Der Kriegstag im Überblick London: Swatowe ist wunder Punkt der Kreml-Truppen - FSB sieht Bürgerkriegs-Gefahr in Russland
21.11.2022, 20:51 Uhr
Die russischen Streitkräfte haben die zivile Infrastruktur von Cherson angegriffen.
(Foto: AP)
Die kürzlich befreite Stadt Cherson ist noch immer russischem Beschuss ausgesetzt. Ukrainische Ermittler entdecken dort nach eigenen Angaben vier von den Besatzern eingerichtete Folterkeller. Indes tauchen interne E-Mails des russischen Geheimdienstes FSB auf, in denen Mitarbeiter vor einem Bürgerkrieg warnen. Der 270. Kriegstag im Überblick.
Schwere Kämpfe im Donbass
Im Industriegebiet Donbass im Osten der Ukraine liefern sich ukrainische und russische Truppen nach Kiewer Angaben weiter heftige Gefechte. Russland konzentriere seine Angriffe auf die Städte Awdijiwka und Bachmut im Gebiet Donezk, teilte der ukrainische Generalstab mit. An anderen Orten sprach der Generalstab von einer "aktiven Verteidigung" der russischen Truppen - dort greifen also offenbar die Ukrainer an. Genannt wurden die Orte Kupjansk und Lyman sowie Nowopawliwka und die Front im Gebiet Saporischschja. Die russischen Truppen wehrten sich mit Panzern, Mörsern, Rohr- und Raketenartillerie. Die Angaben des ukrainischen Militärs waren zunächst nicht unabhängig überprüfbar.
London: Russland priorisiert Verteidigung von Swatowe
Nach ihrem Rückzug über den Fluss Dnipro in der Südukraine konzentrieren sich die russischen Kräfte nach britischer Einschätzung auf die Verteidigung der Stadt Swatowe im Osten des Landes. Dort seien die russischen Truppen nun am verletzlichsten, teilte das Verteidigungsministerium in London unter Berufung auf Geheimdiensterkenntnisse mit. "Als bedeutendes Bevölkerungszentrum im Gebiet Luhansk wird die russische Führung höchstwahrscheinlich die Beibehaltung der Kontrolle über Swatowe als politische Priorität ansehen", heißt es.
Zudem zielt Russland weiterhin auf die zivile Infrastruktur des Landes. Nach Angaben der lokalen Behörden flog Russland einen Luftangriff auf die kürzlich befreite Stadt Cherson. Ein Mensch sei dabei ums Leben gekommen, drei weitere wurden verletzt, teilte der Vizechef des Präsidentenbüros, Kyrylo Tymoschenko, auf Telegram mit.
Ukraine: Folterkammern in Cherson entdeckt
Nach der Rückeroberung von Cherson haben ukrainische Ermittler nach eigenen Angaben vier von den russischen Besatzern genutzte Folterstätten entdeckt. Sie hätten insgesamt vier Gebäude ausgemacht, in denen die "russischen Besatzer Menschen illegal festgehalten und brutal gefoltert" hätten, teilte die Generalstaatsanwaltschaft in Kiew mit. Demnach richteten die russischen Streitkräfte während ihrer achtmonatigen Besatzung Chersons in vorherigen Haftzentren und Polizeiwachen "Pseudo-Strafverfolgungsbehörden" ein.
Kiew schließt Kampfpause im Winter aus
Das Verteidigungsministerium in Kiew widersprach unterdessen Spekulationen westlicher Medien und Militärvertreter, wonach im Winter an den Fronten eine Kampfpause eintreten könnte. "Wer über eine mögliche "Pause der Feindseligkeiten" wegen der Minustemperaturen im Winter spricht, hat vermutlich noch nie im Januar ein Sonnenbad an der Südküste der Krim genommen", erklärte die Behörde über Twitter.
