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Wagner-Chef stellt Krieg infrage Prigoschin: "Um zu gewinnen, müssen wir wie Nordkorea leben"

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"Während wir nach den Nazis suchten, töteten wir jeden, den wir finden konnten", sagt Wagner-Chef Prigoschin in einem Interview.

(Foto: picture alliance/dpa/PRIGOZHIN PRESS SERVICE/AP)

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Wenn es um die russische Armeeführung geht, nimmt Wagner-Chef Prigoschin kein Blatt vor den Mund. In einem Interview geht der 61-Jährige jetzt sogar einen Schritt weiter und stellt den Sinn des Überfalls auf die Ukraine infrage. Er lobt die ukrainische Armee - und warnt vor einer Revolution in Russland.

Der Chef der Söldnergruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, hat in einem Interview einmal mehr die russische Militärführung scharf kritisiert und gleichzeitig die ukrainische Armee gelobt. Dabei sparte der 61-Jährige nicht mit harten Worten auch in Richtung russischer Regierung und stellte den Sinn der "Spezialoperation", wie der Krieg in Russland genannt wird – infrage.

Die russische Armee sei "rüpelhaft" auf der Suche nach den Nazis in die Ukraine einmarschiert, sagte Prigoschin im Interview mit dem kremlnahen Politologen Konstantin Dolgow, das auf der Plattform "Rutube", dem russischem Youtube-Pendant, veröffentlicht wurde. "Während wir nach den Nazis suchten, töteten wir jeden, den wir finden konnten", so der Wagner-Chef. Der Kreml weist die Tötungen von Zivilisten zurück und behauptet, man kämpfe "nur" gegen die ukrainische Armee.

"Als wir uns Kiew genähert hatten, schissen wir uns in die Hose und hauten ab", erklärte er mit Blick auf die verlorene Schlacht um die ukrainische Hauptstadt in den ersten Kriegsmonaten. Dasselbe sei auch in Cherson passiert – im November vergangenen Jahres zogen sich russische Truppen aus der Großstadt im Süden der Ukraine zurück, nachdem sie diese in den ersten Tagen des Krieges erobert hatten.

"Kriegszustand ausrufen, neue Mobilmachungen einleiten"

Damit Russland nicht verliere, müsse es den Kriegszustand ausrufen, neue Mobilmachungen einleiten und die Wirtschaft auf die Produktion von Munition umstellen, sagte Prigoschin. "Wir sollten aufhören, neue Straßen und Infrastrukturobjekte zu bauen, und stattdessen nur für den Krieg arbeiten", forderte Prigoschin.

Um den Krieg zu gewinnen, müsse Russland mehrere Jahre "wie Nordkorea leben, alle Grenzen schließen, aufhören, sich zu zieren, junge Leute aus dem Ausland zurückholen und hart arbeiten". "Dann werden wir zu einem Ergebnis kommen", so Prigoschin.

"Wir haben die Ukraine militarisiert"

Russland habe die Ziele der Invasion verfehlt, kritisierte Prigoschin weiter. Die "spezielle militärische Operation" sei mit dem Ziel der "Entnazifizierung" begonnen worden, stattdessen "haben wir die Ukraine zu einer Nation gemacht, die in der ganzen Welt bekannt ist", so der 61-Jährige. "Was die 'Entmilitarisierung' anbelangt: Angenommen, sie (die Ukrainer) haben zu Beginn der 'Spezialoperation' 500 Panzer gehabt - jetzt sind es 5000. Hatten sie damals 20.000 Kämpfer, so haben sie jetzt 400.000. Was ist das für eine 'Entmilitarisierung'?", fragte der Wagner-Chef. "Jetzt stellt sich heraus, dass wir, weiß der Teufel wie, die Ukraine ganz im Gegenteil militarisiert haben."

Nach Prigoschins Worten ist die ukrainische Armee heute "eine der stärksten" der Welt. Sie sei sehr gut organisiert und ausgebildet, sagte der Wagner-Chef. Ebenfalls lobte er die ukrainischen Geheimdienste und eine gute Ausstattung der Streitkräfte. "Jedes System – ob sowjetisch oder von der NATO – setzten sie erfolgreich ein." In den höchsten Tönen sprach Prigoschin auch über die hohe Moral der ukrainischen Soldatinnen und Soldaten: "Sie tun alles, um das oberste Ziel zu erreichen, so wie wir es im Großen Vaterländischen Krieg getan haben", sagte er mit Blick auf den erbitterten Kampf der sowjetischen Bürger gegen Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg.

"Das Hauptproblem sind Schoigu und Gerassimow"

Die russische Armeeführung kritisierte Prigoschin dagegen scharf. "Wenn das System so aufgebaut ist, dass man scharwenzeln muss, dann wird die Söldnergruppe es nicht tun", sagte er und erklärte: "Das Hauptproblem sind Schoigu und Gerassimow." Der Verteidigungsminister und der Oberbefehlshaber der russischen Truppen in der Ukraine seien diejenigen, die die Munitionslieferungen an seine Kämpfer in Bachmut blockiert hätten, "trotz der Erklärung des Präsidenten, dass die Geschosse da sind."

Ähnliche Vorwürfe gegen die beiden Funktionäre erhob der Wagner-Chef bereits Anfang Mai in einem Video, das in Russland für viel Aufregung sorgte. In dem Clip stand Prigoschin vor den Leichen zahlreicher getöteter Söldner und warf der Armeeführung vor, die Verantwortung für den Tod der vielen Kämpfer zu tragen.

20.000 Wagner-Kämpfer in Bachmut getötet?

Im aktuellen Interview bezifferte Prigoschin erstmals die eigenen Verluste bei der Schlacht um Bachmut auf rund 20.000 getötete Kämpfer, die Hälfte davon sind demnach Rekrutierte aus Gefängnissen. Experten gehen von noch höheren Todeszahlen aus.

Prigoschin warnte auch davor, dass in Russland eine Revolution ausbrechen könnte. Wenn die Kinder gewöhnlicher Russen weiterhin in Särgen zurückkämen, während die Kinder der Elite sich im Ausland sonnten, drohe in Russland ähnlicher Aufruhr wie bei der Revolution von 1917, die in einen Bürgerkrieg gemündet war. Nach Prigoschins Worten sind die Russen jetzt in einer solchen Situation, "in der wir das Land sehr einfach verkacken können".

Quelle: ntv.de

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