
Scholz will, dass sich das Land unterhakt im Kampf gegen Preissteigerungen.
(Foto: picture alliance/dpa)
Erstmals gibt Olaf Scholz ein Sommerinterview als Bundeskanzler. Der Regierungschef zeigt sich gelassen, aber konzentriert. Preisanstiege und Armut im Land machten ihm Sorgen, sagt Scholz. Doch er habe einen Plan - und der sei nicht der, von dem eine Woche lang berichtet wurde.
Die traditionellen Sommerinterviews mit der Bundeskanzlerin gehörten in den letzten Jahren der Merkel-Regierung zu den kleineren Highlights der Berichterstattung. Nicht weil die Kanzlerin immer etwas Spannendes mitzuteilen gehabt hatte, aber zumindest erhielten Journalistinnen und Journalisten überhaupt einmal die Gelegenheit zur längeren Gesprächsführung mit der deutschen Regierungschefin. Olaf Scholz' erstes Sommerinterview als Kanzler fällt eher nicht in diese Kategorie, weil der Sozialdemokrat nach anfänglicher Kritik an seiner Zurückhaltung im späten Frühjahr eine regelrechte Kommunikationsoffensive gestartet hatte. Doch ging es vor Wochen noch vor allem um Krieg und Frieden in der Ukraine und Resteuropas, geht der Fokus zunehmend auf die Frage, was die Bundesregierung gegen weit verbreitete Existenzängste und Sorgen vor sozialem Abstieg tun kann.
Der Bundeskanzler erbrachte zu Sendungsbeginn den Nachweis, dass er die Preise für Butter und Erdbeeren kennt, also eine Vorstellung von den Problemen der Verbraucher habe. Über die Explosion der Energiepreise und sonstigen Lebenshaltungskosten sagte Scholz: "Das ist sozialer Sprengstoff", und übernahm damit eine Formulierung von ARD-Journalistin Tina Hassel. Er mache sich große Sorgen darüber, weil etwa mehrere Hundert Euro zusätzlicher Heizkosten für viele Menschen kaum stemmbar seien. Doch Scholz ist per se kein Politiker, der gerne über die Schwere von Problemen redet und Herausforderungen emotional gewichtet, wie es etwa Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zu tun pflegt. "Es reicht ja nicht, Worte zu finden", wehrte Scholz denn auch die Frage nach der Dramatik des Ganzen ab. Es gehe jetzt darum, dass die Bundesregierung alles tue, was nötig sei, damit die Energieversorgung funktioniere, sagte Scholz.
Noch längst nicht am Ende der Möglichkeiten
Weil regierende Politiker wie Ärzte in Krisen niemals ratlos wirken dürfen, hat der Bundeskanzler die "konzertierte Aktion" ausgerufen, in Anlehnung an historische Vorbilder aus der jüngeren bundesrepublikanischen Geschichte. Am Montag sollen Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und Experten mit der Regierung beraten, wie sie dem Kaufkraftverlust der Verbraucher und gleichzeitig galoppierenden Preissteigerungen für Unternehmen begegnen können. Es gehe darum, einen "Prozess" aufzusetzen, bei dem sich "in Deutschland wieder alle unterhaken", so Scholz. Es war die eher nebulöse Zusage an den Patienten, dass man noch nicht am Ende der Behandlungsmöglichkeiten angekommen sei, ohne dabei ins Detail zu gehen.
Andererseits versprechen seriöse Ärzte auch in Momenten größter Sorge keine Wunderdinge. "Ich will nicht vorgreifen, was die Ergebnisse sein werden", sagte Scholz und dämpfte vorsichtshalber die Erwartungen, es könnte schon morgen Vereinbarungen zu verkünden geben. Er wolle "die Debatte unter den Sozialpartnern (...) längerfristig etablieren", sagte Scholz. Zu Forderungen der neu gewählten Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbunds, Yasmin Fahimi, nach einer Preisdeckelung für den Basisenergieverbrauch sagte der Kanzler: "Wir werden alle Fragen besprechen."
Und noch etwas zur Beruhigung des Patienten: Es stimme nicht, dass er nur ein Rezept in der Schublade habe. Scholz dementierte Berichte, wonach die Bundesregierung steuerfreie Einmalzahlungen anstelle hoher Tarifabschlüsse vorschlagen wolle. Er habe lediglich entsprechende Vereinbarungen, wie etwa in der Chemiebranche, gelobt. "Niemand schlägt vor, dass deshalb die eigentlichen Lohnerhöhungen ausbleiben können", sagte der Kanzler. Das sei eine "Erfindung" der Medien. Er hat nach dieser Lesart also noch mehr Ideen in der Hinterhand. Es könnte aber auch sein, dass nach einer Woche beständiger Kritik aus den Gewerkschaften dem Kanzler vor allem daran gelegen ist, die Debatte wieder einzufangen. Schon vor dem Treffen am Montag sind die Fronten zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern einigermaßen verhärtet.
