Politik

Schwierige Parlamentswahl Rauere Zeiten: Die schwedische Idylle war einmal

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Zeitenwende auch in Schweden.

(Foto: imago images/YAY Images)

Parlamentswahl in Schweden in politisch bewegter Zeit: Die Sozialdemokratin Andersson will das skandinavische Land in die NATO führen. Allerdings liegen linkes und rechtes Lager fast gleichauf. Die Schweden bewegt vor allem ein innenpolitisches Problem.

"Schwedens Zeit als moralische Großmacht, von der wechselnde Ministerpräsidenten geträumt haben, ist zu Ende - ein Beispiel für Angst und eine Warnung." Zu diesem vernichtenden Urteil kam die dänische Zeitung "Jyllands-Posten" kurz nach dem Amtsantritt von Magdalena Andersson als Ministerpräsidentin Ende des vergangenen Jahres. Das Blatt legte nach: "Eine der besten und sichersten Gesellschaften der Welt wurde den Kräften des Dschungels ausgeliefert, weil eine arrogante Machtelite lieber die Welt retten wollte, als sich um das Wohl der Schweden zu kümmern."

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Führt Schweden durch eine schwierige Zeit: Magdalena Andersson.

(Foto: IMAGO/TT)

Kurz zuvor hatte Anderssons farbloser Vorgänger Stefan Löfven entnervt das Handtuch geworfen. Seine rot-grüne Minderheitsregierung war über einen Streit über Mietpreisbindungen für Neubauten gestürzt. Andersson bildete danach ein nur aus Sozialdemokraten bestehendes Minderheitskabinett und schaffte es, ihre Partei bei den Umfragen weiter auf Platz eins zu halten.

Am Sonntag wird nun Kasse gemacht, denn die Schweden wählen einen neuen Reichstag. Sie tun das in einer Phase, die für das Königreich noch mehr als für Deutschland eine Zeitenwende ist. Schweden, das immerhin zwei Weltkriege als neutrale Nation unbeschadet überstanden hat, strebt aufgrund eines immer aggressiver werdenden Russlands gemeinsam mit dem finnischen Nachbarn in die NATO. Der Weg für einen schnellen Beitritt ist geebnet. Regierungschefin Andersson weiß in dieser Problematik den größten Teil der Bevölkerung hinter sich.

Mord und Totschlag in einigen Gegenden

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Nach einer Messerattacke in Malmö.

(Foto: IMAGO/TT)

Warum hat Schweden, wie von "Jyllands-Posten" beschrieben, den Nimbus einer moralischen Großmacht verloren? Die Außenpolitik ist es nicht, die das größte skandinavische Land in die Bredouille gebracht hat. Die Schweden sind seit Jahrzehnten Meldungen über vor ihrer Küste rumkurvende russische U-Boote gewöhnt. Außen- und Sicherheitspolitik spielt trotz des bevorstehenden NATO-Beitritts im Wahlkampf nicht die wichtigste Rolle.

Die Schweden treibt vor allem ein Thema um: die immer stärker um sich greifende Bandenkriminalität. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht eine Schießerei gemeldet wird. Ein Mensch starb in einem Malmöer Einkaufszentrum. In der kleinen Stadt Ekilstuna wurden auf einem Spielplatz eine Mutter und ihr Kind von Schüssen getroffen. Auch in den beiden größten Städten Stockholm und Göteborg bekämpfen sich Gangs mit aller Brutalität, häufig bleiben Tote und Verletzte zurück. Die Schweden sind zunehmend beunruhigt, Rufe nach einem starken Staat werden lauter. Die oftmals überforderte Polizei fordert eine personelle Aufstockung. Kurzum: Astrid Lindgrens Bullerbü-Schweden war einmal.

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Jimmie Åkesson spielt einer immer größere Rolle in der schwedischen Politik.

(Foto: via REUTERS)

Nutznießer dieser Entwicklung sind die rechtspopulistischen Schwedendemokraten (SD), die auf dem besten Weg sind, vor den konservativen Moderaten, die mit den deutschen Unionsparteien vergleichbar sind, einzulaufen. SD-Chef Jimmie Åkesson wirft Andersson vor, die wachsende Kriminalität nicht entschieden genug zu bekämpfen. Er nimmt dabei auch die Migrationspolitik der Regierung ins Visier, denn bei den Schießereien sind oft Personen beteiligt, die Migrationshintergrund haben. Laut Åkesson gibt es "keinen anderen Faktor, der Schweden so sehr und so negativ beeinflusst hat wie die große, unkontrollierte und nachlässige Migrationspolitik". Der 43-Jährige träumt von einem Schweden mit der geringsten Einwanderungsquote in Europa.

