Politik

Presseschau zur EU-Affäre "Hätte schlimmer nicht kommen können"

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Einem Bericht zufolge soll Vizepräsidentin Eva Kaili Säcke voller Geld besessen haben.

(Foto: REUTERS)

Das Entsetzen über den Korruptionsskandal im EU-Parlament ist groß, und Kommentatoren deutscher Zeitungen sind sich einig: Der Schaden ist immens. Die EU skeptischen Regierungen in Ungarn und Polen witterten nun "Morgenluft". Ein Blatt sieht gar einen "Warnschuss für alle Parlamente".

"Warum sollte Qatar eine Vizepräsidentin bestechen, die außerhalb ihrer griechischen Heimat kaum jemand kennt und die niemand je für ein Brüsseler Machtzentrum hielt? Es scheint, als hätte das Emirat am Golf das Parlament wichtiger genommen, als es die von ihm vertretenen EU-Bürger selbst tun" schreibt die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" zu dem Skandal und fordert: "Die Mehrheit der Abgeordneten sollte ihre Empörung in Energie verwandeln, um jetzt eine Lücke im Transparenz-Regime der EU-Institutionen zu schließen: Auch Interessenvertreter von Drittstaaten müssen vom Transparenzregister erfasst werden." Allerdings solle man sich nichts vormachen. "Eine solche Reform hätte einen plumpen Fall von Bestechung wie den nun offenbar aufgedeckten nicht verhindert - und auch der ramponierte Ruf des Parlaments wird sich so nicht einfach verbessern lassen."

Die "Badische Zeitung" befasst sich ebenfalls mit dem Thema und sieht Handlungsbedarf: "Das Europaparlament muss nun die Immunität der Verdächtigen sofort aufheben und so dafür sorgen, dass die Korruptionsvorwürfe gegen Abgeordnete aus den eigenen Reihen aufgeklärt werden können." Als Folge befürchtet die Zeitung: "Die vom Europaparlament wegen Rechtsstaatsverstößen gegeißelten Regierungen Ungarns und Polens wittern nun Morgenluft. Sie wollen sich nicht von Abgeordneten an den Pranger stellen lassen, die ihr eigenes Haus nicht in Ordnung halten können. Hierin liegt ein viel größeres Problem für die EU als in den nun zutage geförderten unsauberen PR-Methoden des Emirats am Golf." Bislang sei das Parlament "die mahnende moralische Instanz" gewesen. "Sie fehlt nun."

Die "Augsburger Allgemeine" befürchtet verheerende Konsequenzen. "Der Skandal um EU-Parlamentsvizepräsidentin Eva Kaili erschüttert das politische Brüssel. Erhärtet sich der Verdacht, bedeutet dies nicht nur einen immensen Vertrauensverlust für die Abgeordneten aller Parteien. Es wäre eine Katastrophe für die gesamte EU", schreibt die Zeitung. "Als Hüter westlicher Werte und Herz der europäischen Demokratie betont das Parlament gerne, wie wichtig Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit sind. Europas Volksvertreter gefallen sich in der Rolle der Moralkeulen-Schwinger, insbesondere im Kampf gegen Korruption. Oft genug haben sie Grund dazu. Doch die schärfste Waffe wird stumpf, wenn es nun im eigenen Laden 'bandenmäßige Korruption und Geldwäsche' gäbe.

"Der Skandal ist ein Warnschuss für alle Parlamente - auch für den Deutschen Bundestag, in dem mehr Lobbyisten einen Hausausweis haben als das Parlament Abgeordnete hat", heißt es in der "Frankenpost". "Es gehört zu den Errungenschaften der Demokratie, dass die gewählten Volksvertreter ihre Entscheidungen frei fällen können. Verlieren sie diese Fähigkeit - sei es durch politischen Druck, finanzielle Einflussnahme oder Androhungen von Gewalt -, ist die Demokratie in Gefahr."

Groß ist auch das Entsetzen bei der "Süddeutschen Zeitung". "Für das EU-Parlament hätte es schlimmer nicht kommen können. Denn dessen schärfste Waffe ist doch eigentlich die Moral", heißt es im Kommentar. Erst vor Kurzem habe das Parlament seinen 70. Geburtstag gefeiert, stolz auf seine Rolle als einzige EU-Institution, die direkt vom europäischen Volk gewählt wird. Dabei dürfe es immer noch keine eigenen Gesetze auf den Weg bringen. "Es wird in den aktuellen Krisenlagen von Kommission und Mitgliedsländern häufig übergangen. Umso überzeugter übt das Parlament seine Rolle als Hüter wahrer europäischer Werte aus. Diese Werte vertritt das Haus auch, wenn es um Missstände außerhalb der EU geht - zum Beispiel in einer Resolution, die die Fußball-WM in Katar als Schande verurteilte. Und nun ahnt man plötzlich, warum manche Sozialdemokraten gar nicht so Feuer und Flamme waren für diese Resolution."

Dass es mit der Rolle als Moralinstanz nun nicht mehr so ganz hinhaut, befürchtet auch das "Handelsblatt". "Das EU-Parlament sieht sich als Vorkämpfer gegen Bestechung und Bestechlichkeit. Seit Jahren fordern die Abgeordneten, dass die Union gegen Kleptokraten in ihren eigenen Reihen vorgeht - insbesondere gegen Ungarns Premier Viktor Orban, der den Rechtsstaat aushebelt und eine Günstlingswirtschaft pflegt", kommentiert die Zeitung. Ausgerechnet jetzt, da die Kommission endlich handele und Mittel aus dem EU-Haushalt und dem Corona-Wiederaufbaufonds an Ungarn wegen mangelnder rechtsstaatlicher Standards nicht auszahle, erschüttere der Korruptionsfall Brüssel. "Orban wird es leichtfallen, seine Kritiker als Heuchler darzustellen. Er könnte zum großen Nutznießer der Affäre werden."

(Dieser Artikel wurde am Sonntag, 11. Dezember 2022 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de, ghö/dpa

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