Politik

Wieduwilts Woche Mit dem kalten Streber durch die Krisen

Scholz ist kein Mann großer emotionaler Ausschläge.

Scholz ist kein Mann großer emotionaler Ausschläge.

(Foto: picture alliance / photothek)

Boris Johnson ist an seiner Kommunikation gescheitert, Olaf Scholz verweigert sie gleich ganz. Kommt die Bundesregierung damit durch den Herbst?

Boris Johnson ist Geschichte: Der britische Premier will zurücktreten, und besonderer Spott aus Deutschland dürfte ihm sicher sein. Wir haben ihn gern belächelt, natürlich: Esprit, politischer Charme und ein gehäufter Löffel Größenwahn kommen den Deutschen verdächtig vor. Nun war es aber auch den Briten genug: Gestolpert ist Johnson, so klingt es, nicht über die Skandale - sondern über seine Kommunikation. Er hat zu oft gelogen, bemäntelt und ein paar Politpirouetten zu viel gedreht.

Wenn hingegen Olaf Scholz stolpert, diese Prognose ist nur mäßig gewagt, wird es nicht um heimliche Partys gehen. Seine Kommunikation krankt an anderem - bei Maybrit Illners Bürgersprechstunde hat er das einmal mehr gezeigt.

Das immer drängendere Fragen der Moderatorin, die Vorhaltungen einer Klimaaktivistin und der Frust eines Bäckermeisters gingen Scholz sichtlich auf die Nerven. Wie ein kalter Streber zählt er auf, was er alles getan hat. Scholz kommuniziert immer so, etwa in der Pandemie oder als es um Waffenlieferungen ging. Scholz weiß von diesem Problem: "Ich war eher ein verträumtes, braves Kind, das aus Sicht mancher wohl zu viel gelesen hat", sagte er einmal der "Zeit", und dass ihn seine Mitschüler wohl "leider" für einen Streber gehalten hätten.

Wie war das noch im Medientraining?

Doch der Kanzler hat gelernt, so scheint es, vielleicht, seitdem er die höfliche Frage einer polnischen Journalistin auf dem G7-Gipfel vor der Weltöffentlichkeit abtropfen ließ: Könnte er konkretisieren, welche Sicherheitsgarantien die Staaten der Ukraine geben könnten, fragte sie. "Ja, könnte ich", antwortete Scholz. Peinlich war das - für ihn.

Das soll nicht nochmal passieren, aber Scholz muss sich die Empathie mechanistisch in Erinnerung rufen. Als der Bäcker fragte, was der Kanzler für die heimische Wirtschaft tue, konnte man das genau beobachten: "Wir…" setzt Scholz an, stoppt aber sofort, sammelt sich. Er erinnert sich in diesem Moment vermutlich an sein Medientraining. Wie war das gleich? Immer, immer, immer muss man erstmal etwas Empathisches sagen!

Also sagt Scholz: "Erstmal muss ich sagen, das ist ja eine wirklich eine große Herausforderung vor dem dieses Unternehmen und… stehen und die Bäckerei… und vor der Herausforderung stehen ganz viele Unternehmen in Deutschland, das ist auch etwas, was die Realität ausmacht." Uff, gerade noch geschafft. Herzlicher wird’s nicht.

Die Personalie Ataman

Empathie ist für den Kanzler etwas, vor dem man nur warnen kann: Die "Mangellage" bei der Gasversorgung trete nicht dadurch ein, dass man sage, dass sie da ist, doziert er - "ihr Dummköpfe", kann sich der Zuschauer hinzudenken. Damit Scholz diese ihm wohl pausenlos im Kopf kreisenden Wörter nicht doch noch herausrutschen, presst er Augen und Mund dabei fest zusammen.

Das ist kein Lächeln. Überhaupt lacht Scholz öffentlich nur selten, er macht auch keine Witze, denn die Leut’ verstehen sie nicht - so hat er das wirklich mal erklärt. "Ein Witz, zu dem man zwei Bücher packen muss, um zu erklären, dass es ein Witz war, ist schwierig." Scholz’ Witze, heißt das wohl, sind dermaßen komplex, dass man dafür deutlich mehr gelesen haben muss als - genau: ihr Dummköpfe.

Wenn Robert Habeck nicht grad ein warmfühliges Twittervideo dreht, prägt der arrogante Kommunikationsstil auch das übrige Regierungshandeln. Das zeigt etwa der Umgang mit der Personalie Ferda Ataman in dieser Woche. Nach einer schrillen Debatte und gegen die Kritik aus Union (überwiegend), AfD (komplett) und FDP (Teile), hat der Bundestag die Journalistin zur neuen Antidiskriminierungsbeauftragten gewählt.

Schmallippige Machtgeste der Ampel

Zugegeben, die Medienrealität war einmal mehr eine teils künstliche: An Ataman arbeiteten sich viele ab, oft aus den falschen Gründen, durch gezielte Weglassungen, durch rhetorische Strohmänner und bewusstes Taubstellen gegenüber Ironie. Im Einzelnen hat das der Journalist Stephan Anpalagan aufgedröselt.

Teils sind die Gründe aber richtig gute, denn Ataman ist eine identitätspolitische Kampframme, sie provoziert, polemisiert und pöbelt. Das ist die Handschrift eines harten Kerns antirassistisch motivierter Aktivisten. Das Argument: Leise geht es nicht. Das kann man für die Idealbesetzung einer ampelgekürten Antidiskriminierungsbeauftragten halten, muss es aber nicht.

Bemerkenswerter als die Personalie ist deshalb die schmallippige Machtgeste, die sich die Ampel hier erlaubte: Auf die Kritik ging sie kaum ein, Ataman selbst sprach nicht zum Pöbel oder den Medien, angeblich "aus Respekt" vor dem Parlament. Ob sie wohl etwas zu den Vorwürfen sagen könnte? "Ja, könnte ich", hätte sie scholzig antworten können. Dass Ataman nun als Schutzbeauftragte aller Deutschen in die Annalen eingeht, scheint erst einmal unwahrscheinlich.

In der politischen Druckkammer

Noch wächst der Zuspruch für Scholz trotz Unmut über die Bundesregierung, ein bisschen jedenfalls. Wichtiger als Schweigen, Scholzen und Identitätspolitik ist vielen Menschen etwas anderes: Sie wünschen sich Geld und - wie der Bäcker bei Illner -, dass man dem Gas zuliebe Russland nicht länger mit Sanktionen ärgert. Wenn die Pleite droht, wächst die Lust auf Erpressbarkeit. Scholz kann eben durchaus Populismus. Er macht es nur sehr leise.

Im Herbst wird das anders, Deutschland wird sich dann in eine politische Druckkammer verwandeln. Die beklatschten Strohfeuer wie Einmalzahlungen und 9-Euro-Regiosausen sind dann abgebrannt. Dann schwindet vermutlich die Toleranz für coole Sprüche ("Alter, kriegst Du nicht") und für das kalte Strebertum des Kanzlers. Wir müssen uns dann warm anziehen - und Scholz auch.

Quelle: ntv.de

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