Welche Rolle kommt den Rechtspopulisten zu?

Es ist nicht so, dass Regierungschefin Andersson hinsichtlich der Entwicklung von Parallelgesellschaften vor allem an den Peripherien der größeren Städte keinen Handlungsbedarf sieht. Sie hält sich allerdings verbal zurück und sagt, dass sich in den vergangenen Jahren aufgestauten Probleme nicht ausschließlich von der Polizei gelöst werden können. Sie verspricht im Wahlkampf mehr Anstrengungen zur Vorbeugung von Straftaten. Dazu sei es notwendig, mehr Sozialarbeiter mit Migrationshintergrund in die Brennpunkte zu schicken. Zudem versprach Andersson, die Bildungsproblematik stärker in den Vordergrund zu holen. Ihre Besonnenheit kommt bei einem Großteil der Schweden an. Überhaupt sind Anderssons Beliebtheitswerte höher als die ihrer Partei. Dennoch rangieren die Sozialdemokraten in den Umfragen mit 29 Prozent klar vor den Schwedendemokraten, die auf 20 Prozent kommen.

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Das rechte Lager unter sich: Die Parteichefs Johan Pehrson (Liberale), Åkesson, Ebba Busch (Christdemokraten) und Ulf Kristersson (Moderate/von links).

(Foto: via REUTERS)

Allerdings liegen linkes und rechtes Lager insgesamt derzeit fast gleichauf. Selbst Moderaten-Chef Ulf Kristersson, dessen Partei mit 17 Prozent auf Platz drei liegt, kann sich noch Hoffnungen auf das Ministerpräsidentenamt machen. Völlig ausgeschlossen ist auch ein Regierungschef Åkesson im Falle einer rechten Mehrheit nicht. Allerdings ist es wohl dafür noch zu früh, weil diese Lösung bei großen Teilen der Moderaten, die vor vier Jahren noch eine strikte Ausgrenzungspolitik gegenüber den Rechtspopulisten fuhren, undenkbar ist. Der Åkesson-Truppe könnte bei einer rechten Mehrheit die Rolle des Mehrheitsbeschaffers zufallen - ohne in einem von den Moderaten geführten Kabinett vertreten zu sein. Aber, wie bereits erwähnt: Nichts ist unmöglich im Schweden des Jahres 2022, zumal Schwedendemokraten, Moderate, Liberale und die stockkonservativen Christdemokraten bei ihrer gemeinsamen Pro-Atomkraft-Kampagne keine Berührungsängste zeigten. Bemerkenswert dabei: Vor vier Jahren unterstützten die Liberalen noch Löfvens rot-grüne Regierung, um damit einer Zusammenarbeit mit der SD zu entgehen.

Es wird wohl wieder eine Minderheitsregierung

Andersson, Kristersson oder doch Åkesson? Eines ist sicher: Die Bildung einer neuen Regierung wird kompliziert. Denn auch innerhalb der jeweiligen Lager knirscht es bedenklich. So war neben der SD auch die Linkspartei (Vänsterpartiet) maßgeblich an Löfvens Sturz beteiligt. Die Grünen (Miljöpartiet) sind in der Zeit der Koalition mit den Sozialdemokraten unter die für den Einzug in den Reichstag notwendige Vier-Prozent-Marke gerutscht und konnten sich erst außerhalb der Regierung wieder etwas erholen.

Nach Lage der Dinge läuft es wieder auf eine Minderheitsregierung hinaus. Die Schweden haben damit kein Problem, in den vergangenen Jahrzehnten gab es mehrere Kabinette ohne eigene Mehrheit im Parlament. Die aus Sicht von "Jyllands-Posten" angeblich "arrogante Machtelite" fand bislang immer einen Weg, um Schweden durch eine Legislaturperiode zu bekommen.

Dabei ist noch ein weiterer Fakt bemerkenswert: Gewählt ist in Schweden ein Ministerpräsident oder eine Ministerpräsidentin (Statsminister), wenn die Mehrheit der Abgeordneten nicht gegen sie oder ihn stimmt. Für die Bildung einer Minderheitsregierung reicht es also, andere Parteien zur Enthaltung zu bewegen.

Dies brachte schon bemerkenswerte Ergebnisse: So gelang es Ola Ullsten 1978, Statsminister einer rein liberalen Minderheitsregierung zu werden, obwohl seine Partei nur 39 von 349 Sitzen im Reichstag besetzte. Ullsten hielt immerhin bis zur Parlamentswahl 1979 durch. Allerdings ist eine solche Konstellation bei der auch in Schweden immer stärker werdenden gesellschaftlichen Differenzierung nicht mehr wahrscheinlich.

(Dieser Artikel wurde am Sonntag, 11. September 2022 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de

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