Vage blieb Scholz auch bei der Frage nach einem weiteren Entlastungspaket. Über den Sommer sollten erst einmal die Beschlüsse des zweiten Entlastungspakets Wirkung entfalten. Tatsächlich kommt die Energiepreispauschale, der einmalige Kinderzuschlag und auch die Kostenersparnisse durch das 9-Euro-Ticket erst in diesen Wochen bei den Menschen an. Weil aber Selbstständige, Studierende und Rentner hierbei außen vor geblieben sind, ist schon jetzt Druck im Kessel. Zumal sich ein Ende der Energiekrise genauso wenig abzeichnet wie eine Waffenruhe in der Ukraine.
Scholz sieht kein Arroganz-Problem
Im Gegenteil: Mehr denn je richtet sich die Bundesregierung darauf ein, dass Putin noch in diesem Sommer den Gashahn nach Europa dauerhaft abstellt. Scholz aber vermeidet es, die Menschen anlässlich des Sommerinterviews auf noch düstere Szenarien als derzeit einzustimmen. Ebenso bei Corona: Die Bundesregierung tue alles Notwendige. "Schulschließungen sollte es nicht mehr geben und ich glaube, dass wir auch keinen Lockdown brauchen, wie wir ihn in den letzten Jahren hatten", sagte Scholz über den kommenden Herbst und Winter. Eine Rückkehr der Maskenpflicht in Innenräumen bleibt dagegen möglich: "Ich glaube, dass man schon davon ausgehen muss, dass die Maske im Herbst und Winter schon wieder eine größere Rolle spielen wird als jetzt."
Die Bundesregierung hat bei ihrem Vorgehen ein berühmtes Vorbild: die "Konzertierte Aktion" vor 55 Jahren, orchestriert vom sozialdemokratischen Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller. Als das nach dem Zweiten Weltkrieg lange anhaltende Wirtschaftswachstum erstmals einbrach, brachte Schiller alle relevanten Akteure und insbesondere Arbeitgeber und Gewerkschaften an einen Tisch. Trotz anfänglichen Widerstands mäßigten die Gewerkschaften ihre Lohnforderungen. Ob der schon im Folgejahr wieder einsetzende Boom ein Ergebnis dieser Einigung war, ist umstritten.
Bei den großen Themen Ukraine-Krieg und Pandemie scheint Scholz vor allem die Botschaft am Herzen zu liegen, dass er die Dinge im Blick und unter Kontrolle habe. Gutgelaunt, frisch frisiert und im schicken anthrazitfarbenen Anzug macht Scholz vor allem den Eindruck sehr mit sich im Reinen zu sein. In Einspielern an ihn herangetragene Kritikpunkte von einzelnen Bürgerinnen und Bürgern fasst Scholz durchweg als Bestätigung dafür auf, dass er sich um alle wichtigen Dinge ja bereits kümmere. Kritik an seinem Auftreten und dem Vorwurf der Arroganz gegenüber Medienvertretern - wie beim G7-Gipfel - wies Scholz zurück: "Ich glaube nicht, dass es so ist, und deshalb teile ich die Einschätzung nicht", konterte er Hassels Frage, ob ihn der Vorwurf der Arroganz beschäftige.
Einblick in Putin-Telefonate
Auch die anschließenden Fragen, die Zuschauer schon am Sonntagvormittag und live bei YouTube und Facebook stellen konnten - mehr als 5000 laut ARD -, beantwortete Scholz gut gelaunt. Beim Thema Ukraine-Krieg sprach Scholz ungewohnt freimütig über seine Telefonate mit Putin: "Wenn ich mit Putin spreche, sage ich ihm immer: 'Bedenke: Die Sanktionen - es waren zugegebenermaßen nicht sehr starke -, die nach der Annexion der Krim erfolgt sind, die sind noch alle da. Das gilt auch für die Sanktionen, die wir verhängt haben nach dem angezettelten Aufstand im Osten des Donbass. Aber die Sanktionen, die wir jetzt gegen Russland verhängt haben, die werden bleiben. Die Idee eines Diktatfriedens, die ist absurd. Du musst dich darauf konzentrieren, eine faire Vereinbarung mit der Ukraine zustande zu bringen.'"
Die offenbar von vielen Internetnutzern gestellte Frage nach dem Zeitpunkt der Cannabis-Legalisierung beantwortete er mit der Aussicht auf die Jahre 2023, 2024, jedenfalls "nicht am Ende der Legislaturperiode". Ein Tempolimit werde nicht kommen, weil es dazu keine Vereinbarung innerhalb der Koalition gebe, und das 9-Euro-Ticket werde nicht über August hinaus verlängert.
Den Titel Scholzomat halte er für veraltet und Schlumpf-Vergleichen begegnet Scholz mit der Information, sich selbst eine Schlumpffigur gekauft zu haben und seither auch einige geschenkt bekommen zu haben. Schwer vorstellbar, dass das private Arbeitszimmer des Kanzlers mit kleinen blauen Männchen drapiert ist. Will man vielleicht gar nicht so genau wissen, wie auch die Tatsache, dass Scholz lieber warm als kalt duscht - geäußert bei der Frage zu seinem Energiesparverhalten. Scholz hütet sich davor, den Menschen zu sehr reinzureden, und es bleibt der Eindruck, er würde es schätzen, wenn auch ihm niemand reinredete. Er hat ja, so die Botschaft nach acht Monaten im Amt, alles im Griff.
Quelle: ntv.de