Politik

Heinemann-Grüder zu Russland "Prigoschin ist tot - seine Agenda könnte trotzdem siegen"

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Prigoschin bezahlte letztlich für seine Meuterei Ende Juni 2023 mit dem Leben.

Prigoschin bezahlte letztlich für seine Meuterei Ende Juni 2023 mit dem Leben.

(Foto: dpa)

Gut eine Woche ist es nun her, dass der Chef der Söldnergruppe Wagner, Prigoschin, bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam. Beobachter gehen davon aus, dass ein Mordanschlag seitens Präsident Putin dahintersteckt. Russland-Experte Heinemann-Grüder beleuchtet die Folgen für das Machtgefüge im Kreml.

ntv.de: Prigoschin starb vor einer Woche - und das Leben in Russland geht einfach weiter, scheint es.

Andreas Heinemann-Grüder: Aus der Sicht der Bevölkerung war das eine Auseinandersetzung der Elite. Ein Konflikt wurde mit den üblichen Gewaltmitteln bereinigt. So gesehen gibt es eine Rückkehr zur Normalität. Ich gehe aber davon aus, dass die Sollbruchstellen, die zu diesem Konflikt zwischen Wagner, der Armee und Putin geführt haben, noch immer da sind.

Welche sind das?

Ich meine den Konflikt um die Minimierung der Kriegsziele, wie sie Prigoschin forderte. Ich meine die schlechte Zusammenarbeit der Teilstreitkräfte und die Tatsache, dass man auch der Bevölkerung keine definierten Kriegsziele mehr verkaufen kann. Aber auch die spürbaren Auswirkungen der Sanktionen, die Umstellung auf die Kriegswirtschaft zulasten der restlichen Wirtschaft. All diese Probleme sind trotz des Endes des Konfliktes mit Wagner geblieben.

Ist irgendeine andere Interpretation vorstellbar, als dass Putin hier Rache genommen hat?

Rache ist gewiss ein Motiv. Putin wurde herausgefordert und nannte Prigoschin einen Verräter. Wenn er das in der Vergangenheit getan hat, folgte meist die Liquidierung. Aber es geht auch noch um etwas anderes. Putin hielt lange die verschiedenen Sicherheitsapparate, also Armee und Wagner, in Konkurrenz zueinander. Dieses Modell ist an Grenzen gekommen, weil es nicht mehr steuerbar war. Jetzt ist Putin wieder stärker auf das Verteidigungsministerium und den Generalstab angewiesen. Von denen wollte er sich eigentlich mit Wagner und Prigoschin unabhängiger machen.

Als Prigoschin auf Moskau vorrückte, hieß es, dass Putins Autorität dadurch möglicherweise irreparabel beschädigt sei. Ist das nun vom Tisch? Hat er damit seine Macht wieder gesichert?

Äußerlich ja. Er hat deutlich gezeigt, dass er jeden Widersacher - auch aus dem Machtzirkel, nicht nur aus der Opposition - aus dem Weg räumen kann. Interessant ist trotzdem, dass es in der Armee Sympathien für Prigoschin gab. Ebenso war interessant, dass die Nationalgarde diesen Marsch auf Moskau nicht unterbunden hat. Eigentlich wäre das ihre Aufgabe gewesen. Das ist ein Zeichen für begrenzte Einsatzfähigkeit gewesen.

Konnten sie nicht oder wollten sie nicht?

Ich vermute eine Mischung aus beidem. Sie waren auf so ein Szenario überhaupt nicht vorbereitet. Möglicherweise wollten sie auch nicht. Aber das entzieht sich meiner Kenntnis.

Sie sagten gerade, Putin ist wieder stärker auf den Generalstab und die Armee angewiesen. Was hat das für Folgen?

Wir sehen, dass wir mittlerweile in einer ganz anderen Kriegsphase sind. Wagner kam in einer Zeit zum Einsatz, in der Gebiete erobert werden sollten. Jetzt hat sich die Armee aber auf die Verteidigung verlegt. Sie hat sich eingebunkert und macht es den Ukrainern so sehr schwer, vorzurücken. Letztlich muss Russland eine Entscheidung darüber treffen, ob man sich mit dem zufriedengibt, was man erreicht hat oder die ursprünglichen Ziele noch erreichen will.

Putin will vermutlich die ursprünglichen Ziele noch erreichen.

Richtig. Ich glaube, dass der Druck, den eigentlich die Gruppe Wagner aufgebaut hatte, die Kriegsziele zu begrenzen, bestehen bleibt. Mit der einseitigen Abhängigkeit Putins vom Generalstab und dem Verteidigungsministerium wird sich Putin dem weniger verschließen können. Das heißt: Prigoschin ist tot, aber seine Agenda könnte trotzdem siegen. Also die Kriegsziele zu begrenzen und nicht mehr zu versuchen, Territorium zu erobern.

Weil sie es nicht können?

Weil sie es nicht können und zu viele Verluste erleiden würden. Sie wollen aber auch die Ukrainer überzeugen, dass sie ebenfalls keine fundamentalen Gewinne mehr machen können.

Ist Wagner jetzt am Ende?

Wagner wird zum Teil von anderen privaten Militärfirmen übernommen und ich gehe davon aus, dass das Geschäft in Afrika weitergeführt wird. Wagner war ohnehin schon von der Logistik des Verteidigungsministeriums abhängig, etwa durch Truppentransporte, Waffen- und Munitionslieferungen. Dass es eine zweite Meuterei in Russland geben könnte, sehe ich aber nicht. Die meisten Wagner-Kombattanten sind Söldner. Die gehen da hin, wo sie am besten bezahlt werden.

Hat sich Putin mit dem Flugzeugabsturz noch weiter radikalisiert?

Es war vor allem eine sichere Methode. Es war sicherlich nicht einfach, Prigoschin umzubringen. Man kam vermutlich nicht nah genug an ihn heran, um ihn vom Balkon zu stürzen oder ihn zu erschießen. Das Mittel der Wahl war lange Gift, aber Prigoschin wird genau darauf geachtet haben, was er isst oder anfasst. Der Flugzeugabsturz hat auch den Vorteil, dass man viele Erklärungen streuen kann. Sei es, dass es ein Pilotenfehler war, ein technisches Problem oder was auch immer.

Nach dieser Aktion, mit dieser brutalen Methode der Liquidierung, können Sie sich vorstellen, dass mit diesem Präsidenten überhaupt einmal Frieden möglich ist?

Die gute Nachricht bei dieser Meuterei war, dass Putin zwar das Wort "Verräter" in den Mund genommen hat, aber trotzdem erst zwei Monate lang abgewartet hat. Er hat also nicht im Affekt reagiert, sondern durchaus beherrscht reagiert. Er hat gemerkt, dass da eine Grenze dessen war, was er durchsetzen konnte, und dass er auf seinen Moment warten musste. Für mich war eine der Botschaften: Putin reagiert durchaus mit einer Frontbegradigung, wenn er nicht anders kann. Er ist also keiner, der immer nur Rot sieht. Das heißt nicht, dass er weniger mörderisch ist. Aber er ist durchaus jemand, der kalkuliert, sich das Schachbrett genau ansieht und nicht einfach die Figuren umwirft. Das könnte Hoffnung machen, dass er auch irgendwann akzeptiert, dass er in der Ukraine nichts zu gewinnen hat.

Mit Andreas Heinemann-Grüder sprach Volker Petersen

Quelle: ntv.de

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