit Blick auf Berichte über hohe Entschädigungen, die Familien in Russland erhalten, wenn ihre Angehörigen in der Ukraine verwundet oder getötet werden. Im Sommer 2022 sorgte ein Bericht über Eltern, die sich von dem "Sarggeld" für ihren Sohn ein neues Auto der russischen Marke Lada gekauft haben, für Kopfschütteln bei Kriegsgegnern.

"Schweißen die Bevölkerung um ein Feindbild zusammen"

Der Menschenrechtlerin zufolge geht es dem Kreml-Regime dabei nicht nur darum, den Kindern den Hass auf die Ukrainer zu vermitteln. Das gesamte Regime basiere auf einer Politik der Invasion, erklärte Jastrebowa. "Sie schweißen die Bevölkerung um ein Feindbild zusammen. Heute ist es die Ukraine. Aber sie werden kein Problem damit haben, die Exponate dieser sogenannten Museen so anzupassen, dass andere Länder wie die baltischen Staaten, Polen und andere zum Feindbild werden."

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Die Regierung bereite die Bevölkerung auf einen langen Krieg vor, ist sich auch ein Psychologe sicher, den Radio Liberty anonym zitiert. "Wir sehen, dass der Krieg als etwas Gutes und Richtiges dargestellt wird. In den Biografien der gefallenen Soldaten ist der Krieg kein einmaliges Ereignis, sondern buchstäblich eine Lebensweise und eine Karriere, die von anderen gebilligt und unterstützt wird, eine richtige Wahl." Gleichzeitig solle bei Kindern das Gefühl entstehen, in einem von Feinden umringten Land, in ständiger Bedrohung zu leben. So erscheine der Krieg gerechtfertigt, erklärte der Psychologe laut Radio Liberty. Das Ziel dieser Museen sei es, den Kindern den Gedanken einzureden: "Am Krieg teilzunehmen und dabei zu sterben, ist die richtige Lebensweise und ein guter Weg, anerkannt und bewundert zu werden".

Trotz starker Propaganda werden gewiss nicht alle russischen Schüler diesen Weg einschlagen. Für die Kadetten aus der Schule Nummer acht in Labytnangi ist es aber nach der absolvierten militärischen Grundausbildung nur noch ein kleiner Schritt vom Klassenzimmer hinaus aufs Schlachtfeld.

Quelle: ntv.de

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