Russischer Geheimdienst sieht Bürgerkriegs-Gefahr
Kreise innerhalb des russischen Geheimdienstes FSB befürchten offenbar einen Bürgerkrieg im Land. Das meldet das US-Magazin "Newsweek" unter Berufung auf interne E-Mails der Behörde. Demnach hat ein Whistleblower mit dem Decknamen "Wind of Change" die E-Mails, die er selbst verfasst hat, an den im Exil lebenden Menschenrechtsaktivisten Wladimir Osechkin geschickt, der die Seite Gulagu.net betreibt. Die E-Mails beschreiben Konflikte innerhalb des Kremls. Dabei werden auch die Namen des Gründers der Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, und Tschetschenen-Führer Ramsan Kadyrow genannt.
Laut den geleakten FSB-E-Mails gibt es in Russland "kein Modell für einen 'einfachen Machtwechsel'". Daher wird beschrieben, wie ein gewaltsamer Umsturz ablaufen könnte: "Am Anfang könnte es zu einem willkürlichen Aufstand kommen, bei dem es nur Plünderungen und ein chaotisches Scharmützel zwischen allen Beteiligten gibt. Der Kampf der Sicherheitsbehörden gegen die Strukturen von Prigoschin - ein echter Krieg gegeneinander - ist schlecht, aber im Allgemeinen unvermeidlich." Auch auf ein anderes Szenario wird eingegangen: "Oder es wird Kämpfe der Regionen um die Aufteilung der Ressourcen geben. Oder ein Gerangel verschiedener Kräfte um die Kontrolle über Regionen oder Teile des Landes (Russland)." Russland könnte im totalen Chaos zusammenbrechen, wird resümiert.
Putin-Leibwächter trainieren für den Fall eines Putsches
Personenschützer des russischen Präsidenten Wladimir Putin sollen im Zentrum von Moskau die Vereitelung eines Putsches trainiert haben. Das berichtet die russischsprachige Investigativplattform The Insider. Demnach ereignete sich das Training bereits am 26. Oktober in Moskau. Dabei soll es sich um "eine geplante taktische Übung" gehandelt haben, "um terroristische Bedrohungen zu neutralisieren und die Einrichtungen der höchsten Regierungsebene zu schützen".
Laut dem Insider war diese Übung nur ein kleiner Teil der besonderen Maßnahmen für den Fall, dass der FSO, der Schutzdienst zur Bewachung des russischen Präsidenten und der Regierung, in den Kriegszustand versetzt werde. Offenbar bereitet die Präsidentenwache ihre Mitarbeiter auf einen "massiven ideologischen Angriff" vor, schreibt das Magazin, dem nach eigenen Angaben der Entwurf eines geheimen "Plans zur moralisch-psychologischen Unterstützung beim Übergang der Einsatzleitung des FSO von Friedens- in Kriegszeiten" vorliegt.
Kreml beteuert Ende der Mobilisierungen
Der Kreml ist Befürchtungen in der russischen Bevölkerung entgegengetreten, wonach eine zweite Mobilisierungswelle von Reservisten für den Krieg gegen die Ukraine geplant sein könnte. Im Kreml gebe es darüber "keine Diskussionen", sagte Sprecher Dmitri Peskow laut russischen Nachrichtenagenturen. Russland hatte eigenen Angaben zufolge Ende Oktober die Mobilmachung von 300.000 Reservisten für den Krieg in der Ukraine abgeschlossen.
Selenskyj fordert NATO-Hilfe bei Schutz von AKW
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ruft die NATO dazu auf, das von Russland kontrollierte ukrainische Kernkraftwerk Saporischschja vor Sabotage zu schützen. Gefährliche Zwischenfälle in ukrainischen Atomanlagen zu verhindern, sei im Interesse aller Nationen, sagt Selenskyj in einer Videobotschaft an die parlamentarische Versammlung der NATO in Madrid. Am Samstagabend und am Sonntagmorgen war es rund um das Atomkraftwerk zu mehr als einem Dutzend Explosionen gekommen. Russland und die Ukraine beschuldigen sich gegenseitig, für die Angriffe verantwortlich zu sein.
UN will Erschießungs-Video untersuchen
Nach dem Auftauchen von Videos, die die Erschießung sich ergebender russischer Kämpfer durch ukrainische Soldaten zeigen sollen, sind internationale Untersuchungen angekündigt worden. Die Vorwürfe über die Hinrichtung von Menschen, die nicht mehr an Kampfhandlungen teilnahmen, sollten "umgehend, vollständig und wirksam untersucht und die Täter zur Rechenschaft gezogen werden", sagte eine Sprecherin des UN-Menschenrechtsbüros in Genf.
