Isis terrorisiert den Irak Obama zu rascher Entscheidung bereit
12.06.2014, 21:19 Uhr
In Scharen verlassen die Menschen Mossul.
(Foto: AP)
Unter dem Druck der Islamisten von Isis zerbricht die Macht des irakischen Ministerpräsidenten Al-Maliki. Zwar ist deren Vormarsch vorerst gestoppt - aber nun nutzen kurdische Truppen das Chaos. Die USA sind besorgt und fragen sich nun, was sie tun sollen.
Unter dem Druck der islamistischen Isis-Kämpfer droht der I rak zu zerbrechen. Die Regierung von Ministerpräsident Nuri al-Maliki bekam im Parlament keine Unterstützung für Notstandsmaßnahmen und im Kurdengebiet übernahmen Kurdenkämpfer regional die Kontrolle. Während die sunnitische Terrorgruppe Isis ihre Vormachtstellung in den seit Dienstag eroberten Gebieten ausbaut, prüft die US-Regierung auch militärische Optionen.
Trotz der Zuspitzung der Lage verweigerte das irakische Parlament dem schiitischen Regierungschef erweiterte Befugnisse im Kampf gegen den Terror. Offiziere machten Al-Maliki sogar für die Schwäche des Widerstands gegen die Extremisten verantwortlich. Der Armeekommandant der Provinz Anbar, die sich seit Mittwoch in der Hand von Isis befindet, sieht laut "Al-Sumaria News" "das Fehlen eines moralischen Führers" als einen der Gründe, weshalb viele irakische Soldaten vor den Isis-Kämpfern geflohen sind.
Nur noch 60 Kilometer bis Bagdad
Kämpfer der Isis ("Islamischer Staat im Irak und in Syrien") rückten derweil bis auf 60 Kilometer an Bagdad heran, bevor ihr Vormarsch gestoppt werden konnte. Nach Angaben der Organisation Ärzte ohne Grenzen sind mittlerweile rund eine Million Iraker auf der Flucht. Viele versuchten das als stabil geltende kurdische Autonomiegebiet im Nordirak zu erreichen. Allein in Mossul waren binnen weniger Stunden 500.000 Menschen vor den Extremisten geflohen.
Obama schließt nichts aus
Al-Maliki bat Washington um Luftunterstützung durch Kampfdrohnen, wie US-Beamte dem Sender NBC News bestätigten. US-Präsident Barack Obama stufte die Krise im Irak als Notfall ein. Er wolle sicherstellen, dass die Extremisten gestoppt werden könnten, sagte Obama im Weißen Haus. Bei Überlegungen über eine Reaktion schließe er keine Option aus. Konkret wurde Obama aber nicht. Zudem forderte er die irakische Führung auf, an einer politischen Lösung zu arbeiten. "Dies sollte ein Weckruf für die irakische Regierung sein", sagte er.
US-Außenminister John Kerry betonte, Obama sei in der Irak-Frage zu raschen Entscheidungen bereit. Er selbst sei tief besorgt über die jüngsten Entwicklungen. Sein Ministerium erklärte zudem, die irakischen Sicherheitskräfte seien zur Enttäuschung der USA eingeknickt. Die USA waren 2003 in den Irak einmarschiert und hatten ihre Soldaten Ende 2011 wieder abgezogen. Die Ausbildung der irakischen Armee hat die Washingtoner Regierung mit fast 25 Milliarden US-Dollar mitfinanziert.
Experte hält Isis für ungläubwürdig
Im Internet kündigten Isis-Anhänger einen Marsch auf Bagdad an. Isis-Sprecher Abu Mohammed al-Adnani erklärte per Videobotschaft, es gebe dort eine Rechnung mit der schiitischen Regierung zu begleichen. "Gebt nicht einen Meter befreites Land zurück - außer mit euren toten Körpern." Isis will einen sunnitischen Gottesstaat errichten, der im Wesentlichen Syrien und den Irak umfasst.
Der politische Analyst Kirk Sowell hält die Ankündigung allerdings für unglaubwürdig. "Diese Typen sind keine Wahnsinnigen", sagte er der dpa. "Sie wissen, dass sie Bagdad nicht einnehmen können." Sowell arbeitet für eine militärstrategische Beraterfirma in Jordanien. Er meint, Isis werde nun versuchen, seine eroberten Gebiete nordwestlich von Bagdad zu sichern.
Bislang drangen Isis-Kämpfer bis zur Provinz Dijala knapp 60 Kilometer nördlich von Bagdad vor. Rund 50 Kämpfer sollen dort laut Medienberichten bei Gefechten mit der irakischen Armee getötet worden sein. Die Isis habe sich daraufhin zurückgezogen, hieß es. Irakische Truppen bildeten in Bakuba, der Provinzhauptstadt Dijalas, eine gemeinsame Front mit Polizeikräften und freiwilligen Stammeskämpfern.
Auch in Kirkuk wurden die Isis-Kämpfer nach kurzen Gefechten zurückgedrängt. Kurdische Medien meldeten, die ölreiche Stadt im Norden des Iraks sei nun in der Hand der unabhängigen Peschmerga, der Streitkräfte der kurdischen Autonomieregion. Deren Offiziere sagten, sie wollten Kirkuk nicht mehr an irakische Truppen zurückgeben. Seit der US-Invasion 2003 war die nordirakische Stadt ein ständiger Streitpunkt zwischen irakischen und kurdischen Kräften. Die Isis-Truppen waren seit Dienstag von der nordirakischen Stadt Mossul entlang des Flusses Tigris bis ins mittelirakische Tikrit rund 175 Kilometer nördlich von Bagdad vorgerückt.
Neue Gesetze für Mossul
In Mossul errichtete Isis ein Kommandozentrum und veröffentlichte ein Kommuniqué mit neuen Gesetzen für die eroberte Stadt. Der Konsum von Drogen, Alkohol und Zigaretten wurde unter Strafe gestellt, ebenso das sichtbare Tragen von Waffen. Auch Versammlungen sind verboten. Dieben soll die Hand abgehackt werden. Polizisten und Soldaten wurden aufgefordert, sich zu ergeben. Stammesführer wurden davor gewarnt, die irakische Regierung zu unterstützen. Nach dpa-Informationen erbeuteten Isis-Kämpfer in Mossul 500 Milliarden irakische Dinar (318 Millionen Euro) in der Zentralbank. Damit wird Isis zur reichsten Terrororganisation vor Al-Kaida. Experten schätzen das Vermögen der Al-Kaida auf 50 Millionen bis 280 Millionen Euro.
Auch schweres Kriegsgerät soll Isis erbeutet haben. Im Netz kursierende Videos zeigen irakische Panzer und Helikopter mit der schwarzen Flagge der Isis bei einer Militärparade in Mossul. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch warf Isis Bombenanschläge in Wohngebieten, Massenexekutionen, Folter, Diskriminierung von Frauen und die Zerstörung kirchlichen Eigentums vor. Einige Taten kämen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleich.
Russland bezeichnete die Offensive von Isis als "zutiefst beunruhigend". Es sei "zynisch", den Terror im Irak als Folge der Syrienkrise zu bezeichnen, sagte Außenminister Sergej Lawrow in Moskau. Lawrow sieht eine Mitschuld von Washington und London: "Wir können uns nicht darüber freuen, dass das Irak-Abenteuer der Amerikaner und Engländer nicht gut endet."
Quelle: ntv.de, ppo/dpa