Geldwäsche-Boom erwartet "Organisierte Kriminalität feiert gerade"
21.04.2020, 15:34 Uhr
Leere Innenstädte - doch das organisierte verbrechen schläft nicht und entdeckt gerade neue Betätigungsfelder.
(Foto: picture alliance/dpa)
Das Coronavirus hat das Geschäft mit Drogen und Prostitution weitgehend lahmgelegt. Kriminelle Banden stellen sich umgehend auf die neue Lage ein. "Die züchten nun keine Schafe", sagt ein Kripobeamter und warnt vor einem Anstieg bei Schutzgelderpressung und Wucherzinsen.
Obwohl er im Beruf nichts mit Aktienkursen zu tun hat, fällt Oliver Huth eine alte, zynisch anmutende Börsenweisheit ein, wenn er beschreibt, was in Deutschland gerade passiert. "An der Börse gibt es den bösen Spruch: 'Man muss kaufen, wenn in den Straßen das Blut fließt'", sagt der nordrhein-westfälische Vize-Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK). "Genauso verhält sich die Organisierte Kriminalität. Und die feiert gerade. Jedenfalls fangen die Banden jetzt nicht an, Schafe zu züchten."
Aber umso mehr laufen Bemühungen in den Reihen der Gangster, die Schäfchen im Trocknen zu lassen oder sie dahin zu bringen. Denn das Coronavirus hat auch zentrale Teile ihres illegalen Treibens weitgehend zum Erliegen gebracht, allen voran den Drogenhandel, die Prostitution und den Menschenhandel. "Die Logistik für den Drogenschmuggel nach Europa funktioniert nicht mehr. Die Banden stellen ihr Geschäftsmodell um", sagt der Kripo-Beamte. Seine Aussagen decken sich mit den Angaben der Nichtregierungsorganisation "Globale Initiative gegen grenzüberschreitende Organisierte Kriminalität", die über ein weltweites Netzwerk Informationen zu neusten Entwicklungen in dem Bereich sammelt.
Als Folge der Pandemie seien offenbar "einige organisierte kriminelle Aktivitäten reduziert und gleichzeitig Möglichkeiten für neue geschaffen" worden, erklärt die Initiative auf ihrer Internetseite und nennt diverse Beispiele aus verschiedenen Kontinenten. Sie berichtet etwa von dem Verdacht, dass in Guinea-Bissau - das Land gilt als wichtiger Umschlagplatz für Kokain für Europa -, ein Flughafen unter dem Deckmantel, dass eine Maschine Corona-Infizierte bringe, geschlossen worden sei, um ungestört Flugzeuge mit Drogen zu beladen. Womöglich mischten korrupte Polizisten und Beamte mit. In Kolumbien werde die Schließung der Grenzposten dafür genutzt, Drogen und illegal abgebautes Gold zu schmuggeln und Migranten einzuschleusen. Todesschwadronen nutzten Ausgangssperren, um Menschen- und Landrechtsaktivisten zu ermorden.
Illegale Müllentsorgung boomt
Nach Darstellung Huths, der beim Landeskriminalamt NRW Ermittlungsgruppen gegen die Organisierte Kriminalität leitet, sind er und seine Kollegen sicher, dass es sich bei den Betrügern, die Corona-Hilfen in vielfacher Millionenhöhe abgreifen, um organisierte Kriminelle handelt. Laut Innenminister Herbert Reul flogen schon zwischen 3500 bis 4000 gefälschte Anträge auf, die "frappierend echt" wirkten. Huth ahnt: "Sobald die Subventionen des Staates auslaufen, werden sie es mit anderen Tricks und Machenschaften versuchen." Mit anderen Worten: Dann wenden sich die Gangster Gebieten zu, wo es Millionen zu holen gibt.
"Wir beobachten schon, dass Autos und Lastwagen abgefackelt werden, um die Versicherungen abzuzocken", sagt Huth. Das gelegte Feuer in der Nacht zum 1. April in einer Kölner Tanzschule war seiner Einschätzung nach "garantiert nur der Anfang". "Bald werden auch Restaurants und andere Einrichtungen brennen, um an liquide Mittel zu kommen." Brandstiftungen biete die Organisierte Kriminalität als Dienstleistung an. Gegen Bezahlung werde ein Lokal abgefackelt, während der Besitzer ein glasklares Alibi habe.
Als weiteres Tummelfeld der Ganoven nennt Huth illegale Müllentsorgung. Gerade jetzt seien Besitzer froh, leerstehende Gebäude zu vermieten. "Plötzlich ist die Lagerhalle voll mit Bauschutt und der Mieter verschwindet auf Nimmerwiedersehen."
Geschäfte mit Wucherzinsen und Schutzgelderpressung
Allergrößte Sorgen bereiten dem Ermittler die Folgen im Zuge der Schließungen von Läden und Restaurants, die die Betreiber oder Eigentümer in akute Geldnot bringen. "Mit absoluter Sicherheit zunehmen werden Geschäfte mit Wucherzinsen und Schutzgelderpressung", glaubt Huth. "Egal ob Kriminelle oder unbedarfte Bürger, denen es an Geld fehlt: Sie erhalten Angebote, sich Geld gegen Wahnsinnszinsen zu leihen." Der Kripo-Mann erklärt das erwartete Muster so: Der Kreditnehmer hat einen Oldtimer im Wert von 500.000 Euro, überschreibt das Fahrzeug aber an den Geldgeber für 250.000 Euro.
"Dass mit diesen Deals auch Gewaltdelikte zunehmen werden, liegt auf der Hand", betont Huth. "Ganz übel wird es bei der Geldwäsche." Dabei gehe es nicht nur um illegale Einnahmen innerhalb einer Bande. "Das bieten die auch als Dienstleistung an." Trotz Reisebeschränkungen sei die italienische Mafia in der Lage, für jeden x-beliebigen Deal einen Strohmann zu holen. "Die kassieren jeweils zehn Prozent der Gesamtsumme. Oder sie schicken Geld nach Italien, um es dort zu waschen."
Allgemein wird in naher Zukunft mit Notverkäufen von Immobilien gerechnet, weil die Eigentümer in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Huth erwartet allerdings auch, dass Häuser und Läden "als Folge gewaltsamen Drucks der Verbrecherbanden" abgestoßen werden. "Wenn eine Bande noch viel Geld aus einem Drogengeschäft herumliegen hat, schlägt sie günstig zu", sagt er und fragt: "Wem soll der Unterschied auffallen? Wer soll das kontrollieren?" Momentan wisse niemand, was ein Eiscafé in der Innenstadt von Frankfurt, Düsseldorf oder Stuttgart wert sei, weil die Umsätze unklar seien.
Auch das Vorgehen erklärt Huth mittels Beispiels: Ein Strohmann tut so, als ob er sich als Eisladenbetreiber versucht, erklärt nach wenigen Wochen, dass es "leider nicht geklappt hat" und verkauft das Café mit Gewinn, sobald die Preise wieder anziehen. "Oder er behauptet, 60 Stühle und 3000 Löffel dazu gekauft zu haben, verscherbelt das Geschäft an einen anderen Strohmann für einen horrenden Betrag und wäscht so Geld." Alternativ bleibt das Café in den Händen der Mafia. "Die frisiert die Einnahmen und verwandelt auf diese Weise kriminell verdientes in legal erworbenes Geld."
Quelle: ntv.de