
Nach den Verhandlungen im Kanzleramt ging es gleich zum Flughafen - in den Niederlanden gab es noch Regierungskonsultationen. Dass Wissing und Habeck noch miteinander zu scherzen scheinen, ist gar nicht so überraschend - menschlich kommen die Koalitionäre gut miteinander aus. Doch inhaltlich hakt es.
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Die Ampelkoalitionäre tagen einen Abend, eine Nacht, einen Morgen, einen Vormittag und einen Mittag. Und es gibt immer noch keine Einigung bei den Streitthemen. Vordergründig liegt das an einem wichtigen Paralleltermin. Der wahre Grund aber ist ein anderer.
Vertagung nach knapp 20 Stunden Verhandlungen, diese Nachricht brach am frühen Nachmittag aus dem Kanzleramt an die Öffentlichkeit. Seit Sonntagabend 18.30 Uhr saßen die Spitzenvertreter von SPD, Grünen und FDP beisammen, um sich "in wichtigen Zukunftsfragen" zu einigen. Dass ihnen das vorerst nicht gelang, ist angesichts der Liste der Streitthemen kein Wunder: Autobahnbau, Heizungsverbot, Klimaschutz, vielleicht auch Kindergrundsicherung. Und das sind nur einige der Probleme, die sich in den vergangenen Monaten aufgestaut haben.
Andererseits - wenn man sich schon so einschließt, dann doch mit dem Ziel, sich zu einigen. Wenn das nicht klappt, sieht das nicht gut aus. Auch wenn der Grund die Regierungskonsultationen in den Niederlanden waren und es morgen noch weißen Rauch geben sollte - über das Prädikat "mit Hängen und Würgen" werden die Verhandler nicht mehr hinauskommen. Oder glaubt irgendjemand, dass es sinnvoll ist, Aufgaben möglichst lange vor sich herzuschieben und dann über Nacht, aber ganz bestimmt am Tag danach eine Super-Lösung für alles auf einmal zu finden?
Man könnte schulterzuckend einwenden: So ist das nun einmal in einer Koalition. Insbesondere wenn so unterschiedliche Parteien wie Grüne und FDP am Tisch sitzen und der Kanzler dieses Bündnisses sich Angela Merkel als politisches Vorbild erwählt hat. Dennoch überrascht der Mangel an Einigungswillen. Denn eine Alternative dazu haben die drei Parteien nicht. Dass eine von ihnen Neuwahlen riskiert, glaubt niemand. Alle drei würden abgestraft, die FDP müsste gar den Rausschmiss aus dem Parlament fürchten.
Der Geist von damals? Verflogen
Ursprünglich war der Charme dieser Koalition, dass die Partner jeweils eigene Akzente setzen sollten. Die Grünen schützen das Klima, die FDP bringt die Digitalisierung voran, die SPD reformiert Hartz IV und sorgt für soziale Gerechtigkeit. Jeder hätte seinen Moment gehabt, zu glänzen. Im Vorwort des Koalitionsvertrages gibt es einen Abschnitt mit der Überschrift: "Wie wir arbeiten wollen". Dort heißt es: "Wenn wir es schaffen, gemeinsam die Dinge voranzutreiben, kann das ein ermutigendes Signal in die Gesellschaft hinein sein: Dass Zusammenhalt und Fortschritt auch bei unterschiedlichen Sichtweisen gelingen können." So weit die Theorie. In der Praxis streitet die Koalition, man steht mit dem Rücken zueinander, die Arme verschränkt. Der Geist von damals? Verflogen.
Durch den russischen Angriff auf die Ukraine geriet die Koalition früher in schwere See als die meisten Regierungen vor ihr. Doch die Ampel hielt einigermaßen zusammen, Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner manövrierten das Boot, in dem sie gemeinsam sitzen, an den Klippen des Gasmangels oder Volksaufständen wegen rasant steigender Preise vorbei. Es hätte jedenfalls schlechter laufen können.
Doch jetzt hat das gemeinsame Boot, die gemeinsame Koalition Schlagseite. Das liegt nicht nur am Sturm, der nie aufhörte. Es liegt eher daran, dass die Segel mal für Wind von links, mal für Wind von rechts gesetzt sind. Vorwärts geht es so kaum. Es liegt aber auch daran, dass Kapitän Scholz zu lange gezögert hat, Konflikte in seiner Mannschaft zu klären. Ausnahme vom Verbrennerverbot? Heizungsverbot? Autobahnbau? Klimaschutz? Mal so, mal so.
Rückkehr der Methode Merkel
Damit macht die Ampel Politik nach genau der Art, die sie eigentlich überwinden wollte: nach der Merkel-Methode. Die frühere Kanzlerin war nicht nur berüchtigt für ihre Nachtsitzungen, sondern auch für die Neigung, Probleme auszusitzen.
Auch wenn am Dienstag noch irgendein Kompromiss verkündet werden sollte - das Wichtigste wird fehlen: eine klare Entscheidung darüber, wohin die Reise gehen soll. Gilt noch, was im Koalitionsvertrag steht? Oder braucht es einen neuen? Will die FDP noch mitregieren? Sind Grüne und SPD bereit, die FDP glänzen zu lassen und dafür noch mehr Kröten zu schlucken? Von der gegenwärtigen Sandbank mögen die Ampelmänner und -frauen ihr Boot noch freischaufeln. Aber eines ist so nicht zu erwarten: Volldampf nach vorn.
Quelle: ntv.de