Die Videos waren in der vergangenen Woche in sozialen Netzwerken aufgetaucht. Sie zeigen, wie sich mehrere russische Soldaten - von Ukrainern bewacht - auf den Boden legen. Dann sind Schüsse zu hören. Eine weitere Aufnahme zeigt knapp ein Dutzend Leichen. Die Bilder sollen Mitte November aufgenommen worden sein, als die ukrainische Armee den Ort Makijiwka im Gebiet Luhansk im Osten des Landes zurückeroberte.
Kiew argumentiert, die Tötung der Russen sei ein Akt der Selbstverteidigung gewesen, da einer der feindlichen Soldaten - statt sich zu seinen Kameraden auf den Boden zu legen - plötzlich das Feuer eröffnet habe. Indem die russischen Kämpfer ihre Kapitulation nur vorgetäuscht hätten, hätten sie selbst ein Kriegsverbrechen begangen, sagte der ukrainische Menschenrechtsbeauftragte Dmytro Lubinez. Die Ukrainer hätten das Feuer lediglich erwidert - und somit korrekt gehandelt.
Ost-Ausschuss: Russland-Sanktionen wirken
Nach Ansicht des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft wirken die westlichen Sanktionen gegen Russland. Ein Wirtschaftsrückgang in diesem Jahr von vier Prozent klinge nicht nach allzu viel, sagte der Geschäftsführer des Ausschusses, Michael Harms, in der ARD. Aber auch im nächsten Jahr werde es einen Rückgang geben. "Russland ist schon deutlich getroffen", sagte Harms weiter.
Gerade die Technologieabhängigkeit des Landes sei das "schärfste Schwert", das man habe. Es beraube Moskau mittelfristig jeder Entwicklungsperspektive. Die Mehrheit der deutschen Wirtschaft unterstützt demzufolge die Sanktionen weiter. Auch wenn diese "auch große Auswirkungen" auf die deutsche Wirtschaft hätten, sagte Harms.
Deutschland will Polen Raketenabwehrsystem liefern
Nach dem Raketeneinschlag im Südosten Polens im Zusammenhang mit dem russischen Krieg in der Ukraine bietet die Bundesregierung dem Land nun auch das Patriot-Raketenabwehrsystem zur Sicherung des Luftraums an. "Wir haben Polen angeboten, bei der Absicherung des Luftraums zu unterstützen - mit unseren Eurofightern und mit Patriot-Luftverteidigungssystemen", sagte Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht der "Rheinischen Post" und dem "General-Anzeiger".
Polen begrüßte das Angebot von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht, dem NATO-Partner mit einem Patriot-Abwehrsystem zu helfen. Er habe dies mit "großer Zufriedenheit" zur Kenntnis genommen, sagt Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak. Er wolle vorschlagen, das Patriot-System in der Nähe von Polens Grenze zur Ukraine zu stationieren.
Baerbock sagt Moldau Millionen-Hilfe zu
Außenministerin Annalena Baerbock sagte bei der Moldau-Konferenz in Paris zusätzliche Hilfen der Bundesregierung in Höhe von gut 32 Millionen Euro zu. Diese Mittel sollen unter anderem für die Stärkung erneuerbarer Energien, den Ausbau kommunaler Infrastruktur und für den Umgang mit Flüchtlingen eingesetzt werden, hieß es in Delegationskreisen der Grünen-Ministerin.
"Die Bevölkerung in dem Land leidet", sagte die französische Außenministerin Catherine Colonna kurz vor Beginn der Konferenz. Sie verwies darauf, dass Moldau wegen der russischen Angriffe auf die Infrastruktur in der Ukraine keinen Strom mehr aus dem Nachbarland beziehen könne. Zudem habe Russland seine Gaslieferungen nach Moldau stark eingeschränkt.
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Quelle: ntv.de, mdi/dpa/AFP/rts