"Populistisch und dumm" Linnemanns Freibad-Forderung stößt auf harte Kritik
17.07.2023, 09:48 Uhr Artikel anhören
Zeitweise musste das Berliner Columbiabad wegen vermehrter Gewaltvorfälle schließen.
(Foto: picture alliance / SULUPRESS.DE)
Um Gewalttaten in Freibädern vorzubeugen, setzt der designierte CDU-Generalsekretär Linnemann auf Abschreckung mittels schneller Gerichtsverfahren. Experten aus Politik und Justiz sehen das kritisch - und gehen mit dem Unionspolitiker hart ins Gericht.
Die Forderung des designierten CDU-Generalsekretärs Carsten Linnemann nach gerichtlichen Schnellverfahren stößt auf harsche Kritik. "Der Vorschlag des neuen CDU-Generalsekretärs ist Populismus pur, verkennt rechtsstaatliche Grundsätze und die Realität in der Justiz", sagte die rechtspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Sonja Eichwede, dem "Tagesspiegel". Ob beschleunigte Verfahren anwendbar seien, könne nicht nach politischem Willen eines CDU-Generalsekretärs beurteilt, sondern müsse im Einzelfall durch ein Gericht entschieden werden. Linnemann hatte nach wiederholter Gewalt in Berliner Freibädern bei der "Bild am Sonntag" die konsequente Bestrafung von Gewalttätern noch am Tattag gefordert. Er betonte, dass ein starker Rechtsstaat nur mit Abschreckung funktioniere.
SPD-Politikerin Eichwede sieht das anders. Sie sagte dem "Tagesspiegel", dass es bereits seit Langem belegt sei, dass Strafe allein nicht abschrecke. Das sei Wissen, das bereits im ersten Semester Kriminologie gelehrt werde. Zudem hält sie die Umsetzung von Schnellverfahren im Falle der Freibad-Gewalttäter nicht für möglich. Laut Strafprozessordnung kann die Staatsanwaltschaft einen Antrag auf eine Entscheidung im beschleunigten Verfahren stellen, wenn die Sache aufgrund des einfachen Sachverhalts oder der klaren Beweislage zur sofortigen Verhandlung geeignet ist. Doch "das wird kaum bei jeder Straftat im Freibad der Fall sein", so Eichwede.
Harte Worte vonseiten der Justiz
Auch vonseiten anderer Parteien gibt es Kritik. Helge Limburg, rechtspolitischer Sprecher der Grünen, sagte gegenüber dem "Tagesspiegel": "Warum gerade Gewalttaten im Freibad anders sanktioniert werden sollten als etwa häusliche Gewalt, erschließt sich nicht. Was wir brauchen, ist vor allem mehr Prävention und Sozialarbeit." Der Vorsitzende der Grünen, Omid Nouripour, ist etwas wohlwollender. Er hält Linnemanns Vorschlag theoretisch für "super", jedoch realistisch nicht umsetzbar. Dafür fehle es der Justiz an Personal, sagte er im ZDF-Sommerinterview. Gleiches gelte für die Polizei. In den letzten Jahren hätten "die schwarzen Sheriffs in diesem Land so viele Polizeistellen abgebaut, dass die Polizei über 20 Millionen Überstunden angehäuft hat". Auch die Parteichefin der Linken, Janine Wissler, wurde in einem ZDF-Sommerinterview zu Linnemann befragt. Sie weist seinen Vorstoß als populistisch zurück. "Das ist ja mit rechtsstaatlichen Verfahren überhaupt nicht zu vereinbaren, diese Forderung. Und das ist doch blanker Populismus", sagte sie.
Vonseiten der Justiz gibt es keinerlei Zustimmung. "Es ist wenig überzeugend, wenn Politiker am Sonntag mit entschlossener Pose nach dem starken Rechtsstaat rufen, Montag bis Samstag aber zu wenig dafür tun", sagte Sven Rebehn, Sprecher des Deutschen Richterbundes, dem "Tagesspiegel". Es sei zwar richtig, dass eine Strafe der Tat möglichst auf dem Fuße folgen müsse, um für die Täter abschreckend zu wirken. "Allerdings muss die Politik, die öffentlichkeitswirksam nach einer zügigen Strafverfolgung ruft, die Justiz dann auch deutlich besser ausstatten."
Der Verein Berliner Strafverteidiger geht sogar einen Schritt weiter, nennt Linnemanns Forderung "populistisch und dumm". Eine Art Strafgericht für besondere Täter sei verfassungsrechtlich fragwürdig. Es gehe bei einem Strafverfahren um komplexe Fragen. Die können sich nicht an einem Nachmittag klären lassen. Das Bundesjustizministerium äußerte sich ebenfalls skeptisch. "Die Strafprozessordnung sieht in geeigneten Fällen die Möglichkeit von beschleunigten Verfahren vor. Das sind vor allem Fälle mit einfachem Sachverhalt und klarer Beweislage", sagte ein Sprecher dem "Tagesspiegel". "Bei unübersichtlichen Situationen mit vielen Beteiligten und sich widersprechenden Aussagen käme dieses Verfahren grundsätzlich nicht in Betracht."
Quelle: ntv.de, tkr