Belarus lässt Gefangene frei"Lukaschenko geht davon aus, dass der Krieg bald endet"

Im Rahmen eines Deals mit der US-Regierung lässt der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko seine bekanntesten politischen Gefangenen frei. Ein Teil der US-Sanktionen gegen sein Regime wird im Gegenzug aufgehoben, doch Lukaschenko hat nun weniger Karten für weitere Verhandlungen mit Washington. Damit spielt er ein riskantes Spiel, sagt Osteuropa-Experte Alexander Friedman im Interview mit ntv.de. Außerdem erklärt der Historiker von der Uni Düsseldorf, warum die meisten Freigelassenen ausgerechnet in die Ukraine geschickt wurden - und warum man darin eine Art persönliche Abrechnung mit Maria Kalesnikowa sehen kann.
ntv.de: Alexander Lukaschenko lässt überraschend die prominentesten politischen Gefangenen frei. Gleichzeitig bleiben Hunderte weniger bekannte Menschen in Haft. Warum tut er das gerade jetzt?
Alexander Friedman: Diese Freilassung kam tatsächlich überraschend. Es hatte sich bereits angedeutet, dass es zu einem Deal zwischen der Trump-Administration und dem Lukaschenko-Regime kommen könnte. Die Amerikaner waren offenbar bereit, ihm mit der Aufhebung von Sanktionen gegen die belarussische Kaliumindustrie entgegenzukommen. Das ist für Lukaschenko extrem wichtig, aber es ist längst nicht alles, was die USA hätten anbieten können. Und trotzdem geht Lukaschenko jetzt einen spektakulären Schritt. Er lässt nicht alle politischen Gefangenen frei, aber die bekanntesten. Man könnte zynisch sagen, seine "Premiumgefangenen". Menschen wie den Friedensnobelpreisträger Ales Bjaljazki oder Maria Kolesnikowa, den früheren Präsidentschaftskandidaten Wiktor Babariko und andere. Das sind aus seiner Sicht die wertvollsten Gefangenen, für die er den größten politischen Preis erzielen wollte.
Verliert Lukaschenko damit nicht wichtige Hebel für weitere Gespräche mit den USA?
Genau das macht diesen Schritt so bemerkenswert. Lukaschenko weiß sehr genau, dass er danach deutlich weniger Karten in der Hand hat. Deshalb stellt sich die Frage: Ist ihm allein das Kaliumgeschäft das wert? Der Zugang zum US-Markt ist für diese Industrie enorm wichtig, auch für die Amerikaner. Gleichzeitig ist völlig unklar, wie belarussisches Kalium überhaupt in die USA gelangen soll - wahrscheinlich nur über Russland. Ein Transit über Litauen, den Lukaschenko lange angestrebt hat, erscheint derzeit unrealistisch.
Also ist selbst der wirtschaftliche Nutzen dieses Deals unsicher?
Ob sich das wirtschaftlich für ihn wirklich lohnt, ist offen. Aber offensichtlich betrachtet er diese Freilassung als Investition in die Beziehungen zur aktuellen US-Administration. Er hofft, dass die Amerikaner die Zusammenarbeit mit ihm fortsetzen, ihn außenpolitisch aufwerten und ihn vielleicht sogar in Gespräche über einen möglichen Frieden in der Ukraine einbeziehen.
Welche Rolle spielt dabei der Krieg in der Ukraine?
Mein Eindruck ist: Lukaschenko geht davon aus, dass der Krieg bald endet. Dieser Deal ist eine Vorbereitung auf die Nachkriegszeit. Er möchte dann möglichst eng mit der US-Regierung zusammenarbeiten, hofft auf weitere Deals, auf Investitionen - und vielleicht sogar auf ein persönliches Treffen mit Donald Trump.
Mehr als 1000 politische Gefangene bleiben in Haft. Werden sich die USA überhaupt noch für deren Freilassung einsetzen, wenn die großen, symbolträchtigen Namen schon frei sind?
Das ist tatsächlich ein sehr riskantes Spiel von Lukaschenko. Auf der einen Seite bekommt er konkrete wirtschaftliche Zugeständnisse. Auf der anderen Seite besteht natürlich die Gefahr, dass das amerikanische Interesse danach nachlässt.
Warum ist es Lukaschenko so wichtig, die USA gerade jetzt bei der Stange zu halten?
Lukaschenko wollte in dieser Situation vor allem die Amerikaner an sich binden. Er spielt im Moment bei den Verhandlungen über die Ukraine kaum eine Rolle. Früher gab es offenbar Kontakte, bei denen er als eine Art zusätzlicher Informationskanal zwischen Moskau und Washington fungierte. Diese Rolle scheint er aktuell verloren zu haben. Ich habe den Eindruck, dass er mit allen Mitteln zurück ins Spiel will. Er signalisiert Trump: "Ich bin da, ich bin nützlich, vergiss mich nicht." Deshalb diese Freilassungen - genau in der Form, die Trump politisch verwerten kann.
Inwiefern kann Trump sie verwerten?
Trump braucht spektakuläre Erfolge. Jetzt kann er sagen: Ich habe die Freilassung eines Nobelpreisträgers erreicht. Ich habe Oppositionsführer aus dem Gefängnis geholt. Das lässt sich hervorragend verkaufen - auch mit Blick auf seine eigenen Nobelpreisambitionen.
Die meisten Freigelassenen wurden nicht in die EU-Länder, sondern in die Ukraine abgeschoben. Warum?
Das ist eine der spannendsten Fragen. Einige, wie Bjaljazki, wurden tatsächlich nach Litauen abgeschoben, das war also grundsätzlich möglich. Dass die meisten nicht nach Litauen kamen, hat wohl mit den extrem angespannten Beziehungen zwischen Minsk und Vilnius zu tun. Was die Ukraine betrifft: Es wurden auch fünf ukrainische Staatsbürger freigelassen. Vielleicht hat man schlicht pragmatisch gedacht: Wenn ohnehin Menschen in die Ukraine gebracht werden, nutzen wir diesen Weg. Möglich ist aber auch eine symbolische Dimension - dass Lukaschenko politische Gefangene wie Kriegsgefangene behandelt und sich auf diese Weise in die Ukraine-Verhandlungen hineindrängen will.
Bei Maria Kolesnikowa kommt noch eine persönliche Geschichte hinzu. 2020 sollte sie bereits in die Ukraine abgeschoben werden, damals zerriss sie ihren Pass. Vielleicht ist diese Abschiebung auch eine symbolische Geste Lukaschenkos. Ganz nach dem Motto: Damals hast du dich widersetzt, jetzt nicht mehr.
Handelt Lukaschenko dabei eigenständig oder im Einklang mit Russland?
Ich bin mir ziemlich sicher, dass das mit Russland abgesprochen ist. Die Annäherung der USA an Belarus widerspricht den russischen Interessen nicht - im Gegenteil. Sie ist Teil der amerikanischen Russlandpolitik. Die USA wollen langfristig ihr Verhältnis zu Russland verbessern, und Belarus gilt dabei klar als russische Einflusszone.
Mit Alexander Friedman sprach Uladzimir Zhyhachou